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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Und wie schmiegt sich der Rhythmus der Rede, ein leicht bewegliches Ge¬
wand, in schöner Variation dem poetischen Inhalt jedesmal an! Wie gleiten
Klang und Ton zwischen Heftigkeit und Sanftheit, zwischen Sturmes Wuth
und unten leisem Säuseln auf und nieder. Wie malen förmlich die Töne
die Vorgänge der Natur, die Gefühle der Seele! Auch heute klingt dieses eigen¬
thümlich melodische, hierhin und dorthin sich wiegende, jetzt tosende, jetzt
tosende Wallen und Rauschen, wie eine berechtigte, ewige Weise lyrischer Be¬
wegung an unser Ohr. Wird Herder sie verurtheilt haben? Mußte auch sie
dem neuen Sang und Klang der Herder'schen Generation weichen?

Das ganze Gedicht hat ein eigenthümlich religiöses Gepräge, der In¬
halt erinnert an die Gefühle von Elias auf dem Berge Horeb; in der Form
fühlt man die Nachahmung der Psalmenpoesie-. Du, meine Harfe, preise den
Herrn! Mit Palmen ist meine Harfe umwunden! Ich singe dem Herrn.

Die Wendung ist deutlich: anstatt der früheren Muster Horaz und Pin-
dar jetzt: David und Salomo. Man weiß, wie dieser religiöse Zug sich im¬
mer mehr hervordrängte; wie sich "die fromme Strenge" von Jahr zu Jahr
steigerte. Der Dichter schien die Sehnsucht seiner Jugend, ein nationaler
Dichter zu werden, vergessen zu haben; er wandelte die "höhere", eine christ¬
liche, allgemein menschliche, kosmopolitische Bahn: -- bis die Religion, nicht
doch! die Dogmatik nahe daran war, die Poesie zu ersticken, bis er in die
Gefahr kam, in einem poetischen "Nazarenerthum" unterzugehen.

Eine schrullenhafte theologisirende Reflexion stört schon, was oben ver¬
schwiegen ward, zudringlich den sonst so schönen und natürlichen Ablauf der
einfachen religiösen Gefühle der "Frühlingsfeier"; im wonnigen Bewußtsein seiner
Unsterblichkeit ruft der Dichter, hinaufgezogen zu dem erhabenen Gott, der
ihn sonst schrecken könnte, ein "Halleluja dem Schaffenden!" --


Aber du Frühlin gswürmchen,
Das grünlich golden neben mir spielt,
Du lebst; und bist vielleicht
Ach! nicht unsterblich. --

Und dieses leidige Frühlingswürmchen und sein Schicksal und seine Aussichten
beunruhigen ihn nun mitten in dem schönen Ueberschwung seiner Empfindun¬
gen fortwährend, zum steten Aerger des Lesers, der sich ungeahnt immer wie¬
der nach dieser Seite gezerrt findet: Im Jenseits Lösung aller Zweifel!

Und diese ungesunde Schwermuth, diese affectirt elegische Stimmung lagert
sich von nun ab immer mehr über jedes unschuldige, einfach natürliche Ge¬
fühl. Auch die frische Ode: "Der Eislauf" endet unerwartet mit Todes¬
gedanken. -- In derselben Ode ruft der Dichter dem Freunde, der mit ihm
"den schlängelnden Pfad an dem langen Ufer schwebend hinabglitt", warnend
zu: "Künstle nicht!" Man möchte es je länger je mehr dem Dichter selbst in


Und wie schmiegt sich der Rhythmus der Rede, ein leicht bewegliches Ge¬
wand, in schöner Variation dem poetischen Inhalt jedesmal an! Wie gleiten
Klang und Ton zwischen Heftigkeit und Sanftheit, zwischen Sturmes Wuth
und unten leisem Säuseln auf und nieder. Wie malen förmlich die Töne
die Vorgänge der Natur, die Gefühle der Seele! Auch heute klingt dieses eigen¬
thümlich melodische, hierhin und dorthin sich wiegende, jetzt tosende, jetzt
tosende Wallen und Rauschen, wie eine berechtigte, ewige Weise lyrischer Be¬
wegung an unser Ohr. Wird Herder sie verurtheilt haben? Mußte auch sie
dem neuen Sang und Klang der Herder'schen Generation weichen?

Das ganze Gedicht hat ein eigenthümlich religiöses Gepräge, der In¬
halt erinnert an die Gefühle von Elias auf dem Berge Horeb; in der Form
fühlt man die Nachahmung der Psalmenpoesie-. Du, meine Harfe, preise den
Herrn! Mit Palmen ist meine Harfe umwunden! Ich singe dem Herrn.

Die Wendung ist deutlich: anstatt der früheren Muster Horaz und Pin-
dar jetzt: David und Salomo. Man weiß, wie dieser religiöse Zug sich im¬
mer mehr hervordrängte; wie sich „die fromme Strenge" von Jahr zu Jahr
steigerte. Der Dichter schien die Sehnsucht seiner Jugend, ein nationaler
Dichter zu werden, vergessen zu haben; er wandelte die „höhere", eine christ¬
liche, allgemein menschliche, kosmopolitische Bahn: — bis die Religion, nicht
doch! die Dogmatik nahe daran war, die Poesie zu ersticken, bis er in die
Gefahr kam, in einem poetischen „Nazarenerthum" unterzugehen.

Eine schrullenhafte theologisirende Reflexion stört schon, was oben ver¬
schwiegen ward, zudringlich den sonst so schönen und natürlichen Ablauf der
einfachen religiösen Gefühle der „Frühlingsfeier"; im wonnigen Bewußtsein seiner
Unsterblichkeit ruft der Dichter, hinaufgezogen zu dem erhabenen Gott, der
ihn sonst schrecken könnte, ein „Halleluja dem Schaffenden!" —


Aber du Frühlin gswürmchen,
Das grünlich golden neben mir spielt,
Du lebst; und bist vielleicht
Ach! nicht unsterblich. —

Und dieses leidige Frühlingswürmchen und sein Schicksal und seine Aussichten
beunruhigen ihn nun mitten in dem schönen Ueberschwung seiner Empfindun¬
gen fortwährend, zum steten Aerger des Lesers, der sich ungeahnt immer wie¬
der nach dieser Seite gezerrt findet: Im Jenseits Lösung aller Zweifel!

Und diese ungesunde Schwermuth, diese affectirt elegische Stimmung lagert
sich von nun ab immer mehr über jedes unschuldige, einfach natürliche Ge¬
fühl. Auch die frische Ode: „Der Eislauf" endet unerwartet mit Todes¬
gedanken. — In derselben Ode ruft der Dichter dem Freunde, der mit ihm
„den schlängelnden Pfad an dem langen Ufer schwebend hinabglitt", warnend
zu: „Künstle nicht!" Man möchte es je länger je mehr dem Dichter selbst in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/546>, abgerufen am 25.07.2024.