Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
"Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung 1806."

Diese Schrift, deren Name mit der Erinnerung an eine blutige Frevel¬
that der französischen Gewaltherrschaft, die Erschießung des Buchhändlers
Palm (26. Aug. 1806) unvergessen geblieben ist und deren im Titel angege¬
bener Hauptinhalt durch eben diese Gewaltthat eine so entsetzliche Bestätigung
erhielt, zeichnet sich durch patriotische Gesinnung und ein klares politisches
Urtheil aus. In seiner Anrede an den Leser spricht der Verfasser gegen die
Ansicht, daß die damalige Zeit, in der der baiersche und württembergische
Fürst ihre Länder zu Königreichen erhoben hätten, eine besonders beglückte
und hoffnungsvolle, die vorhandenen Leiden nur eine Entschädigung ver¬
heißende Thränensaat seien. Er gedenkt diejenigen, für welche er seine Schrift
bestimmt hat, den friedlichen Bürger und Landmann, richtiger zu belehren,
da man diesen "so gerne das Ziel verrücken und in genauer Ansicht ihres
eigenen Zustandes sowohl als ihres Baterlandes eine falsche Brille aufstecken
möchte." Die Wahrheit verspricht er achten und auch seine Leidenschaften
zügeln zu wollen, "obwohl ohne Rührung ein Deutscher die Erniedrigung
seines Vaterlandes nicht einmal ansehen könne, viel weniger persönlich em¬
pfinden und öffentlich davon reden."

Die Schrift selbst handelt in fünf Abschnitten über Frankreich, Oestreich,
England, Preußen und Sachsen.

Im ersten Abschnitt entwirft der Verfasser das Bild Napoleons und
seiner gegen Freund und Feind, gegen das Ausland und gegen Frankreich
selbst bewiesenen Ehrsucht. Napoleon, der den einen Theil des Wortes wahr
gemacht habe, mit dem er seinem Heere den Zug nach Deutschland ankün¬
digte, seines Wortes: "mit meiner Rechten will ich den deutschen Kaiser
demüthigen und mit der Linken England bändigen," habe mit dem deutschen
Kaiser zugleich Deutschland tief erniedrigt und geschädigt, offen und thatsäch¬
lich, auch wenn man die Geschicke Oestreichs für getrennt hielte von denen
Deutschlands, durch die von mehreren Reichsfürsten erlangte Anerkennung
französischer Ueberlegenheit und durch die Mißhandlung, welche Baden,
Würtemberg und Baiern während und nach dem Kriege mit Oestreich von
Heerführern und Soldaten widerfahren sei. Der Abschnitt über Oestreich
schildert die Eifersucht, welche es gegen die Erfolge seiner Bundesgenossen an
den Tag gelegt habe, seine auf Unkenntnis? fremder Machtverhältnisse be¬
ruhende Ueberhebung und die den Staat lähmenden Folgen freiheits- und
bildungs-feindlicher Handhabung der Censur. "Ein Staat, sagt der Versasser
(S. 68), dessen physische Kräfte nicht von moralischen aufgewogen und durch
diese unterstützt werden, hat nicht die Hälfte der Hilfsmittel, die er zu seiner


„Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung 1806."

Diese Schrift, deren Name mit der Erinnerung an eine blutige Frevel¬
that der französischen Gewaltherrschaft, die Erschießung des Buchhändlers
Palm (26. Aug. 1806) unvergessen geblieben ist und deren im Titel angege¬
bener Hauptinhalt durch eben diese Gewaltthat eine so entsetzliche Bestätigung
erhielt, zeichnet sich durch patriotische Gesinnung und ein klares politisches
Urtheil aus. In seiner Anrede an den Leser spricht der Verfasser gegen die
Ansicht, daß die damalige Zeit, in der der baiersche und württembergische
Fürst ihre Länder zu Königreichen erhoben hätten, eine besonders beglückte
und hoffnungsvolle, die vorhandenen Leiden nur eine Entschädigung ver¬
heißende Thränensaat seien. Er gedenkt diejenigen, für welche er seine Schrift
bestimmt hat, den friedlichen Bürger und Landmann, richtiger zu belehren,
da man diesen „so gerne das Ziel verrücken und in genauer Ansicht ihres
eigenen Zustandes sowohl als ihres Baterlandes eine falsche Brille aufstecken
möchte." Die Wahrheit verspricht er achten und auch seine Leidenschaften
zügeln zu wollen, „obwohl ohne Rührung ein Deutscher die Erniedrigung
seines Vaterlandes nicht einmal ansehen könne, viel weniger persönlich em¬
pfinden und öffentlich davon reden."

Die Schrift selbst handelt in fünf Abschnitten über Frankreich, Oestreich,
England, Preußen und Sachsen.

Im ersten Abschnitt entwirft der Verfasser das Bild Napoleons und
seiner gegen Freund und Feind, gegen das Ausland und gegen Frankreich
selbst bewiesenen Ehrsucht. Napoleon, der den einen Theil des Wortes wahr
gemacht habe, mit dem er seinem Heere den Zug nach Deutschland ankün¬
digte, seines Wortes: „mit meiner Rechten will ich den deutschen Kaiser
demüthigen und mit der Linken England bändigen," habe mit dem deutschen
Kaiser zugleich Deutschland tief erniedrigt und geschädigt, offen und thatsäch¬
lich, auch wenn man die Geschicke Oestreichs für getrennt hielte von denen
Deutschlands, durch die von mehreren Reichsfürsten erlangte Anerkennung
französischer Ueberlegenheit und durch die Mißhandlung, welche Baden,
Würtemberg und Baiern während und nach dem Kriege mit Oestreich von
Heerführern und Soldaten widerfahren sei. Der Abschnitt über Oestreich
schildert die Eifersucht, welche es gegen die Erfolge seiner Bundesgenossen an
den Tag gelegt habe, seine auf Unkenntnis? fremder Machtverhältnisse be¬
ruhende Ueberhebung und die den Staat lähmenden Folgen freiheits- und
bildungs-feindlicher Handhabung der Censur. „Ein Staat, sagt der Versasser
(S. 68), dessen physische Kräfte nicht von moralischen aufgewogen und durch
diese unterstützt werden, hat nicht die Hälfte der Hilfsmittel, die er zu seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126631"/>
          <div n="2">
            <head> &#x201E;Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung 1806."</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1088"> Diese Schrift, deren Name mit der Erinnerung an eine blutige Frevel¬<lb/>
that der französischen Gewaltherrschaft, die Erschießung des Buchhändlers<lb/>
Palm (26. Aug. 1806) unvergessen geblieben ist und deren im Titel angege¬<lb/>
bener Hauptinhalt durch eben diese Gewaltthat eine so entsetzliche Bestätigung<lb/>
erhielt, zeichnet sich durch patriotische Gesinnung und ein klares politisches<lb/>
Urtheil aus. In seiner Anrede an den Leser spricht der Verfasser gegen die<lb/>
Ansicht, daß die damalige Zeit, in der der baiersche und württembergische<lb/>
Fürst ihre Länder zu Königreichen erhoben hätten, eine besonders beglückte<lb/>
und hoffnungsvolle, die vorhandenen Leiden nur eine Entschädigung ver¬<lb/>
heißende Thränensaat seien. Er gedenkt diejenigen, für welche er seine Schrift<lb/>
bestimmt hat, den friedlichen Bürger und Landmann, richtiger zu belehren,<lb/>
da man diesen &#x201E;so gerne das Ziel verrücken und in genauer Ansicht ihres<lb/>
eigenen Zustandes sowohl als ihres Baterlandes eine falsche Brille aufstecken<lb/>
möchte." Die Wahrheit verspricht er achten und auch seine Leidenschaften<lb/>
zügeln zu wollen, &#x201E;obwohl ohne Rührung ein Deutscher die Erniedrigung<lb/>
seines Vaterlandes nicht einmal ansehen könne, viel weniger persönlich em¬<lb/>
pfinden und öffentlich davon reden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1089"> Die Schrift selbst handelt in fünf Abschnitten über Frankreich, Oestreich,<lb/>
England, Preußen und Sachsen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1090" next="#ID_1091"> Im ersten Abschnitt entwirft der Verfasser das Bild Napoleons und<lb/>
seiner gegen Freund und Feind, gegen das Ausland und gegen Frankreich<lb/>
selbst bewiesenen Ehrsucht. Napoleon, der den einen Theil des Wortes wahr<lb/>
gemacht habe, mit dem er seinem Heere den Zug nach Deutschland ankün¬<lb/>
digte, seines Wortes: &#x201E;mit meiner Rechten will ich den deutschen Kaiser<lb/>
demüthigen und mit der Linken England bändigen," habe mit dem deutschen<lb/>
Kaiser zugleich Deutschland tief erniedrigt und geschädigt, offen und thatsäch¬<lb/>
lich, auch wenn man die Geschicke Oestreichs für getrennt hielte von denen<lb/>
Deutschlands, durch die von mehreren Reichsfürsten erlangte Anerkennung<lb/>
französischer Ueberlegenheit und durch die Mißhandlung, welche Baden,<lb/>
Würtemberg und Baiern während und nach dem Kriege mit Oestreich von<lb/>
Heerführern und Soldaten widerfahren sei. Der Abschnitt über Oestreich<lb/>
schildert die Eifersucht, welche es gegen die Erfolge seiner Bundesgenossen an<lb/>
den Tag gelegt habe, seine auf Unkenntnis? fremder Machtverhältnisse be¬<lb/>
ruhende Ueberhebung und die den Staat lähmenden Folgen freiheits- und<lb/>
bildungs-feindlicher Handhabung der Censur. &#x201E;Ein Staat, sagt der Versasser<lb/>
(S. 68), dessen physische Kräfte nicht von moralischen aufgewogen und durch<lb/>
diese unterstützt werden, hat nicht die Hälfte der Hilfsmittel, die er zu seiner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung 1806." Diese Schrift, deren Name mit der Erinnerung an eine blutige Frevel¬ that der französischen Gewaltherrschaft, die Erschießung des Buchhändlers Palm (26. Aug. 1806) unvergessen geblieben ist und deren im Titel angege¬ bener Hauptinhalt durch eben diese Gewaltthat eine so entsetzliche Bestätigung erhielt, zeichnet sich durch patriotische Gesinnung und ein klares politisches Urtheil aus. In seiner Anrede an den Leser spricht der Verfasser gegen die Ansicht, daß die damalige Zeit, in der der baiersche und württembergische Fürst ihre Länder zu Königreichen erhoben hätten, eine besonders beglückte und hoffnungsvolle, die vorhandenen Leiden nur eine Entschädigung ver¬ heißende Thränensaat seien. Er gedenkt diejenigen, für welche er seine Schrift bestimmt hat, den friedlichen Bürger und Landmann, richtiger zu belehren, da man diesen „so gerne das Ziel verrücken und in genauer Ansicht ihres eigenen Zustandes sowohl als ihres Baterlandes eine falsche Brille aufstecken möchte." Die Wahrheit verspricht er achten und auch seine Leidenschaften zügeln zu wollen, „obwohl ohne Rührung ein Deutscher die Erniedrigung seines Vaterlandes nicht einmal ansehen könne, viel weniger persönlich em¬ pfinden und öffentlich davon reden." Die Schrift selbst handelt in fünf Abschnitten über Frankreich, Oestreich, England, Preußen und Sachsen. Im ersten Abschnitt entwirft der Verfasser das Bild Napoleons und seiner gegen Freund und Feind, gegen das Ausland und gegen Frankreich selbst bewiesenen Ehrsucht. Napoleon, der den einen Theil des Wortes wahr gemacht habe, mit dem er seinem Heere den Zug nach Deutschland ankün¬ digte, seines Wortes: „mit meiner Rechten will ich den deutschen Kaiser demüthigen und mit der Linken England bändigen," habe mit dem deutschen Kaiser zugleich Deutschland tief erniedrigt und geschädigt, offen und thatsäch¬ lich, auch wenn man die Geschicke Oestreichs für getrennt hielte von denen Deutschlands, durch die von mehreren Reichsfürsten erlangte Anerkennung französischer Ueberlegenheit und durch die Mißhandlung, welche Baden, Würtemberg und Baiern während und nach dem Kriege mit Oestreich von Heerführern und Soldaten widerfahren sei. Der Abschnitt über Oestreich schildert die Eifersucht, welche es gegen die Erfolge seiner Bundesgenossen an den Tag gelegt habe, seine auf Unkenntnis? fremder Machtverhältnisse be¬ ruhende Ueberhebung und die den Staat lähmenden Folgen freiheits- und bildungs-feindlicher Handhabung der Censur. „Ein Staat, sagt der Versasser (S. 68), dessen physische Kräfte nicht von moralischen aufgewogen und durch diese unterstützt werden, hat nicht die Hälfte der Hilfsmittel, die er zu seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/355>, abgerufen am 24.07.2024.