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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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dieser Militarismus, den sie für Scheinwesen gehalten, eine weltgeschichtliche
Kraft in sich barg. Der Sinn aber, dem das wahrhaft Wirkende Achtung
abgewinnt, ist tausendmal achtungswerther, als der wahnwitzige Hochmuth
des Doctrinärs, der sich unendlich erhaben denkt, wenn er die mit der Doctrin
nicht übereinstimmende Wirklichkeit, sei sie auch noch so groß, mitleidig be¬
lächelt, während es nur die reine Stumpfheit und Leerheit ist, die ihn gegen
die Macht der Wirklichkeit stählt.

Es ist bekannt, wie die demokratische Partei in der Nationalversamm¬
lung zu Frankfurt sich bald überzeugen mußte, daß sie ihr Ziel weder mittels
der Versammlung, noch außerhalb derselben durch die Volksmassen werde er¬
reichen können. Die October-Revolution zu Wien erschien als ein unerwar¬
teter Hoffnungsstrahl. Auf Betrieb der demokratischen Partei wurden Robert
Blum und Julius Fröbel als Abgeordnete der deutschen Nationalversammlung
nach Wien gesandt. Ihr Auftrag war sehr unklar. Sie sollten anscheinend
zwischen der aufständischen Bevölkerung und der östreichischen Regierung ver¬
mitteln. Im Sinn der demokratischen Partei zu Frankfurt mag gelegen
haben, daß ihre Abgesandten beitragen sollten, der Bewegung in Oestreich
eine Wendung zu geben, welche der sinkenden demokratischen Bewegung Deutsch¬
lands neue Kraft zuführen könnte.

Man weiß, wie die Abgeordneten der Nationalversammlung zuerst einer
innerhalb der Mauern Wien's siegreichen Revolution begegneten, der sie we¬
der Einhalt thun, noch ein zweckmäßiges Ziel geben konnten, wie sie dann
von der siegreichen Reaction einfach als Mitschuldige und Hochverräther be¬
handelt wurden. Durch glückliche Zufälle entging Fröbel dem tragischen
Schicksal seines Genossen. Talent und Hingebung für die demokratische Sache
hatte beiden Männern eine Sendung verschafft, der sie jeder nach seiner Art
innerlich fremd waren. Robert Blum, der mit großer Tapferkeit und Umsicht
in den Reihen der vormärzlichen Opposition gekämpft hatte, war doch nichts
weniger als eine radicale Natur, vielmehr mit einem lebhaften Jnstinct für
das Mögliche und Wirkungsfähige begabt. Er war indeß durch seine Ver¬
gangenheit zu weit gebunden, um derjenigen Partei, in der ihn der
Anfang der Bewegung sehen mußte, wo es nur darauf ankam, einen
unerträglichen Druck abzuschleudern, den Rücken zu wenden ohne die Ge¬
wißheit, daß ein solcher scheinbarer Abfall in einem wahrhaft vaterländischen
Erfolg seine baldige Rechtfertigung finden würde. So wie die Dinge aber
lagen, spielten die nachmals sogenannten Gothaer in Frankfurt ein wohlge¬
meintes, aber für ein unbefangenes Auge von Anfang hoffnungsloses Spiel.
Mit ihnen gehen, konnte für einen Mann von politischem Jnstinct nichts
anderes heißen, als sich vorbereiten auf ein vielleicht heilsames Märtyrerthum.
Aber es ist schwer, eine Partei zu verlassen, um nicht der Mitsieger, sondern


dieser Militarismus, den sie für Scheinwesen gehalten, eine weltgeschichtliche
Kraft in sich barg. Der Sinn aber, dem das wahrhaft Wirkende Achtung
abgewinnt, ist tausendmal achtungswerther, als der wahnwitzige Hochmuth
des Doctrinärs, der sich unendlich erhaben denkt, wenn er die mit der Doctrin
nicht übereinstimmende Wirklichkeit, sei sie auch noch so groß, mitleidig be¬
lächelt, während es nur die reine Stumpfheit und Leerheit ist, die ihn gegen
die Macht der Wirklichkeit stählt.

Es ist bekannt, wie die demokratische Partei in der Nationalversamm¬
lung zu Frankfurt sich bald überzeugen mußte, daß sie ihr Ziel weder mittels
der Versammlung, noch außerhalb derselben durch die Volksmassen werde er¬
reichen können. Die October-Revolution zu Wien erschien als ein unerwar¬
teter Hoffnungsstrahl. Auf Betrieb der demokratischen Partei wurden Robert
Blum und Julius Fröbel als Abgeordnete der deutschen Nationalversammlung
nach Wien gesandt. Ihr Auftrag war sehr unklar. Sie sollten anscheinend
zwischen der aufständischen Bevölkerung und der östreichischen Regierung ver¬
mitteln. Im Sinn der demokratischen Partei zu Frankfurt mag gelegen
haben, daß ihre Abgesandten beitragen sollten, der Bewegung in Oestreich
eine Wendung zu geben, welche der sinkenden demokratischen Bewegung Deutsch¬
lands neue Kraft zuführen könnte.

Man weiß, wie die Abgeordneten der Nationalversammlung zuerst einer
innerhalb der Mauern Wien's siegreichen Revolution begegneten, der sie we¬
der Einhalt thun, noch ein zweckmäßiges Ziel geben konnten, wie sie dann
von der siegreichen Reaction einfach als Mitschuldige und Hochverräther be¬
handelt wurden. Durch glückliche Zufälle entging Fröbel dem tragischen
Schicksal seines Genossen. Talent und Hingebung für die demokratische Sache
hatte beiden Männern eine Sendung verschafft, der sie jeder nach seiner Art
innerlich fremd waren. Robert Blum, der mit großer Tapferkeit und Umsicht
in den Reihen der vormärzlichen Opposition gekämpft hatte, war doch nichts
weniger als eine radicale Natur, vielmehr mit einem lebhaften Jnstinct für
das Mögliche und Wirkungsfähige begabt. Er war indeß durch seine Ver¬
gangenheit zu weit gebunden, um derjenigen Partei, in der ihn der
Anfang der Bewegung sehen mußte, wo es nur darauf ankam, einen
unerträglichen Druck abzuschleudern, den Rücken zu wenden ohne die Ge¬
wißheit, daß ein solcher scheinbarer Abfall in einem wahrhaft vaterländischen
Erfolg seine baldige Rechtfertigung finden würde. So wie die Dinge aber
lagen, spielten die nachmals sogenannten Gothaer in Frankfurt ein wohlge¬
meintes, aber für ein unbefangenes Auge von Anfang hoffnungsloses Spiel.
Mit ihnen gehen, konnte für einen Mann von politischem Jnstinct nichts
anderes heißen, als sich vorbereiten auf ein vielleicht heilsames Märtyrerthum.
Aber es ist schwer, eine Partei zu verlassen, um nicht der Mitsieger, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/535>, abgerufen am 25.07.2024.