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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Besprechung.
Des Herrn Freiherrn v. Leonhardi "Bemerkungen zur Tagesgeschichte."

Der Herr Freiherr v. Leonhardi, bekannt als begeisterter Verbreiter der
Krauseschen Philosophie und Haupt des sog. "Philosophencongresses," hat sich
gemüßigt gesehen, im 3. Hefte seiner Zeitschrift "die neue Zeit" (in Prag)
vom Katheder herab in die politische Arena zu schreiten und seine specula-
tiven philosophischen Auslassungen mit einer Anzahl abgerissener -- ja, man
kann sagen -- vom Zaune gerissener "Bemerkungen zur Tagesgeschichte" zu
schließen. Folgende Proben dürften die Leser dieser Blätter nicht wenig be¬
lustigen. Nachdem der genannte Herr Professor verlangt hat, daß "Preußen
Deutschland genügende Bürgschaften der Freiheit, und daß es ebenso Europa
eine Bürgschaft des Ernstes seiner verkündeten friedlichen Gesinnung gebe,"
ferner "daß die alte deutsche Kaiserstadt (welche?) wieder Parlamentsstadt
und wieder in ihre vollsten Rechte eingesetzt werde," fährt er im dictatorischen
Tone fort "unweigerlich" Folgendes "zu fordern:" "Wenn Deutschland einig
und frei werden soll, wenn Preußen die Ehre haben will, mit Hülfe der
Süddeutschen den jahrhundertjährigen (!) Störenfried Europas bleibend in
die Schranken gewiesen und dadurch einen dauernden Frieden ermöglicht zu
haben; zumal, wenn zu dem Zwecke Frankreich auf Grenzen eingeschränkt
werden soll, die es hatte, ehe es durch Beraubung seiner Nachbarn sich be¬
reicherte ---so darf auch Preußen nicht anstehen, seinen Raub (sog.
"Annexionen") vom I. 1866 wieder herauszugeben." In der nächsten Be¬
merkung wird der Reichstag als eine monarchisch gesinnte Volksver¬
tretung bezeichnet, "welcher freilich, wenigstens damals, der Unterschied
zwischen Monarchismus und Raubstaaterei (Cäsarismus) abhanden gekommen
war." -- Weiterhin läßt der Herr Professor "an den Preußenkönig" die
"weltgeschichtliche Frage" ergehen, ob er, "nahezu auf der Höhe der Macht
angelangt. Mannes genug sei, von Schmeichlern und Verblendern sich loszu¬
machen und, mehr noch als mit Worten, auch mit der sittlichen That Gott
und dem Rechte allein die Ehre zu geben." In dieser Verbindung weiß der
Verfasser die Bezeichnung "Oberschlachtmeister" in seinem Sinne zweckmäßig
anzubringen. Alsbald richtet er seinen Zorn gegen "die Gräuel und Wanda¬
lismen, mit denen Führer deutscher Krieger bei der jetzigen Kriegführung den
deutschen Namen verunehren." Er beklagt den "deutschen Vaterlandsfreund,"
der allein durch die Wiener "Tagespresse" die "gesteigerte Barbarei
unserer Heerführung wegen ihres Wüthens gegen offene Städte,
gegen Schätze der Wissenschaft und der Kunst und gegen Greise, Weiber
und Kinder" zur öffentlichen Kenntniß bringen konnte. Am bösesten


Besprechung.
Des Herrn Freiherrn v. Leonhardi „Bemerkungen zur Tagesgeschichte."

Der Herr Freiherr v. Leonhardi, bekannt als begeisterter Verbreiter der
Krauseschen Philosophie und Haupt des sog. „Philosophencongresses," hat sich
gemüßigt gesehen, im 3. Hefte seiner Zeitschrift „die neue Zeit" (in Prag)
vom Katheder herab in die politische Arena zu schreiten und seine specula-
tiven philosophischen Auslassungen mit einer Anzahl abgerissener — ja, man
kann sagen — vom Zaune gerissener „Bemerkungen zur Tagesgeschichte" zu
schließen. Folgende Proben dürften die Leser dieser Blätter nicht wenig be¬
lustigen. Nachdem der genannte Herr Professor verlangt hat, daß „Preußen
Deutschland genügende Bürgschaften der Freiheit, und daß es ebenso Europa
eine Bürgschaft des Ernstes seiner verkündeten friedlichen Gesinnung gebe,"
ferner „daß die alte deutsche Kaiserstadt (welche?) wieder Parlamentsstadt
und wieder in ihre vollsten Rechte eingesetzt werde," fährt er im dictatorischen
Tone fort „unweigerlich" Folgendes „zu fordern:" „Wenn Deutschland einig
und frei werden soll, wenn Preußen die Ehre haben will, mit Hülfe der
Süddeutschen den jahrhundertjährigen (!) Störenfried Europas bleibend in
die Schranken gewiesen und dadurch einen dauernden Frieden ermöglicht zu
haben; zumal, wenn zu dem Zwecke Frankreich auf Grenzen eingeschränkt
werden soll, die es hatte, ehe es durch Beraubung seiner Nachbarn sich be¬
reicherte ---so darf auch Preußen nicht anstehen, seinen Raub (sog.
„Annexionen") vom I. 1866 wieder herauszugeben." In der nächsten Be¬
merkung wird der Reichstag als eine monarchisch gesinnte Volksver¬
tretung bezeichnet, „welcher freilich, wenigstens damals, der Unterschied
zwischen Monarchismus und Raubstaaterei (Cäsarismus) abhanden gekommen
war." — Weiterhin läßt der Herr Professor „an den Preußenkönig" die
„weltgeschichtliche Frage" ergehen, ob er, „nahezu auf der Höhe der Macht
angelangt. Mannes genug sei, von Schmeichlern und Verblendern sich loszu¬
machen und, mehr noch als mit Worten, auch mit der sittlichen That Gott
und dem Rechte allein die Ehre zu geben." In dieser Verbindung weiß der
Verfasser die Bezeichnung „Oberschlachtmeister" in seinem Sinne zweckmäßig
anzubringen. Alsbald richtet er seinen Zorn gegen „die Gräuel und Wanda¬
lismen, mit denen Führer deutscher Krieger bei der jetzigen Kriegführung den
deutschen Namen verunehren." Er beklagt den „deutschen Vaterlandsfreund,"
der allein durch die Wiener „Tagespresse" die „gesteigerte Barbarei
unserer Heerführung wegen ihres Wüthens gegen offene Städte,
gegen Schätze der Wissenschaft und der Kunst und gegen Greise, Weiber
und Kinder" zur öffentlichen Kenntniß bringen konnte. Am bösesten


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[0046] Besprechung. Des Herrn Freiherrn v. Leonhardi „Bemerkungen zur Tagesgeschichte." Der Herr Freiherr v. Leonhardi, bekannt als begeisterter Verbreiter der Krauseschen Philosophie und Haupt des sog. „Philosophencongresses," hat sich gemüßigt gesehen, im 3. Hefte seiner Zeitschrift „die neue Zeit" (in Prag) vom Katheder herab in die politische Arena zu schreiten und seine specula- tiven philosophischen Auslassungen mit einer Anzahl abgerissener — ja, man kann sagen — vom Zaune gerissener „Bemerkungen zur Tagesgeschichte" zu schließen. Folgende Proben dürften die Leser dieser Blätter nicht wenig be¬ lustigen. Nachdem der genannte Herr Professor verlangt hat, daß „Preußen Deutschland genügende Bürgschaften der Freiheit, und daß es ebenso Europa eine Bürgschaft des Ernstes seiner verkündeten friedlichen Gesinnung gebe," ferner „daß die alte deutsche Kaiserstadt (welche?) wieder Parlamentsstadt und wieder in ihre vollsten Rechte eingesetzt werde," fährt er im dictatorischen Tone fort „unweigerlich" Folgendes „zu fordern:" „Wenn Deutschland einig und frei werden soll, wenn Preußen die Ehre haben will, mit Hülfe der Süddeutschen den jahrhundertjährigen (!) Störenfried Europas bleibend in die Schranken gewiesen und dadurch einen dauernden Frieden ermöglicht zu haben; zumal, wenn zu dem Zwecke Frankreich auf Grenzen eingeschränkt werden soll, die es hatte, ehe es durch Beraubung seiner Nachbarn sich be¬ reicherte ---so darf auch Preußen nicht anstehen, seinen Raub (sog. „Annexionen") vom I. 1866 wieder herauszugeben." In der nächsten Be¬ merkung wird der Reichstag als eine monarchisch gesinnte Volksver¬ tretung bezeichnet, „welcher freilich, wenigstens damals, der Unterschied zwischen Monarchismus und Raubstaaterei (Cäsarismus) abhanden gekommen war." — Weiterhin läßt der Herr Professor „an den Preußenkönig" die „weltgeschichtliche Frage" ergehen, ob er, „nahezu auf der Höhe der Macht angelangt. Mannes genug sei, von Schmeichlern und Verblendern sich loszu¬ machen und, mehr noch als mit Worten, auch mit der sittlichen That Gott und dem Rechte allein die Ehre zu geben." In dieser Verbindung weiß der Verfasser die Bezeichnung „Oberschlachtmeister" in seinem Sinne zweckmäßig anzubringen. Alsbald richtet er seinen Zorn gegen „die Gräuel und Wanda¬ lismen, mit denen Führer deutscher Krieger bei der jetzigen Kriegführung den deutschen Namen verunehren." Er beklagt den „deutschen Vaterlandsfreund," der allein durch die Wiener „Tagespresse" die „gesteigerte Barbarei unserer Heerführung wegen ihres Wüthens gegen offene Städte, gegen Schätze der Wissenschaft und der Kunst und gegen Greise, Weiber und Kinder" zur öffentlichen Kenntniß bringen konnte. Am bösesten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/46>, abgerufen am 24.07.2024.