Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

allem aber der Absolutismus ist, dies liegt jetzt auf offener Hand. Man
wird sich erinnern, wie sehr das Fernbleiben der allergetreuesten Opposition
vom Reichsrathe bedauert, wie tief beklagt wurde, daß sie sich nicht schaaren
will um den Thron: nun sind die Deelaranten versöhnt, sie sind bereit, das
Abgeordnetenhaus zu beschicken, freilich nur einmal, und um den Preis der
Aufhebung der Verfassung. Noch vor drei Wochen wurde eine geschmeidige
Broschüre: "Die Verfassungspartei und Graf Hohenwart" verbreitet, höchst
versöhnlichen Inhalts, es sollte den Anschein gewinnen, als wolle man den
Deutschen die Hand bieten; nun ist, was schon längst beschlossen und insge¬
heim vorbereitet war, zu Tage getreten, das Abgeordnetenhaus und die sieben
verfassungstreuen Landtage sind aufgelöst, der ihnen erklärte Krieg ist der
verheißene "innere Friede." Nichts über die Jesuiten!

Graf Hohenwart besitzt in staatlichen Dingen weder Theorie noch Praxis,
sonst würde er nicht im Lause weniger Monate von einem Projecte zum an¬
deren wanken. Sein erster, die Abänderung der Verfassung bezweckender An¬
trag im Abgeordnetenhause lautete auf Erweiterung der Autonomie der Land¬
tage nach Maßgabe ihrer diesfälligen Beschlüsse, die Regierung sollte sie dem
Reichsrathe übermitteln und dieser sie unverändert annehmen oder ablehnen;
zehn Tage nachher brachte er im directen Widerspruche damit die von ihm
willkürlich abgeänderte Resolution des galizischen Landtages im Abgeordneten¬
hause ein, und beantragte deren Annahme. Und in Folge der letzten Aus¬
gleichsverhandlungen einigte er sich mit den Führern der Altczechen über die
weiteste Autonomie des böhmischen Landtags in administrativen, rechtlichen
und finanziellen Angelegenheiten, die er früher den Polen verweigert. Ja,
kurz nachher erfahren wir sogar, daß er sich selbst dem äußersten Begehren
der Czechen gefügt, wornach sie auf alle Kronländer der westlichen Reichs¬
hälfte ausgedehnt und der Staat überhaupt auf rein föderalistische Grundlage
gestellt werden soll. Auch wurde in der vorerwähnten Broschüre die Stelle,
worin erklärt wird, er werde zu keinem größeren Zugeständnisse als dem der
galizischen Vorlage die Hand bieten, noch während des Druckes gestrichen.
Graf Hohenwart hält alle seine Ansichten und Pläne so geheim als möglich,
weil sie sich fast täglich ändern. Und wie eigenthümlich, wie genial und groß
erweisen sie sich, wenn sie endlich einmal nach reiflichem Nachdenken über die
höchsten Probleme an's Licht treten! Was Gelehrte und Theoretiker ängstlich
ersonnen und aufgestellt, gilt ihm kaum mehr als Spreu, kaum werth in
seinen Papierkorb zu wandern. Dafür gefällt er sich über Föderation und
Centralisation in Begriffen, welche die Thatsachen in's Reich der Träume
verweisen. Auch das Bank- und Schulwesen erscheinen ihm nach jener Bro¬
schüre nur als nichtige Kleinigkeiten, wer die wirthschaftliche Entwicklung und
Volksbildung nicht als Nebendinge betrachtet, ist ihm ein "Flachkopf." Es


allem aber der Absolutismus ist, dies liegt jetzt auf offener Hand. Man
wird sich erinnern, wie sehr das Fernbleiben der allergetreuesten Opposition
vom Reichsrathe bedauert, wie tief beklagt wurde, daß sie sich nicht schaaren
will um den Thron: nun sind die Deelaranten versöhnt, sie sind bereit, das
Abgeordnetenhaus zu beschicken, freilich nur einmal, und um den Preis der
Aufhebung der Verfassung. Noch vor drei Wochen wurde eine geschmeidige
Broschüre: „Die Verfassungspartei und Graf Hohenwart" verbreitet, höchst
versöhnlichen Inhalts, es sollte den Anschein gewinnen, als wolle man den
Deutschen die Hand bieten; nun ist, was schon längst beschlossen und insge¬
heim vorbereitet war, zu Tage getreten, das Abgeordnetenhaus und die sieben
verfassungstreuen Landtage sind aufgelöst, der ihnen erklärte Krieg ist der
verheißene „innere Friede." Nichts über die Jesuiten!

Graf Hohenwart besitzt in staatlichen Dingen weder Theorie noch Praxis,
sonst würde er nicht im Lause weniger Monate von einem Projecte zum an¬
deren wanken. Sein erster, die Abänderung der Verfassung bezweckender An¬
trag im Abgeordnetenhause lautete auf Erweiterung der Autonomie der Land¬
tage nach Maßgabe ihrer diesfälligen Beschlüsse, die Regierung sollte sie dem
Reichsrathe übermitteln und dieser sie unverändert annehmen oder ablehnen;
zehn Tage nachher brachte er im directen Widerspruche damit die von ihm
willkürlich abgeänderte Resolution des galizischen Landtages im Abgeordneten¬
hause ein, und beantragte deren Annahme. Und in Folge der letzten Aus¬
gleichsverhandlungen einigte er sich mit den Führern der Altczechen über die
weiteste Autonomie des böhmischen Landtags in administrativen, rechtlichen
und finanziellen Angelegenheiten, die er früher den Polen verweigert. Ja,
kurz nachher erfahren wir sogar, daß er sich selbst dem äußersten Begehren
der Czechen gefügt, wornach sie auf alle Kronländer der westlichen Reichs¬
hälfte ausgedehnt und der Staat überhaupt auf rein föderalistische Grundlage
gestellt werden soll. Auch wurde in der vorerwähnten Broschüre die Stelle,
worin erklärt wird, er werde zu keinem größeren Zugeständnisse als dem der
galizischen Vorlage die Hand bieten, noch während des Druckes gestrichen.
Graf Hohenwart hält alle seine Ansichten und Pläne so geheim als möglich,
weil sie sich fast täglich ändern. Und wie eigenthümlich, wie genial und groß
erweisen sie sich, wenn sie endlich einmal nach reiflichem Nachdenken über die
höchsten Probleme an's Licht treten! Was Gelehrte und Theoretiker ängstlich
ersonnen und aufgestellt, gilt ihm kaum mehr als Spreu, kaum werth in
seinen Papierkorb zu wandern. Dafür gefällt er sich über Föderation und
Centralisation in Begriffen, welche die Thatsachen in's Reich der Träume
verweisen. Auch das Bank- und Schulwesen erscheinen ihm nach jener Bro¬
schüre nur als nichtige Kleinigkeiten, wer die wirthschaftliche Entwicklung und
Volksbildung nicht als Nebendinge betrachtet, ist ihm ein „Flachkopf." Es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126681"/>
          <p xml:id="ID_1229" prev="#ID_1228"> allem aber der Absolutismus ist, dies liegt jetzt auf offener Hand. Man<lb/>
wird sich erinnern, wie sehr das Fernbleiben der allergetreuesten Opposition<lb/>
vom Reichsrathe bedauert, wie tief beklagt wurde, daß sie sich nicht schaaren<lb/>
will um den Thron: nun sind die Deelaranten versöhnt, sie sind bereit, das<lb/>
Abgeordnetenhaus zu beschicken, freilich nur einmal, und um den Preis der<lb/>
Aufhebung der Verfassung. Noch vor drei Wochen wurde eine geschmeidige<lb/>
Broschüre: &#x201E;Die Verfassungspartei und Graf Hohenwart" verbreitet, höchst<lb/>
versöhnlichen Inhalts, es sollte den Anschein gewinnen, als wolle man den<lb/>
Deutschen die Hand bieten; nun ist, was schon längst beschlossen und insge¬<lb/>
heim vorbereitet war, zu Tage getreten, das Abgeordnetenhaus und die sieben<lb/>
verfassungstreuen Landtage sind aufgelöst, der ihnen erklärte Krieg ist der<lb/>
verheißene &#x201E;innere Friede."  Nichts über die Jesuiten!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1230" next="#ID_1231"> Graf Hohenwart besitzt in staatlichen Dingen weder Theorie noch Praxis,<lb/>
sonst würde er nicht im Lause weniger Monate von einem Projecte zum an¬<lb/>
deren wanken. Sein erster, die Abänderung der Verfassung bezweckender An¬<lb/>
trag im Abgeordnetenhause lautete auf Erweiterung der Autonomie der Land¬<lb/>
tage nach Maßgabe ihrer diesfälligen Beschlüsse, die Regierung sollte sie dem<lb/>
Reichsrathe übermitteln und dieser sie unverändert annehmen oder ablehnen;<lb/>
zehn Tage nachher brachte er im directen Widerspruche damit die von ihm<lb/>
willkürlich abgeänderte Resolution des galizischen Landtages im Abgeordneten¬<lb/>
hause ein, und beantragte deren Annahme. Und in Folge der letzten Aus¬<lb/>
gleichsverhandlungen einigte er sich mit den Führern der Altczechen über die<lb/>
weiteste Autonomie des böhmischen Landtags in administrativen, rechtlichen<lb/>
und finanziellen Angelegenheiten, die er früher den Polen verweigert. Ja,<lb/>
kurz nachher erfahren wir sogar, daß er sich selbst dem äußersten Begehren<lb/>
der Czechen gefügt, wornach sie auf alle Kronländer der westlichen Reichs¬<lb/>
hälfte ausgedehnt und der Staat überhaupt auf rein föderalistische Grundlage<lb/>
gestellt werden soll. Auch wurde in der vorerwähnten Broschüre die Stelle,<lb/>
worin erklärt wird, er werde zu keinem größeren Zugeständnisse als dem der<lb/>
galizischen Vorlage die Hand bieten, noch während des Druckes gestrichen.<lb/>
Graf Hohenwart hält alle seine Ansichten und Pläne so geheim als möglich,<lb/>
weil sie sich fast täglich ändern. Und wie eigenthümlich, wie genial und groß<lb/>
erweisen sie sich, wenn sie endlich einmal nach reiflichem Nachdenken über die<lb/>
höchsten Probleme an's Licht treten! Was Gelehrte und Theoretiker ängstlich<lb/>
ersonnen und aufgestellt, gilt ihm kaum mehr als Spreu, kaum werth in<lb/>
seinen Papierkorb zu wandern. Dafür gefällt er sich über Föderation und<lb/>
Centralisation in Begriffen, welche die Thatsachen in's Reich der Träume<lb/>
verweisen. Auch das Bank- und Schulwesen erscheinen ihm nach jener Bro¬<lb/>
schüre nur als nichtige Kleinigkeiten, wer die wirthschaftliche Entwicklung und<lb/>
Volksbildung nicht als Nebendinge betrachtet, ist ihm ein &#x201E;Flachkopf." Es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] allem aber der Absolutismus ist, dies liegt jetzt auf offener Hand. Man wird sich erinnern, wie sehr das Fernbleiben der allergetreuesten Opposition vom Reichsrathe bedauert, wie tief beklagt wurde, daß sie sich nicht schaaren will um den Thron: nun sind die Deelaranten versöhnt, sie sind bereit, das Abgeordnetenhaus zu beschicken, freilich nur einmal, und um den Preis der Aufhebung der Verfassung. Noch vor drei Wochen wurde eine geschmeidige Broschüre: „Die Verfassungspartei und Graf Hohenwart" verbreitet, höchst versöhnlichen Inhalts, es sollte den Anschein gewinnen, als wolle man den Deutschen die Hand bieten; nun ist, was schon längst beschlossen und insge¬ heim vorbereitet war, zu Tage getreten, das Abgeordnetenhaus und die sieben verfassungstreuen Landtage sind aufgelöst, der ihnen erklärte Krieg ist der verheißene „innere Friede." Nichts über die Jesuiten! Graf Hohenwart besitzt in staatlichen Dingen weder Theorie noch Praxis, sonst würde er nicht im Lause weniger Monate von einem Projecte zum an¬ deren wanken. Sein erster, die Abänderung der Verfassung bezweckender An¬ trag im Abgeordnetenhause lautete auf Erweiterung der Autonomie der Land¬ tage nach Maßgabe ihrer diesfälligen Beschlüsse, die Regierung sollte sie dem Reichsrathe übermitteln und dieser sie unverändert annehmen oder ablehnen; zehn Tage nachher brachte er im directen Widerspruche damit die von ihm willkürlich abgeänderte Resolution des galizischen Landtages im Abgeordneten¬ hause ein, und beantragte deren Annahme. Und in Folge der letzten Aus¬ gleichsverhandlungen einigte er sich mit den Führern der Altczechen über die weiteste Autonomie des böhmischen Landtags in administrativen, rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten, die er früher den Polen verweigert. Ja, kurz nachher erfahren wir sogar, daß er sich selbst dem äußersten Begehren der Czechen gefügt, wornach sie auf alle Kronländer der westlichen Reichs¬ hälfte ausgedehnt und der Staat überhaupt auf rein föderalistische Grundlage gestellt werden soll. Auch wurde in der vorerwähnten Broschüre die Stelle, worin erklärt wird, er werde zu keinem größeren Zugeständnisse als dem der galizischen Vorlage die Hand bieten, noch während des Druckes gestrichen. Graf Hohenwart hält alle seine Ansichten und Pläne so geheim als möglich, weil sie sich fast täglich ändern. Und wie eigenthümlich, wie genial und groß erweisen sie sich, wenn sie endlich einmal nach reiflichem Nachdenken über die höchsten Probleme an's Licht treten! Was Gelehrte und Theoretiker ängstlich ersonnen und aufgestellt, gilt ihm kaum mehr als Spreu, kaum werth in seinen Papierkorb zu wandern. Dafür gefällt er sich über Föderation und Centralisation in Begriffen, welche die Thatsachen in's Reich der Träume verweisen. Auch das Bank- und Schulwesen erscheinen ihm nach jener Bro¬ schüre nur als nichtige Kleinigkeiten, wer die wirthschaftliche Entwicklung und Volksbildung nicht als Nebendinge betrachtet, ist ihm ein „Flachkopf." Es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/405>, abgerufen am 24.07.2024.