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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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von derselben abhängig zu werden. Er hat immer das Bedürfniß der theo¬
retischen Grundlegung und Abrundung, der zugleich logischen und anschau¬
lichen Construction gehabt, aber er hat auch immer die Elasticität besessen,
nach praktischen Eindrücken und Erfahrungen die Theorie zu erweitern. Folgt
daraus etwa, daß dieses theoretische Bedürfniß ein müßiges Spiel ist? Wir
können die Frage hier nicht erörtern und müssen uns mit der Aussage be¬
gnügen, daß wir nicht zu der viel verbreiteten Menschenklasse gehören, die
den Werth der Theorie nicht begreifen kann und die vorläufig wieder einmal
das Recht erlangt hat, sich dieses Unvermögens zu rühmen.

Es war also weder demokratische Roheit und Formlosigkeit, noch ledig¬
lich doctrinärer, etwa republikanischer Eigensinn, welche Fröbel verhinderten,
die Verwendung der preußischen Staatskrast zur Wiedergeburt Deutschlands
als möglich und wünschenswert!) zu erkennen. Es war das politische Ideal
selbst, wie es Fröbel tiefer und nachdenklicher als die meisten demokratischen
Politiker ausgebildet hatte, nicht bloß dessen äußere Form, was ihn zum
Gegner Preußens machte.

Zwei Dinge begehrte damals der politische Jnstinct in allen Parteien
außer derjenigen des solus puo. Man sehnte sich nach der Lebendigkeit des
Staats durch die Theilnahme der Bürger, und man sehnte sich nach einem
großen würdigen Zweck des Staates- Die Lebendigkeit des Staates erscheint
am intensivsten je kleiner das Gemeinwesen ist. Ein großer Staatszweck aber
erfordert auch eine gewisse Größe der äußern Dimensionen, wenigstens bei
den materiellen Mitteln und der Möglichkeit ihrer Concentration, wie sie
unsere Zeit besitzt. Die hellenischen Gemeinwesen haben bei einem geringen
materiellen Umfang den höchsten Adel der Gesinnungen und der Werke und
eine nie erreichte Majestät der Erscheinung hervorgebracht. Das soll man
nicht vergessen, wie es so oft geschieht, um nicht zu wähnen, daß die Quan¬
tität der Ausdruck der Geistesgröße sei. Der Staat aber als eine Concen¬
tration aller sittlichen Thätigkeit muß nach der natürlichen Größe der ver¬
schiedenen Thätigkeitsgebiete, wie sie einer bestimmten Zeit gegeben sind, sei¬
nen eignen Umfang einrichten, weil er sonst den Gegenständen, die er ver¬
einen und beherrschen soll, nicht zu folgen vermag. Die materiellen Dimen¬
sionen eines wirklichen Staates dürfen heut zu Tage nicht unter ein gewisses
Maß herabsinken.

Fröbel, der die Forderungen des politischen Jnstinctes mit cousequenter
Reflexion sich zum Bewußtsein brachte, mußte auf den Föderativstaat als die
vollkommenste Erscheinung des Gemeinwesens geführt werden, lange bevor
der Gegensatz von Einheitsstaat und Bundesstaat anfing, die öffentliche Mei¬
nung Deutschlands zu beschäftigen. Nur der Föderativstaat schien die beiden
damaligen Forderungen oder Bedürfnisse in vollkommenster Art vereinigen zu


von derselben abhängig zu werden. Er hat immer das Bedürfniß der theo¬
retischen Grundlegung und Abrundung, der zugleich logischen und anschau¬
lichen Construction gehabt, aber er hat auch immer die Elasticität besessen,
nach praktischen Eindrücken und Erfahrungen die Theorie zu erweitern. Folgt
daraus etwa, daß dieses theoretische Bedürfniß ein müßiges Spiel ist? Wir
können die Frage hier nicht erörtern und müssen uns mit der Aussage be¬
gnügen, daß wir nicht zu der viel verbreiteten Menschenklasse gehören, die
den Werth der Theorie nicht begreifen kann und die vorläufig wieder einmal
das Recht erlangt hat, sich dieses Unvermögens zu rühmen.

Es war also weder demokratische Roheit und Formlosigkeit, noch ledig¬
lich doctrinärer, etwa republikanischer Eigensinn, welche Fröbel verhinderten,
die Verwendung der preußischen Staatskrast zur Wiedergeburt Deutschlands
als möglich und wünschenswert!) zu erkennen. Es war das politische Ideal
selbst, wie es Fröbel tiefer und nachdenklicher als die meisten demokratischen
Politiker ausgebildet hatte, nicht bloß dessen äußere Form, was ihn zum
Gegner Preußens machte.

Zwei Dinge begehrte damals der politische Jnstinct in allen Parteien
außer derjenigen des solus puo. Man sehnte sich nach der Lebendigkeit des
Staats durch die Theilnahme der Bürger, und man sehnte sich nach einem
großen würdigen Zweck des Staates- Die Lebendigkeit des Staates erscheint
am intensivsten je kleiner das Gemeinwesen ist. Ein großer Staatszweck aber
erfordert auch eine gewisse Größe der äußern Dimensionen, wenigstens bei
den materiellen Mitteln und der Möglichkeit ihrer Concentration, wie sie
unsere Zeit besitzt. Die hellenischen Gemeinwesen haben bei einem geringen
materiellen Umfang den höchsten Adel der Gesinnungen und der Werke und
eine nie erreichte Majestät der Erscheinung hervorgebracht. Das soll man
nicht vergessen, wie es so oft geschieht, um nicht zu wähnen, daß die Quan¬
tität der Ausdruck der Geistesgröße sei. Der Staat aber als eine Concen¬
tration aller sittlichen Thätigkeit muß nach der natürlichen Größe der ver¬
schiedenen Thätigkeitsgebiete, wie sie einer bestimmten Zeit gegeben sind, sei¬
nen eignen Umfang einrichten, weil er sonst den Gegenständen, die er ver¬
einen und beherrschen soll, nicht zu folgen vermag. Die materiellen Dimen¬
sionen eines wirklichen Staates dürfen heut zu Tage nicht unter ein gewisses
Maß herabsinken.

Fröbel, der die Forderungen des politischen Jnstinctes mit cousequenter
Reflexion sich zum Bewußtsein brachte, mußte auf den Föderativstaat als die
vollkommenste Erscheinung des Gemeinwesens geführt werden, lange bevor
der Gegensatz von Einheitsstaat und Bundesstaat anfing, die öffentliche Mei¬
nung Deutschlands zu beschäftigen. Nur der Föderativstaat schien die beiden
damaligen Forderungen oder Bedürfnisse in vollkommenster Art vereinigen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/533>, abgerufen am 25.07.2024.