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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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31. Januar verschoben und im Februar die officiellen Sitzungen öfters
vertagt worden waren -- mit der Behauptung begann, die britische Regierung
habe die Conferenz mit einem vorgefaßten Entschluß zusammentreten lassen,
welcher der Ehre Englands zuwiderliefe. Er wünsche den Zweck der Confe¬
renz, welche mit soviel Zweideutigkeit und Geheimnißthuerei umgeben werde,
kennen zu lernen. Er behauptete wiederholt, daß die Neutralisirung des
schwarzen Meeres der wesentliche Theil des Vertrages von 1856, daß das
Cabinet Palmerston sammt Clarendon und Russell den Krieg ein ganzes
Jahr hindurch zu diesem einzigen Zwecke weiter geführt habe, und daß sich
diese Politik der britischen Regierung niemals, wenigstens bis zum vorigen
November, änderte. Er klagte die Conferenz an, sie habe nur den Zweck,
Großbritanniens Demüthigung zu registriren. Gladstone, der Premier, be¬
hauptete dann empfindlich, daß er sowohl seine Rede als die Depeschen ver¬
dreht und falsch dargestellt hätte. In Betreff der Neutralität meinte er, wie
er immer glaube, daß auch Lord Palmerston überzeugt gewesen sei, daß die¬
selbe nicht für immer werde durchgesetzt werden können. Man wolle nicht
eine neue Controverse zu einer Zeit eröffnen, in welcher die größte Harmonie
unter den Neutralen von der höchsten Bedeutung sei. -- Nachdem am 10.
März die vorletzte (5.) Sitzung der Conferenz abgehalten und die Unterzeich¬
nung des Schlußprotokolls stattgefunden hatte und nur noch die formelle
Schlußsitzung bevorstand, richtete Baillie-Cochrane die Anfrage an den Mini¬
ster, ob die Regierung beabsichtige, sich vor Abschluß der Conferenz ins Klare
zu setzen, welches die Fälle seien, unter denen nach Baron Brunnows Ansicht
eine Verletzung des Vertrages von 1856 gerechtfertigt sein würde; an diese
Frage wurde noch das Ansuchen um Auskunft geknüpft, ob Lord Enfield
Mittheilungen über den Verlauf der Conferenz machen könne. Dieser er¬
widerte, daß die fraglichen Fälle sich auf die möglichen Folgen des Krieges
zwischen Oestreich und Italien, auf die Integrität des türkischen Reiches
bezögen. Er machte dann die Mittheilung, daß ein Vertrag eben abgeschlos¬
sen worden sei, durch den die Bestimmungen des Vertrages von 1856 hin¬
sichtlich der Neutralisirung des schwarzen Meeres abgeschafft, und die Be¬
schränkungen der Pforte bezüglich der Schließung der Dardanellen und des
Bosporus in Friedenszeit modificirt werden, sodaß dieselben im Frieden für
befreundete und verbündete Mächte geöffnet werden könnten. Er versprach
die Protokolle möglichst bald vorzulegen. Dem Oberhause wurde eine iden¬
tische Mittheilung gemacht. Der neue Vertrag, aus neun Artikeln bestehend,
von Preußen, Oestreich, England. Italien, Rußland und der Türkei, sowie
von dem inzwischen eingetroffenen und eben eingetretenen Gesandten Frank¬
reichs, Herzog von Broglie, unterschrieben, wurde am 17. März dem Par¬
lament vorgelegt. Jetzt trat die Opposition mit ihren Angriffen ernstlich


31. Januar verschoben und im Februar die officiellen Sitzungen öfters
vertagt worden waren — mit der Behauptung begann, die britische Regierung
habe die Conferenz mit einem vorgefaßten Entschluß zusammentreten lassen,
welcher der Ehre Englands zuwiderliefe. Er wünsche den Zweck der Confe¬
renz, welche mit soviel Zweideutigkeit und Geheimnißthuerei umgeben werde,
kennen zu lernen. Er behauptete wiederholt, daß die Neutralisirung des
schwarzen Meeres der wesentliche Theil des Vertrages von 1856, daß das
Cabinet Palmerston sammt Clarendon und Russell den Krieg ein ganzes
Jahr hindurch zu diesem einzigen Zwecke weiter geführt habe, und daß sich
diese Politik der britischen Regierung niemals, wenigstens bis zum vorigen
November, änderte. Er klagte die Conferenz an, sie habe nur den Zweck,
Großbritanniens Demüthigung zu registriren. Gladstone, der Premier, be¬
hauptete dann empfindlich, daß er sowohl seine Rede als die Depeschen ver¬
dreht und falsch dargestellt hätte. In Betreff der Neutralität meinte er, wie
er immer glaube, daß auch Lord Palmerston überzeugt gewesen sei, daß die¬
selbe nicht für immer werde durchgesetzt werden können. Man wolle nicht
eine neue Controverse zu einer Zeit eröffnen, in welcher die größte Harmonie
unter den Neutralen von der höchsten Bedeutung sei. — Nachdem am 10.
März die vorletzte (5.) Sitzung der Conferenz abgehalten und die Unterzeich¬
nung des Schlußprotokolls stattgefunden hatte und nur noch die formelle
Schlußsitzung bevorstand, richtete Baillie-Cochrane die Anfrage an den Mini¬
ster, ob die Regierung beabsichtige, sich vor Abschluß der Conferenz ins Klare
zu setzen, welches die Fälle seien, unter denen nach Baron Brunnows Ansicht
eine Verletzung des Vertrages von 1856 gerechtfertigt sein würde; an diese
Frage wurde noch das Ansuchen um Auskunft geknüpft, ob Lord Enfield
Mittheilungen über den Verlauf der Conferenz machen könne. Dieser er¬
widerte, daß die fraglichen Fälle sich auf die möglichen Folgen des Krieges
zwischen Oestreich und Italien, auf die Integrität des türkischen Reiches
bezögen. Er machte dann die Mittheilung, daß ein Vertrag eben abgeschlos¬
sen worden sei, durch den die Bestimmungen des Vertrages von 1856 hin¬
sichtlich der Neutralisirung des schwarzen Meeres abgeschafft, und die Be¬
schränkungen der Pforte bezüglich der Schließung der Dardanellen und des
Bosporus in Friedenszeit modificirt werden, sodaß dieselben im Frieden für
befreundete und verbündete Mächte geöffnet werden könnten. Er versprach
die Protokolle möglichst bald vorzulegen. Dem Oberhause wurde eine iden¬
tische Mittheilung gemacht. Der neue Vertrag, aus neun Artikeln bestehend,
von Preußen, Oestreich, England. Italien, Rußland und der Türkei, sowie
von dem inzwischen eingetroffenen und eben eingetretenen Gesandten Frank¬
reichs, Herzog von Broglie, unterschrieben, wurde am 17. März dem Par¬
lament vorgelegt. Jetzt trat die Opposition mit ihren Angriffen ernstlich


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[0411] 31. Januar verschoben und im Februar die officiellen Sitzungen öfters vertagt worden waren — mit der Behauptung begann, die britische Regierung habe die Conferenz mit einem vorgefaßten Entschluß zusammentreten lassen, welcher der Ehre Englands zuwiderliefe. Er wünsche den Zweck der Confe¬ renz, welche mit soviel Zweideutigkeit und Geheimnißthuerei umgeben werde, kennen zu lernen. Er behauptete wiederholt, daß die Neutralisirung des schwarzen Meeres der wesentliche Theil des Vertrages von 1856, daß das Cabinet Palmerston sammt Clarendon und Russell den Krieg ein ganzes Jahr hindurch zu diesem einzigen Zwecke weiter geführt habe, und daß sich diese Politik der britischen Regierung niemals, wenigstens bis zum vorigen November, änderte. Er klagte die Conferenz an, sie habe nur den Zweck, Großbritanniens Demüthigung zu registriren. Gladstone, der Premier, be¬ hauptete dann empfindlich, daß er sowohl seine Rede als die Depeschen ver¬ dreht und falsch dargestellt hätte. In Betreff der Neutralität meinte er, wie er immer glaube, daß auch Lord Palmerston überzeugt gewesen sei, daß die¬ selbe nicht für immer werde durchgesetzt werden können. Man wolle nicht eine neue Controverse zu einer Zeit eröffnen, in welcher die größte Harmonie unter den Neutralen von der höchsten Bedeutung sei. — Nachdem am 10. März die vorletzte (5.) Sitzung der Conferenz abgehalten und die Unterzeich¬ nung des Schlußprotokolls stattgefunden hatte und nur noch die formelle Schlußsitzung bevorstand, richtete Baillie-Cochrane die Anfrage an den Mini¬ ster, ob die Regierung beabsichtige, sich vor Abschluß der Conferenz ins Klare zu setzen, welches die Fälle seien, unter denen nach Baron Brunnows Ansicht eine Verletzung des Vertrages von 1856 gerechtfertigt sein würde; an diese Frage wurde noch das Ansuchen um Auskunft geknüpft, ob Lord Enfield Mittheilungen über den Verlauf der Conferenz machen könne. Dieser er¬ widerte, daß die fraglichen Fälle sich auf die möglichen Folgen des Krieges zwischen Oestreich und Italien, auf die Integrität des türkischen Reiches bezögen. Er machte dann die Mittheilung, daß ein Vertrag eben abgeschlos¬ sen worden sei, durch den die Bestimmungen des Vertrages von 1856 hin¬ sichtlich der Neutralisirung des schwarzen Meeres abgeschafft, und die Be¬ schränkungen der Pforte bezüglich der Schließung der Dardanellen und des Bosporus in Friedenszeit modificirt werden, sodaß dieselben im Frieden für befreundete und verbündete Mächte geöffnet werden könnten. Er versprach die Protokolle möglichst bald vorzulegen. Dem Oberhause wurde eine iden¬ tische Mittheilung gemacht. Der neue Vertrag, aus neun Artikeln bestehend, von Preußen, Oestreich, England. Italien, Rußland und der Türkei, sowie von dem inzwischen eingetroffenen und eben eingetretenen Gesandten Frank¬ reichs, Herzog von Broglie, unterschrieben, wurde am 17. März dem Par¬ lament vorgelegt. Jetzt trat die Opposition mit ihren Angriffen ernstlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/411>, abgerufen am 24.07.2024.