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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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er hat Napoleon und dessen Diplomaten Jahre lang hingehalten und wenn
auch durch die jetzigen Enthüllungen an den Tag gekommen ist, welche Mittel
Graf Bismarck angewendet hat, um sein Ziel zu erreichen, so gehört doch
immer noch die Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie es möglich gewesen ist,
dieses Spiel jahrelang in wechselnden Phasen fortzusetzen, ohne daß Der, dem
es gilt, jemals eine Ahnung von der ihm zugedachten Rolle hat. In Bene-
detti's Buch hört man zwischen der Zeilen das Zähneknirschen des endlos
getäuschten Diplomaten. Man muß sich nur klar machen, was es heißt, ihn
dilatorisch zu behandeln. Jahre lang muß Graf Bismarck mit ihm auf
dem vertraulichsten Fuße gestanden haben, wenn ihm nicht Varzin einmal
eine Zuflucht und Erholung bot, und in dieser ganzen langen Zeit hat er
nie einen ernsten Verdacht gegen sich aufkommen lassen und hat doch nie sich
compromittirt. Man erzählt -- ich glaube, es soll nach dem Kriege von
1866 gewesen sein, -- daß der Graf Bismarck, als ihm der französische Ge¬
sandte einmal mit Krieg drohte, gelacht und gesagt habe: Krieg wollen Sie?
Aber wir werden Sie massacriren. Die Anekdote ist gewiß erfunden, aber
gerade so, mit einer überwältigenden Offenheit, muß Fürst Bismarck seinen
Gegner behandelt haben.

In Bezug auf unsere innern Angelegenheiten läßt sich schon jetzt mit
einiger Sicherheit sagen, daß der Kriegsschatz angenommen werden wird.
Vergeblich hat Dr. Löwe die europäische Lage als idyllisch geschildert und den
"Unterstrom" der öffentlichen Meinung in Frankreich geltend gemacht. Es
gibt in Frankreich keinen solchen Unterstrom. Neun Zehntel der Franzosen
wollen den Frieden, ja den Frieden um jeden Preis, haben ihn auch im Mai
und Juni vorigen Jahres gewollt, aber das letzte Zehntel kommt allein in
Betracht und, was man auch sagen mag, unter den gebildeten Franzosen
herrscht nur ein Gefühl, das des Hasses, nur ein Verlangen, das nach Rache
gegen Deutschland. Ob sie heute eine friedlichere oder auch nur höflichere
Miene annehmen, ist unendlich gleichgültig; an dem Tage, wo sich ihnen
nur ein Schimmer von Möglichkeit des Erfolges bietet, werden sie losschlagen-

Zweifelhafter als das Schicksal des Kriegsschatzgesetzes dürfte das des
Münzgesetzes sein. Alle Welt prophezeit der Regierung eine Niederlage,
Kenner der parlamentarischen Verhältnisse glauben aber, daß jede positive
Opposition gegen das Gesetz nur eine Minderheit sei und daß, um doch etwas
zu erreichen, schließlich die Mehrheit sehr wohl für den Entwurf der Regie¬
rung sein könne. Ohne Veränderung wird er freilich nicht aus diesem parla¬
-- o. 'W. -- mentarischen Strudel hervorgehen.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hcrsiig. -- Druck von Hüthcl 6 Legler in Leipzig.

er hat Napoleon und dessen Diplomaten Jahre lang hingehalten und wenn
auch durch die jetzigen Enthüllungen an den Tag gekommen ist, welche Mittel
Graf Bismarck angewendet hat, um sein Ziel zu erreichen, so gehört doch
immer noch die Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie es möglich gewesen ist,
dieses Spiel jahrelang in wechselnden Phasen fortzusetzen, ohne daß Der, dem
es gilt, jemals eine Ahnung von der ihm zugedachten Rolle hat. In Bene-
detti's Buch hört man zwischen der Zeilen das Zähneknirschen des endlos
getäuschten Diplomaten. Man muß sich nur klar machen, was es heißt, ihn
dilatorisch zu behandeln. Jahre lang muß Graf Bismarck mit ihm auf
dem vertraulichsten Fuße gestanden haben, wenn ihm nicht Varzin einmal
eine Zuflucht und Erholung bot, und in dieser ganzen langen Zeit hat er
nie einen ernsten Verdacht gegen sich aufkommen lassen und hat doch nie sich
compromittirt. Man erzählt — ich glaube, es soll nach dem Kriege von
1866 gewesen sein, — daß der Graf Bismarck, als ihm der französische Ge¬
sandte einmal mit Krieg drohte, gelacht und gesagt habe: Krieg wollen Sie?
Aber wir werden Sie massacriren. Die Anekdote ist gewiß erfunden, aber
gerade so, mit einer überwältigenden Offenheit, muß Fürst Bismarck seinen
Gegner behandelt haben.

In Bezug auf unsere innern Angelegenheiten läßt sich schon jetzt mit
einiger Sicherheit sagen, daß der Kriegsschatz angenommen werden wird.
Vergeblich hat Dr. Löwe die europäische Lage als idyllisch geschildert und den
„Unterstrom" der öffentlichen Meinung in Frankreich geltend gemacht. Es
gibt in Frankreich keinen solchen Unterstrom. Neun Zehntel der Franzosen
wollen den Frieden, ja den Frieden um jeden Preis, haben ihn auch im Mai
und Juni vorigen Jahres gewollt, aber das letzte Zehntel kommt allein in
Betracht und, was man auch sagen mag, unter den gebildeten Franzosen
herrscht nur ein Gefühl, das des Hasses, nur ein Verlangen, das nach Rache
gegen Deutschland. Ob sie heute eine friedlichere oder auch nur höflichere
Miene annehmen, ist unendlich gleichgültig; an dem Tage, wo sich ihnen
nur ein Schimmer von Möglichkeit des Erfolges bietet, werden sie losschlagen-

Zweifelhafter als das Schicksal des Kriegsschatzgesetzes dürfte das des
Münzgesetzes sein. Alle Welt prophezeit der Regierung eine Niederlage,
Kenner der parlamentarischen Verhältnisse glauben aber, daß jede positive
Opposition gegen das Gesetz nur eine Minderheit sei und daß, um doch etwas
zu erreichen, schließlich die Mehrheit sehr wohl für den Entwurf der Regie¬
rung sein könne. Ohne Veränderung wird er freilich nicht aus diesem parla¬
— o. 'W. — mentarischen Strudel hervorgehen.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hcrsiig. — Druck von Hüthcl 6 Legler in Leipzig.
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[0208] er hat Napoleon und dessen Diplomaten Jahre lang hingehalten und wenn auch durch die jetzigen Enthüllungen an den Tag gekommen ist, welche Mittel Graf Bismarck angewendet hat, um sein Ziel zu erreichen, so gehört doch immer noch die Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie es möglich gewesen ist, dieses Spiel jahrelang in wechselnden Phasen fortzusetzen, ohne daß Der, dem es gilt, jemals eine Ahnung von der ihm zugedachten Rolle hat. In Bene- detti's Buch hört man zwischen der Zeilen das Zähneknirschen des endlos getäuschten Diplomaten. Man muß sich nur klar machen, was es heißt, ihn dilatorisch zu behandeln. Jahre lang muß Graf Bismarck mit ihm auf dem vertraulichsten Fuße gestanden haben, wenn ihm nicht Varzin einmal eine Zuflucht und Erholung bot, und in dieser ganzen langen Zeit hat er nie einen ernsten Verdacht gegen sich aufkommen lassen und hat doch nie sich compromittirt. Man erzählt — ich glaube, es soll nach dem Kriege von 1866 gewesen sein, — daß der Graf Bismarck, als ihm der französische Ge¬ sandte einmal mit Krieg drohte, gelacht und gesagt habe: Krieg wollen Sie? Aber wir werden Sie massacriren. Die Anekdote ist gewiß erfunden, aber gerade so, mit einer überwältigenden Offenheit, muß Fürst Bismarck seinen Gegner behandelt haben. In Bezug auf unsere innern Angelegenheiten läßt sich schon jetzt mit einiger Sicherheit sagen, daß der Kriegsschatz angenommen werden wird. Vergeblich hat Dr. Löwe die europäische Lage als idyllisch geschildert und den „Unterstrom" der öffentlichen Meinung in Frankreich geltend gemacht. Es gibt in Frankreich keinen solchen Unterstrom. Neun Zehntel der Franzosen wollen den Frieden, ja den Frieden um jeden Preis, haben ihn auch im Mai und Juni vorigen Jahres gewollt, aber das letzte Zehntel kommt allein in Betracht und, was man auch sagen mag, unter den gebildeten Franzosen herrscht nur ein Gefühl, das des Hasses, nur ein Verlangen, das nach Rache gegen Deutschland. Ob sie heute eine friedlichere oder auch nur höflichere Miene annehmen, ist unendlich gleichgültig; an dem Tage, wo sich ihnen nur ein Schimmer von Möglichkeit des Erfolges bietet, werden sie losschlagen- Zweifelhafter als das Schicksal des Kriegsschatzgesetzes dürfte das des Münzgesetzes sein. Alle Welt prophezeit der Regierung eine Niederlage, Kenner der parlamentarischen Verhältnisse glauben aber, daß jede positive Opposition gegen das Gesetz nur eine Minderheit sei und daß, um doch etwas zu erreichen, schließlich die Mehrheit sehr wohl für den Entwurf der Regie¬ rung sein könne. Ohne Veränderung wird er freilich nicht aus diesem parla¬ — o. 'W. — mentarischen Strudel hervorgehen. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Haus Blum. Verlag von F. L. Hcrsiig. — Druck von Hüthcl 6 Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/208>, abgerufen am 05.02.2025.