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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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halten, um mit der Schnupftabaksdose zu exerciren, die diesen Ehrwürdigen
unentbehrlich ist. Auf Commando öffnet man die mit Rattenschwänzen ge¬
schmückten Dosen, nimmt man seine Prise, zerreibt man sie, zieht man sie
ein, klappt man die Dose wieder zu, niest man, dann setzt das Bataillon sei¬
nen Marsch fort." "Ein Unglücksfall zu verzeichnen. Der tapfere Oberst¬
leutnant Klops, im 82. Jahre von Berlin ausgerückt, bei Rastadt kindisch
geworden, ist, als er den Boden Frankreichs betrat, an Alterschwäche ge¬
storben".

Das war gewiß sehr niedlich. Da kommt die Kunde: der Kaiser und
80,000 Franzosen gefangen genommen. Das Lächeln von Paris fängt an
zu vergehen. Aber was! Könnte auch Paris besiegt werden? Gott behüte!
der "Figaro" beeilt sich, ihm ein Patent aus die Unbesiegbarkeit auszustellen.
Es lautet:

"Unser Mitarbeiter de Pere hat eine Vertheidigungsmaschine erfunden,
welche Chasfepots. Mitrailleusen und Gußstahlkanonen weit hinter sich läßt.
Diese Maschine ist nur ein Wort, ein Zündnadelwort, ein gezognes Wort,
ein Wort geladen mit Pottasche-Picrat. Wenn Paris besiegt wird, hat er
gesagt, so wird Paris lächerlich sein".

Das wäre also pariser "Geist". Umsonst sucht man in der Geschichte
nach ähnlichem Wahnwitz. Und dabei setzten diese Journale, welche sichs zur
Aufgabe gemacht zu haben scheinen, ihr Vaterland und Volk in den Augen
der ganzen Welt zu degradiren, Frankreich um jedes Anrecht auf die Zunei¬
gung, die Achtung, selbst das Mitleid zu bringen und es bis in sein tiefstes
Unglück hinein zu entehren, ihre hunderttausend Exemplare ab.

Am Is. Juli, wo der Krieg erklärt wurde, hatte in Frankreich, wie es
scheint, kein Mensch ein Gefühl der blutigen Verantwortlichkeit, welche auf
den Angreifer fällt. Die Regierung mit ihrem Schweif, die Presse, das Pu-
blieum theilte am Vorabend des Blutbades die glückliche Leichtherzigkeit jenes
Ministers, welcher die letzte und würdigste Fleischwerdung der imperialisti¬
schen Moralität und Intelligenz darstellte.

Die "Liberte'" gestand, ohne ihre Brutalität zu merken, am 20. Juli:
"die überlegne Tragweite der Chassepots ist einer der Gründe gewesen, welche
den Krieg entschieden haben".

Ein andrer Grund scheint die fröhliche Zuversicht gewesen zu sein, welche
die Mitrailleuse einflößte. Dieselbe schien nach den mit ihr angestellten Pro¬
ben den liebenswürdigen Namen zu verdienen, den der Romantiker d'Arlin-
court dem Schwerte eines seiner Paladine gab, den Namen der schönen
Schnitterin, und in seinem Bericht von dem Phantasiesiege bei Saarbrücken
zeigte richtig der "Gaulois" mit Behagen an, daß die Mitrailleusen bei diesem
Versuch "den Feind unbarmherzig niedergesichelt" hätten.


halten, um mit der Schnupftabaksdose zu exerciren, die diesen Ehrwürdigen
unentbehrlich ist. Auf Commando öffnet man die mit Rattenschwänzen ge¬
schmückten Dosen, nimmt man seine Prise, zerreibt man sie, zieht man sie
ein, klappt man die Dose wieder zu, niest man, dann setzt das Bataillon sei¬
nen Marsch fort." „Ein Unglücksfall zu verzeichnen. Der tapfere Oberst¬
leutnant Klops, im 82. Jahre von Berlin ausgerückt, bei Rastadt kindisch
geworden, ist, als er den Boden Frankreichs betrat, an Alterschwäche ge¬
storben".

Das war gewiß sehr niedlich. Da kommt die Kunde: der Kaiser und
80,000 Franzosen gefangen genommen. Das Lächeln von Paris fängt an
zu vergehen. Aber was! Könnte auch Paris besiegt werden? Gott behüte!
der „Figaro" beeilt sich, ihm ein Patent aus die Unbesiegbarkeit auszustellen.
Es lautet:

„Unser Mitarbeiter de Pere hat eine Vertheidigungsmaschine erfunden,
welche Chasfepots. Mitrailleusen und Gußstahlkanonen weit hinter sich läßt.
Diese Maschine ist nur ein Wort, ein Zündnadelwort, ein gezognes Wort,
ein Wort geladen mit Pottasche-Picrat. Wenn Paris besiegt wird, hat er
gesagt, so wird Paris lächerlich sein".

Das wäre also pariser „Geist". Umsonst sucht man in der Geschichte
nach ähnlichem Wahnwitz. Und dabei setzten diese Journale, welche sichs zur
Aufgabe gemacht zu haben scheinen, ihr Vaterland und Volk in den Augen
der ganzen Welt zu degradiren, Frankreich um jedes Anrecht auf die Zunei¬
gung, die Achtung, selbst das Mitleid zu bringen und es bis in sein tiefstes
Unglück hinein zu entehren, ihre hunderttausend Exemplare ab.

Am Is. Juli, wo der Krieg erklärt wurde, hatte in Frankreich, wie es
scheint, kein Mensch ein Gefühl der blutigen Verantwortlichkeit, welche auf
den Angreifer fällt. Die Regierung mit ihrem Schweif, die Presse, das Pu-
blieum theilte am Vorabend des Blutbades die glückliche Leichtherzigkeit jenes
Ministers, welcher die letzte und würdigste Fleischwerdung der imperialisti¬
schen Moralität und Intelligenz darstellte.

Die „Liberte'" gestand, ohne ihre Brutalität zu merken, am 20. Juli:
„die überlegne Tragweite der Chassepots ist einer der Gründe gewesen, welche
den Krieg entschieden haben".

Ein andrer Grund scheint die fröhliche Zuversicht gewesen zu sein, welche
die Mitrailleuse einflößte. Dieselbe schien nach den mit ihr angestellten Pro¬
ben den liebenswürdigen Namen zu verdienen, den der Romantiker d'Arlin-
court dem Schwerte eines seiner Paladine gab, den Namen der schönen
Schnitterin, und in seinem Bericht von dem Phantasiesiege bei Saarbrücken
zeigte richtig der „Gaulois" mit Behagen an, daß die Mitrailleusen bei diesem
Versuch „den Feind unbarmherzig niedergesichelt" hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/437>, abgerufen am 24.07.2024.