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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eine interessante Fassade von Ziegelstein, aus dem 11. oder 12. Jahrhundert,
mit säulentragenden Löwen und Greifen an den drei Portalen, mit marmor¬
nen Seitenpfosten, die mit Schlangengeflechten und allerlei Monstren ge¬
schmückt sind, sowie mit einer Säulengalerie. -- Im modernisirten Innern
befinden sich Chorstühle aus dem 17. Jahrhundert, etwas schwer, doch nicht
ohne schöne Motive.

In der einschiffigen gothischen Kirche Sta. Chiara ist das Kreuzgewölbe
am Chor mit Fresken des Giottino geschmückt; auch die übrigen Wände
waren einst mit Fresken bedeckt, sind aber jetzt weiß übertüncht, eine Barba¬
rei, als deren Urheber der Mönch, der uns herumführte, mit schüchterner
Ironie einen ehemaligen Abt des Klosters bezüchtigte. -- Einen malerischen
Anblick in verschiedener Hinsicht gewährten uns die großen Strebebögen, die
vom Rumpf der Kirche gesondert auf dem Boden stehen und einen Durch¬
gang gewähren, in dessen Mitte sich ein Brunnentrog befindet, wo verschie¬
dene Weiber geschwätzig ihre Eimer füllten. -- Ebenso genießt man von dem
Platz vor der Kirche einen schönen Blick, sowohl auf die Bergspitze über Assisi,
deren Castell eben prächtig von der untergehenden Sonne beleuchtet war, als
auch auf die Gärten und Höfe der tieferliegenden Häuser, wo alles so male¬
risch und doch sauber durch einander gewürfelt war, wie ein Puppenspiel,
sowie endlich auf die, wie gesagt, bezaubernde Landschaft.

Unsere Reisegefährten blieben zurück, während wir noch einen kleinen
Gang vor das Thor machten, der Richtung zu, wo in einer Felsschlucht die
Einsiedelei delle Carceri verborgen liegt, wo der heilige Francesco seine An¬
dacht zu verrichten pflegte. Auch wir Reisenden wurden andächtig gestimmt,
als wir in der Dämmerung durch die frische gesegnete Landschaft, in herrlicher
Luft, dahinschritten und in heiterer Ruhe die Landleute entgegen kamen von
ihrer Arbeit. Die Bergwand zur Linken, mit den zierlichen Olivenbäumchen.
die immer mehr in den allgemeinen Umrissen der Dämmerung aufgingen,
fächelte die Ruhe und Harmlosigkeit der Natur zu, stellte ihre hehren Massen
als Schutz und Burg an die Seite. Doch die dunkle, schwarze Nacht ge¬
mahnte endlich zur Umkehr, und den übrigen Theil des Abends brachten wir
drei Gesellen theils im Gespräch, theils mit Zeichnen der Wirthsleute hin.

Am frühen Morgen brachen wir auf, um das Hauptziel unseres Be¬
suches in Assisi, die Kirche S. Francesco zu sehen. Auf dem Weg" dahin
stießen wir noch auf manche andere Sehenswürdigkeiten, zunächst den wohl¬
erhaltenen Tempel der Minerva, der auf sechs hohen korinthischen Travertin-
säulen ein metopenloses Gebälk sammt dem Giebel noch trägt, und jetzt zur
Kirche dient. Fünf von den neun Stufen, die hinanführen, befinden sich
oberhalb der Säulenbasen. -- Es war -die erste antike Ruine, die wir so wohl
erhalten sahen; unser freudiges Erstaunen läßt sich daher denken. -- Weiter-


eine interessante Fassade von Ziegelstein, aus dem 11. oder 12. Jahrhundert,
mit säulentragenden Löwen und Greifen an den drei Portalen, mit marmor¬
nen Seitenpfosten, die mit Schlangengeflechten und allerlei Monstren ge¬
schmückt sind, sowie mit einer Säulengalerie. — Im modernisirten Innern
befinden sich Chorstühle aus dem 17. Jahrhundert, etwas schwer, doch nicht
ohne schöne Motive.

In der einschiffigen gothischen Kirche Sta. Chiara ist das Kreuzgewölbe
am Chor mit Fresken des Giottino geschmückt; auch die übrigen Wände
waren einst mit Fresken bedeckt, sind aber jetzt weiß übertüncht, eine Barba¬
rei, als deren Urheber der Mönch, der uns herumführte, mit schüchterner
Ironie einen ehemaligen Abt des Klosters bezüchtigte. — Einen malerischen
Anblick in verschiedener Hinsicht gewährten uns die großen Strebebögen, die
vom Rumpf der Kirche gesondert auf dem Boden stehen und einen Durch¬
gang gewähren, in dessen Mitte sich ein Brunnentrog befindet, wo verschie¬
dene Weiber geschwätzig ihre Eimer füllten. — Ebenso genießt man von dem
Platz vor der Kirche einen schönen Blick, sowohl auf die Bergspitze über Assisi,
deren Castell eben prächtig von der untergehenden Sonne beleuchtet war, als
auch auf die Gärten und Höfe der tieferliegenden Häuser, wo alles so male¬
risch und doch sauber durch einander gewürfelt war, wie ein Puppenspiel,
sowie endlich auf die, wie gesagt, bezaubernde Landschaft.

Unsere Reisegefährten blieben zurück, während wir noch einen kleinen
Gang vor das Thor machten, der Richtung zu, wo in einer Felsschlucht die
Einsiedelei delle Carceri verborgen liegt, wo der heilige Francesco seine An¬
dacht zu verrichten pflegte. Auch wir Reisenden wurden andächtig gestimmt,
als wir in der Dämmerung durch die frische gesegnete Landschaft, in herrlicher
Luft, dahinschritten und in heiterer Ruhe die Landleute entgegen kamen von
ihrer Arbeit. Die Bergwand zur Linken, mit den zierlichen Olivenbäumchen.
die immer mehr in den allgemeinen Umrissen der Dämmerung aufgingen,
fächelte die Ruhe und Harmlosigkeit der Natur zu, stellte ihre hehren Massen
als Schutz und Burg an die Seite. Doch die dunkle, schwarze Nacht ge¬
mahnte endlich zur Umkehr, und den übrigen Theil des Abends brachten wir
drei Gesellen theils im Gespräch, theils mit Zeichnen der Wirthsleute hin.

Am frühen Morgen brachen wir auf, um das Hauptziel unseres Be¬
suches in Assisi, die Kirche S. Francesco zu sehen. Auf dem Weg« dahin
stießen wir noch auf manche andere Sehenswürdigkeiten, zunächst den wohl¬
erhaltenen Tempel der Minerva, der auf sechs hohen korinthischen Travertin-
säulen ein metopenloses Gebälk sammt dem Giebel noch trägt, und jetzt zur
Kirche dient. Fünf von den neun Stufen, die hinanführen, befinden sich
oberhalb der Säulenbasen. — Es war -die erste antike Ruine, die wir so wohl
erhalten sahen; unser freudiges Erstaunen läßt sich daher denken. — Weiter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/469>, abgerufen am 24.07.2024.