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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Kaiserthum die Grundlage der Parteibildung wurde, darin kann man an sich
nur eine natürliche und wohlberechtigte Reaction der Peripherie gegen das
Alles verschlingende und aufsaugende Centrum sehen. Unheilvoll dagegen
war, daß weder der Kaiser, noch die Kirche daran dachten, den Bauern¬
stand geistig zu emancipiren, ihm frische Lebenskraft einzuflößen und ihn da¬
durch zu einem selbstständigen Widerstande wider die hauptstädtischen Einflüsse
zu befähigen. Jedem amtlichen Einflüsse zugänglich, blind den Befehlen der
Präfecten gehorchend, gelangte die Landbevölkerung doch nicht zu dem Be¬
wußtsein ihrer Bedeutung. Aus ihrer Wahl ging die ungeheure Mehrheit
des gesetzgebenden Körpers hervor; aber diese Mehrheit brachte es niemals
dahin, eine unabhängige Regierungspartei zu bilden, sie war und blieb
die gehorsame Dienerin des Kaisers, ein außerordentlich brauchbares Rad in
der kaiserlichen Regierungsmaschine, so lange der Lenker der Maschine alle
Theile derselben in regelmäßiger Thätigkeit zu erhalten im Stande war, aber
eine todte, regungslose Masse, sobald die geringste Stockung in dem verwickelten
Räderwerk eintrat.

Das zeigte sich, als das Kaiserthum nach dem Siege von Sedan wider¬
standslos zusammenbrach. Der Kaiser gefangen, die Regierung kopflos, Pa¬
ris fast ganz von zuverlässigen Streitkräften entblößt: diese Umstände genüg¬
ten, um in Paris dem Volke die Macht in die Hände zu schieben; die Er¬
klärung der Republik in den verhängnißvollen Septembertagen war eine eben
so leichte wie selbstverständliche Sache. Die willenlose Landbevölkerung aber
schwieg, das heißt, sie unterwarf sich dem städtischen Proletariat, nicht etwa
dem Bürgerthum, das von den Ultra-Demokraten rasch ganz bei Seite ge¬
schoben wurde.

Wie die Regierung der Nationalvertheidigung von der Pariser Demo¬
kratie gegründet war, während die Nation rathlos und jedes Entschlusses,
jedes selbstständigen Handelns unfähig, die Gebote der Hauptstadt eben nur
über sich ergehen ließ und ihnen gehorchte, weil sie aller Mittel entbehrte,
sich ihnen zu widersetzen, so waren auch in dem jetzt folgenden Abschnitte des
Krieges die Häupter der Pariser radicalen Parteien, die damals noch zu einer
großen Masse verschmolzen waren, die Schürer und'Leiter des Widerstandes
gegen die immer gewaltiger von allen Seiten siegreich andringenden deutschen
Heeressäulen. Gambetta beherrschte die Regierung und in Gambetta war der
Pariser Radicalismus verkörpert. Und als er seine Luftfahrt antrat, trennte
er sich nicht von dem Pariser Geist; er war innerlich unauflöslich mit ihm
verbunden, er nahm ihn mit sich, um ihn durch das ganze Land zu verbrei¬
ten und zur Herrschaft zu bringen. Und daß ihm dies gelungen ist, läßt
sich nicht bestreiten. Frankreich hat Gambetta's Erfolg theuer zu bezahlen
gehabt; aber daß derselbe in seiner verderblichen wahnsinnigen Verblendung


Kaiserthum die Grundlage der Parteibildung wurde, darin kann man an sich
nur eine natürliche und wohlberechtigte Reaction der Peripherie gegen das
Alles verschlingende und aufsaugende Centrum sehen. Unheilvoll dagegen
war, daß weder der Kaiser, noch die Kirche daran dachten, den Bauern¬
stand geistig zu emancipiren, ihm frische Lebenskraft einzuflößen und ihn da¬
durch zu einem selbstständigen Widerstande wider die hauptstädtischen Einflüsse
zu befähigen. Jedem amtlichen Einflüsse zugänglich, blind den Befehlen der
Präfecten gehorchend, gelangte die Landbevölkerung doch nicht zu dem Be¬
wußtsein ihrer Bedeutung. Aus ihrer Wahl ging die ungeheure Mehrheit
des gesetzgebenden Körpers hervor; aber diese Mehrheit brachte es niemals
dahin, eine unabhängige Regierungspartei zu bilden, sie war und blieb
die gehorsame Dienerin des Kaisers, ein außerordentlich brauchbares Rad in
der kaiserlichen Regierungsmaschine, so lange der Lenker der Maschine alle
Theile derselben in regelmäßiger Thätigkeit zu erhalten im Stande war, aber
eine todte, regungslose Masse, sobald die geringste Stockung in dem verwickelten
Räderwerk eintrat.

Das zeigte sich, als das Kaiserthum nach dem Siege von Sedan wider¬
standslos zusammenbrach. Der Kaiser gefangen, die Regierung kopflos, Pa¬
ris fast ganz von zuverlässigen Streitkräften entblößt: diese Umstände genüg¬
ten, um in Paris dem Volke die Macht in die Hände zu schieben; die Er¬
klärung der Republik in den verhängnißvollen Septembertagen war eine eben
so leichte wie selbstverständliche Sache. Die willenlose Landbevölkerung aber
schwieg, das heißt, sie unterwarf sich dem städtischen Proletariat, nicht etwa
dem Bürgerthum, das von den Ultra-Demokraten rasch ganz bei Seite ge¬
schoben wurde.

Wie die Regierung der Nationalvertheidigung von der Pariser Demo¬
kratie gegründet war, während die Nation rathlos und jedes Entschlusses,
jedes selbstständigen Handelns unfähig, die Gebote der Hauptstadt eben nur
über sich ergehen ließ und ihnen gehorchte, weil sie aller Mittel entbehrte,
sich ihnen zu widersetzen, so waren auch in dem jetzt folgenden Abschnitte des
Krieges die Häupter der Pariser radicalen Parteien, die damals noch zu einer
großen Masse verschmolzen waren, die Schürer und'Leiter des Widerstandes
gegen die immer gewaltiger von allen Seiten siegreich andringenden deutschen
Heeressäulen. Gambetta beherrschte die Regierung und in Gambetta war der
Pariser Radicalismus verkörpert. Und als er seine Luftfahrt antrat, trennte
er sich nicht von dem Pariser Geist; er war innerlich unauflöslich mit ihm
verbunden, er nahm ihn mit sich, um ihn durch das ganze Land zu verbrei¬
ten und zur Herrschaft zu bringen. Und daß ihm dies gelungen ist, läßt
sich nicht bestreiten. Frankreich hat Gambetta's Erfolg theuer zu bezahlen
gehabt; aber daß derselbe in seiner verderblichen wahnsinnigen Verblendung


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[0338] Kaiserthum die Grundlage der Parteibildung wurde, darin kann man an sich nur eine natürliche und wohlberechtigte Reaction der Peripherie gegen das Alles verschlingende und aufsaugende Centrum sehen. Unheilvoll dagegen war, daß weder der Kaiser, noch die Kirche daran dachten, den Bauern¬ stand geistig zu emancipiren, ihm frische Lebenskraft einzuflößen und ihn da¬ durch zu einem selbstständigen Widerstande wider die hauptstädtischen Einflüsse zu befähigen. Jedem amtlichen Einflüsse zugänglich, blind den Befehlen der Präfecten gehorchend, gelangte die Landbevölkerung doch nicht zu dem Be¬ wußtsein ihrer Bedeutung. Aus ihrer Wahl ging die ungeheure Mehrheit des gesetzgebenden Körpers hervor; aber diese Mehrheit brachte es niemals dahin, eine unabhängige Regierungspartei zu bilden, sie war und blieb die gehorsame Dienerin des Kaisers, ein außerordentlich brauchbares Rad in der kaiserlichen Regierungsmaschine, so lange der Lenker der Maschine alle Theile derselben in regelmäßiger Thätigkeit zu erhalten im Stande war, aber eine todte, regungslose Masse, sobald die geringste Stockung in dem verwickelten Räderwerk eintrat. Das zeigte sich, als das Kaiserthum nach dem Siege von Sedan wider¬ standslos zusammenbrach. Der Kaiser gefangen, die Regierung kopflos, Pa¬ ris fast ganz von zuverlässigen Streitkräften entblößt: diese Umstände genüg¬ ten, um in Paris dem Volke die Macht in die Hände zu schieben; die Er¬ klärung der Republik in den verhängnißvollen Septembertagen war eine eben so leichte wie selbstverständliche Sache. Die willenlose Landbevölkerung aber schwieg, das heißt, sie unterwarf sich dem städtischen Proletariat, nicht etwa dem Bürgerthum, das von den Ultra-Demokraten rasch ganz bei Seite ge¬ schoben wurde. Wie die Regierung der Nationalvertheidigung von der Pariser Demo¬ kratie gegründet war, während die Nation rathlos und jedes Entschlusses, jedes selbstständigen Handelns unfähig, die Gebote der Hauptstadt eben nur über sich ergehen ließ und ihnen gehorchte, weil sie aller Mittel entbehrte, sich ihnen zu widersetzen, so waren auch in dem jetzt folgenden Abschnitte des Krieges die Häupter der Pariser radicalen Parteien, die damals noch zu einer großen Masse verschmolzen waren, die Schürer und'Leiter des Widerstandes gegen die immer gewaltiger von allen Seiten siegreich andringenden deutschen Heeressäulen. Gambetta beherrschte die Regierung und in Gambetta war der Pariser Radicalismus verkörpert. Und als er seine Luftfahrt antrat, trennte er sich nicht von dem Pariser Geist; er war innerlich unauflöslich mit ihm verbunden, er nahm ihn mit sich, um ihn durch das ganze Land zu verbrei¬ ten und zur Herrschaft zu bringen. Und daß ihm dies gelungen ist, läßt sich nicht bestreiten. Frankreich hat Gambetta's Erfolg theuer zu bezahlen gehabt; aber daß derselbe in seiner verderblichen wahnsinnigen Verblendung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/338>, abgerufen am 24.07.2024.