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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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ber sehr häufig zur Besprechung colonialer wie religiöser Angelegenheiten
zusammenkamen, den Ehrentitel "Club der Freidenker" und selbst "Club der
Höllengeister" erhielten. Gar bald loderte der Krieg zwischen dem Clerus, der
sich der Boston Gazette als Angriffsorgan bediente, und den Franklin's in
hellen Flammen auf. Besonders das Haupt der puritanischen Geistlich¬
keit, der alte Prediger Jncrease Malser, erging sich in fulminanten Artikeln
wider seine Gegner, und sparte in seinen Phrasen weder Hölle, Teufel, noch
Verdammniß. Als aber keine Ermahnungen, Exhortationen und Angriffe
etwas helfen wollten, da schleuderte der alte achtzigjährige Priester eine
Excommunication gegen das "Blatt des Verderbens." Die Franklin's beeilten
sich, diese Excommunication Wort für Wort aus der Gazette abzudrucken:
sie antworteten in einem spaßhaften Ton und benachrichtigten maliciöser Weise
ihre Gegner vierzehn Tage später, daß sie vierzig neue Abonnenten erhalten
hätten. Sie hatten wohl bisher alle Lacher auf ihrer Seite, doch sollten sie
nicht mehr ungestraft einer Partei trotzen, welche im Besitz der Macht war.
Die Session des "FeiieM court", der gesetzgebenden Versammlung von Massa¬
chusetts kam heran, und der Courant, der am 11. Juni 1722 einen sarka¬
stischen Artikel gegen die Langsamkeit der Autoritäten, aus unbedeutender
Veranlassung gebracht hatte, wurde in Person seines Redacteurs und Ver¬
legers James Franklin am nächsten Morgen vor die hochmögenden Herren
der Colonie gefordert, und zu Gefängniß verurtheilt "als schuldig Artikel
veröffentlicht zu haben voll kühner, anmaßender Reflexionen über die Regie-
'rung Sr. Majestät, über die Verwaltung dieser Provinz, über das Predigt¬
amt, die Kirchen und die Universität, welche ganz dazu angethan seien, den
Geist des Lesers mit Eitelkeit anzufüllen zur großen Unehre Gottes und zum
Aergerniß der guten Seelen." Diese Verurtheilung James Franklin's ist sehr
bemerkenswerth, da sie das Werk der populären Gewalt war. Der gesetz¬
gebende Körper maßte sich das Recht an, über einen Schriftsteller zu Gericht
zu sitzen und ihn zu verurtheilen, ohne Dazwischenkunft einer Jury, ohne
irgend eine gerichtliche Procedur, ohne irgend eine contradictorische Verhand¬
lung, und ohne darzuthun, wo er denn eigentlich seine Befugniß geschöpft
hatte. Es ist dies der erste Fall, wo die Freiheit der Presse in Amerika auf
dem Spiel stand. Die colonialen Gesetzgeber, ganz in Nachahmung des eng¬
lischen Parlaments, zögerten niemals, sich von allen hergebrachten und fest¬
gesetzten Formen, und selbst vom Fundamentalprincip des englischen Gesetzes,
welches die Aburtheilung durch eine Jury verlangt, Schriftstellern gegenüber,
frei und ungebunden zu glauben; doch die Sitten waren stärker als sie, und
die Revolution, welche die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten heiligte,
gebar auch mit einem Schlag die absolute Freiheit der Presse. James Frank¬
lin blieb einen ganzen Monat im Gefängniß und der Courant wurde was-


ber sehr häufig zur Besprechung colonialer wie religiöser Angelegenheiten
zusammenkamen, den Ehrentitel „Club der Freidenker" und selbst „Club der
Höllengeister" erhielten. Gar bald loderte der Krieg zwischen dem Clerus, der
sich der Boston Gazette als Angriffsorgan bediente, und den Franklin's in
hellen Flammen auf. Besonders das Haupt der puritanischen Geistlich¬
keit, der alte Prediger Jncrease Malser, erging sich in fulminanten Artikeln
wider seine Gegner, und sparte in seinen Phrasen weder Hölle, Teufel, noch
Verdammniß. Als aber keine Ermahnungen, Exhortationen und Angriffe
etwas helfen wollten, da schleuderte der alte achtzigjährige Priester eine
Excommunication gegen das „Blatt des Verderbens." Die Franklin's beeilten
sich, diese Excommunication Wort für Wort aus der Gazette abzudrucken:
sie antworteten in einem spaßhaften Ton und benachrichtigten maliciöser Weise
ihre Gegner vierzehn Tage später, daß sie vierzig neue Abonnenten erhalten
hätten. Sie hatten wohl bisher alle Lacher auf ihrer Seite, doch sollten sie
nicht mehr ungestraft einer Partei trotzen, welche im Besitz der Macht war.
Die Session des „FeiieM court", der gesetzgebenden Versammlung von Massa¬
chusetts kam heran, und der Courant, der am 11. Juni 1722 einen sarka¬
stischen Artikel gegen die Langsamkeit der Autoritäten, aus unbedeutender
Veranlassung gebracht hatte, wurde in Person seines Redacteurs und Ver¬
legers James Franklin am nächsten Morgen vor die hochmögenden Herren
der Colonie gefordert, und zu Gefängniß verurtheilt „als schuldig Artikel
veröffentlicht zu haben voll kühner, anmaßender Reflexionen über die Regie-
'rung Sr. Majestät, über die Verwaltung dieser Provinz, über das Predigt¬
amt, die Kirchen und die Universität, welche ganz dazu angethan seien, den
Geist des Lesers mit Eitelkeit anzufüllen zur großen Unehre Gottes und zum
Aergerniß der guten Seelen." Diese Verurtheilung James Franklin's ist sehr
bemerkenswerth, da sie das Werk der populären Gewalt war. Der gesetz¬
gebende Körper maßte sich das Recht an, über einen Schriftsteller zu Gericht
zu sitzen und ihn zu verurtheilen, ohne Dazwischenkunft einer Jury, ohne
irgend eine gerichtliche Procedur, ohne irgend eine contradictorische Verhand¬
lung, und ohne darzuthun, wo er denn eigentlich seine Befugniß geschöpft
hatte. Es ist dies der erste Fall, wo die Freiheit der Presse in Amerika auf
dem Spiel stand. Die colonialen Gesetzgeber, ganz in Nachahmung des eng¬
lischen Parlaments, zögerten niemals, sich von allen hergebrachten und fest¬
gesetzten Formen, und selbst vom Fundamentalprincip des englischen Gesetzes,
welches die Aburtheilung durch eine Jury verlangt, Schriftstellern gegenüber,
frei und ungebunden zu glauben; doch die Sitten waren stärker als sie, und
die Revolution, welche die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten heiligte,
gebar auch mit einem Schlag die absolute Freiheit der Presse. James Frank¬
lin blieb einen ganzen Monat im Gefängniß und der Courant wurde was-


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[0456] ber sehr häufig zur Besprechung colonialer wie religiöser Angelegenheiten zusammenkamen, den Ehrentitel „Club der Freidenker" und selbst „Club der Höllengeister" erhielten. Gar bald loderte der Krieg zwischen dem Clerus, der sich der Boston Gazette als Angriffsorgan bediente, und den Franklin's in hellen Flammen auf. Besonders das Haupt der puritanischen Geistlich¬ keit, der alte Prediger Jncrease Malser, erging sich in fulminanten Artikeln wider seine Gegner, und sparte in seinen Phrasen weder Hölle, Teufel, noch Verdammniß. Als aber keine Ermahnungen, Exhortationen und Angriffe etwas helfen wollten, da schleuderte der alte achtzigjährige Priester eine Excommunication gegen das „Blatt des Verderbens." Die Franklin's beeilten sich, diese Excommunication Wort für Wort aus der Gazette abzudrucken: sie antworteten in einem spaßhaften Ton und benachrichtigten maliciöser Weise ihre Gegner vierzehn Tage später, daß sie vierzig neue Abonnenten erhalten hätten. Sie hatten wohl bisher alle Lacher auf ihrer Seite, doch sollten sie nicht mehr ungestraft einer Partei trotzen, welche im Besitz der Macht war. Die Session des „FeiieM court", der gesetzgebenden Versammlung von Massa¬ chusetts kam heran, und der Courant, der am 11. Juni 1722 einen sarka¬ stischen Artikel gegen die Langsamkeit der Autoritäten, aus unbedeutender Veranlassung gebracht hatte, wurde in Person seines Redacteurs und Ver¬ legers James Franklin am nächsten Morgen vor die hochmögenden Herren der Colonie gefordert, und zu Gefängniß verurtheilt „als schuldig Artikel veröffentlicht zu haben voll kühner, anmaßender Reflexionen über die Regie- 'rung Sr. Majestät, über die Verwaltung dieser Provinz, über das Predigt¬ amt, die Kirchen und die Universität, welche ganz dazu angethan seien, den Geist des Lesers mit Eitelkeit anzufüllen zur großen Unehre Gottes und zum Aergerniß der guten Seelen." Diese Verurtheilung James Franklin's ist sehr bemerkenswerth, da sie das Werk der populären Gewalt war. Der gesetz¬ gebende Körper maßte sich das Recht an, über einen Schriftsteller zu Gericht zu sitzen und ihn zu verurtheilen, ohne Dazwischenkunft einer Jury, ohne irgend eine gerichtliche Procedur, ohne irgend eine contradictorische Verhand¬ lung, und ohne darzuthun, wo er denn eigentlich seine Befugniß geschöpft hatte. Es ist dies der erste Fall, wo die Freiheit der Presse in Amerika auf dem Spiel stand. Die colonialen Gesetzgeber, ganz in Nachahmung des eng¬ lischen Parlaments, zögerten niemals, sich von allen hergebrachten und fest¬ gesetzten Formen, und selbst vom Fundamentalprincip des englischen Gesetzes, welches die Aburtheilung durch eine Jury verlangt, Schriftstellern gegenüber, frei und ungebunden zu glauben; doch die Sitten waren stärker als sie, und die Revolution, welche die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten heiligte, gebar auch mit einem Schlag die absolute Freiheit der Presse. James Frank¬ lin blieb einen ganzen Monat im Gefängniß und der Courant wurde was-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/456>, abgerufen am 24.07.2024.