Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Trübung durch die Erinnerung an Kämpfe, welche eine "unerwünschte Erb¬ Die politische Lage wird also diese sein. Die drei Ostmächte machen Noch bestimmter läßt sich die Lage vielleicht so fassen, daß die deutsche Soviel über die auswärtige Politik, bei der übrigens auch das freund¬ Was nun die inneren Aufgaben des Reiches betrifft, so ist der wichtigste Trübung durch die Erinnerung an Kämpfe, welche eine „unerwünschte Erb¬ Die politische Lage wird also diese sein. Die drei Ostmächte machen Noch bestimmter läßt sich die Lage vielleicht so fassen, daß die deutsche Soviel über die auswärtige Politik, bei der übrigens auch das freund¬ Was nun die inneren Aufgaben des Reiches betrifft, so ist der wichtigste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192424"/> <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475"> Trübung durch die Erinnerung an Kämpfe, welche eine „unerwünschte Erb¬<lb/> schaft tausendjähriger Vergangenheit" waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_477"> Die politische Lage wird also diese sein. Die drei Ostmächte machen<lb/> nirgends hin tendenziös Front. Aber sie werden sich über jeden wichtigen<lb/> Zwischenfall der europäischen Politik vor Allem untereinander verständigen.<lb/> Der deutschen Politik fällt naturgemäß fürs erste hierbei die Rolle der Ver¬<lb/> mittelung zu. Dies ist um so leichter, als Rußland, fortdauernd mit großen<lb/> inneren Reformen beschäftigt, außerdem aber durch seine nothgedrungenen<lb/> Fortschritte in Innerasien in Anspruch genommen, so lange an keinen aggres¬<lb/> siven Schritt gegen die Türkei denken wird, als die Zustände des letzteren<lb/> Reiches den Zusammenhalt bewahren. Sobald in die Zersetzung des türki¬<lb/> schen Staatswesens ein ernstlicher Stillstand kommt, ist ein großer Anlaß<lb/> des Mißtrauens zwischen Oestreich und Rußland zur Ruhe gebracht. Es<lb/> wird nicht fehlen, daß Rußland neuerdings vermeidet, der panslavistischen<lb/> Bewegung in Oestreich, wenn eine solche überhaupt Beachtung verdient, den ge¬<lb/> ringsten Schein der Begünstigung zu Theil werden zu lassen. Die gleiche<lb/> Enthaltung wird sich Oestreich dem russischen Polen gegenüber auferlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_478"> Noch bestimmter läßt sich die Lage vielleicht so fassen, daß die deutsche<lb/> Regierung in europäischen Dingen jederzeit die Billigung der östreichischen<lb/> suchen, niemals aber die Billigung benutzen wird, um einen wichtigen Schritt<lb/> ohne Vorwissen Rußlands, geschweige denn zu dessen Nachtheil zu unter¬<lb/> nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_479"> Soviel über die auswärtige Politik, bei der übrigens auch das freund¬<lb/> liche Verhältniß Deutschlands zu Italien und der Schweiz aus Anlaß der<lb/> Gotthard-Bahn in der Thronrede seine Erwähnung gefunden hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_480" next="#ID_481"> Was nun die inneren Aufgaben des Reiches betrifft, so ist der wichtigste<lb/> Punkt für dieselben in der Thronrede die Ankündigung, daß die Uebergangs¬<lb/> zeit, welche die Reichsverfassung bis Ende 1871 für die Militärausgaben be¬<lb/> stimmt, daß die Geltung des sogenannten Pauschquantums nur noch auf<lb/> das Jahr 1872 ausgedehnt werden soll. Auf manchen Seiten war die Er¬<lb/> wartung und der Wunsch rege gewesen, die Reichsregierung möge das Pausch¬<lb/> quantum für die Militär-Ausgaben noch auf drei Jahre, also bis Ende 1874<lb/> beantragen. Im Frühjahr 1874 spätestens muß ein neuer Reichstag ge¬<lb/> wählt werden. Die definitive Feststellung der Militärausgaben, welche bis<lb/> Ende 1874 zu erfolgen hätte, würde durch diese Verlängerung des Provi¬<lb/> soriums recht eigentlich zur Wahlfrage gemacht. Dieser Wunsch, die Heeres¬<lb/> ausgaben zur Wahlfrage zu machen, und die Hoffnung, den Heeresaufwand<lb/> desto knapper bemessen zu können, je weiter der Zeitpunkt für die definitive<lb/> Bewilligung desselben hinweggerückt wird von den glorreichen Fragen der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
Trübung durch die Erinnerung an Kämpfe, welche eine „unerwünschte Erb¬
schaft tausendjähriger Vergangenheit" waren.
Die politische Lage wird also diese sein. Die drei Ostmächte machen
nirgends hin tendenziös Front. Aber sie werden sich über jeden wichtigen
Zwischenfall der europäischen Politik vor Allem untereinander verständigen.
Der deutschen Politik fällt naturgemäß fürs erste hierbei die Rolle der Ver¬
mittelung zu. Dies ist um so leichter, als Rußland, fortdauernd mit großen
inneren Reformen beschäftigt, außerdem aber durch seine nothgedrungenen
Fortschritte in Innerasien in Anspruch genommen, so lange an keinen aggres¬
siven Schritt gegen die Türkei denken wird, als die Zustände des letzteren
Reiches den Zusammenhalt bewahren. Sobald in die Zersetzung des türki¬
schen Staatswesens ein ernstlicher Stillstand kommt, ist ein großer Anlaß
des Mißtrauens zwischen Oestreich und Rußland zur Ruhe gebracht. Es
wird nicht fehlen, daß Rußland neuerdings vermeidet, der panslavistischen
Bewegung in Oestreich, wenn eine solche überhaupt Beachtung verdient, den ge¬
ringsten Schein der Begünstigung zu Theil werden zu lassen. Die gleiche
Enthaltung wird sich Oestreich dem russischen Polen gegenüber auferlegen.
Noch bestimmter läßt sich die Lage vielleicht so fassen, daß die deutsche
Regierung in europäischen Dingen jederzeit die Billigung der östreichischen
suchen, niemals aber die Billigung benutzen wird, um einen wichtigen Schritt
ohne Vorwissen Rußlands, geschweige denn zu dessen Nachtheil zu unter¬
nehmen.
Soviel über die auswärtige Politik, bei der übrigens auch das freund¬
liche Verhältniß Deutschlands zu Italien und der Schweiz aus Anlaß der
Gotthard-Bahn in der Thronrede seine Erwähnung gefunden hat.
Was nun die inneren Aufgaben des Reiches betrifft, so ist der wichtigste
Punkt für dieselben in der Thronrede die Ankündigung, daß die Uebergangs¬
zeit, welche die Reichsverfassung bis Ende 1871 für die Militärausgaben be¬
stimmt, daß die Geltung des sogenannten Pauschquantums nur noch auf
das Jahr 1872 ausgedehnt werden soll. Auf manchen Seiten war die Er¬
wartung und der Wunsch rege gewesen, die Reichsregierung möge das Pausch¬
quantum für die Militär-Ausgaben noch auf drei Jahre, also bis Ende 1874
beantragen. Im Frühjahr 1874 spätestens muß ein neuer Reichstag ge¬
wählt werden. Die definitive Feststellung der Militärausgaben, welche bis
Ende 1874 zu erfolgen hätte, würde durch diese Verlängerung des Provi¬
soriums recht eigentlich zur Wahlfrage gemacht. Dieser Wunsch, die Heeres¬
ausgaben zur Wahlfrage zu machen, und die Hoffnung, den Heeresaufwand
desto knapper bemessen zu können, je weiter der Zeitpunkt für die definitive
Bewilligung desselben hinweggerückt wird von den glorreichen Fragen der
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