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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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den mitgliederreichsten und weitverzweigtesten englischen Gewerkvereinen gehört.
Sie zählte nach dem Decemberbericht von 1869 316 Zweige und 33,915
Mitglieder.

Wenn der Verf., durch seine Detailstudien an Ort und Stelle, durch seine
persönliche Berührung mit den leitenden Männern, durch seine Beobachtung
der Vereinsthätigkeit eine überaus günstige Meinung von dieser großartigen
Verbindung gewonnen hat, und dieser guten Meinung den unverhohlensten
Ausdruck giebt, so gehen wir wohl nicht fehl in der Annahme, daß er auch
die wichtigsten Bestrebungen des Vereins, die er freilich noch mit Zurückhal¬
tung seines persönlichen Urtheils im Einzelnen nur schildert, durchaus billigt
und für der großen auf sie gewendeten Opfer werth erachtet. Ist diese An¬
nahme richtig -- der zweite Band wird uns über diesen Punkt erst volle
Gewißheit geben, -- so müssen wir bekennen, ihm nicht in allen Stücken
beitreten zu können. Die entschiedene Abneigung gegen Stücklöhnung und
die hieraus hervorgehende Opposition gegen die Einführung oder Fortführung
dieses Lohnsystems scheint uns nicht eben ein sehr günstiges Zeugniß für die
Einsicht und das Interessen-Verständniß der maßgebenden Personen im Ver¬
ein abzulegen. Für Lohnerhöhung bei Zeitlöhnung, für Fortdauer dieser
communistischen Lohnart überhaupt agitiren -- das macht in unseren Augen
immer verdächtig. Wir wissen, daß gerade im Maschinenbau viele Verrich¬
tungen der Einzel-Stücklohnung widerstreben, und die Gefahren des Accord-
meister - Systems sind uns sehr wohlbekannt. Aber dem Gruppen-Accord-
System widerstreben diese Verrichtungen durchaus nicht, wie in Deutschland
gemachte äußerst lehrreiche Erfahrungen beweisen. Und dieses System, wenn
die ^.malMMÄteä societ^ seine Einführung forderte, würde, da bei diesem
System die Anfänger im Dienste nicht des Unternehmers, sondern der Gruppe,
der Werkstätte, stehen, sie zugleich des doch in der That unwürdigen und sehr
nach Zunftpennalismus riechenden Kampfes wider die Beschäftigung Ange¬
lernter und für die Einhaltung bestimmter Lehrjahre überheben.

Was endlich die Regelung der finanziellen Angelegenheiten der Gewerk¬
vereine anbelangt, so bleibt Brentano zwar in Uebereinstimmung mit seinem
Vorgänger in der Behandlung desselben Gegenstandes ("die Gewerkvereine in
England" vom Grafen von Paris, deutsch von Dr. E. Lehmann, Berlin 1870.
S. 34),^ wenn er meint, ein Gewerkverein könne und dürfe nicht seine Unter-
stützungsreichungen in Krankheits- und anderen Jnvaliditätsfällen nach den
Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsberechnung einrichten und also auch die
Mitgliederbeiträge nicht wie Versicherungsprämien abstufen und bemessen;
aber diese Annahme ermangelt des Beweises. Wenn Finlaison (vergleiche
das ovencitirte Buch, Anhang II. S. 163 ff.) auch nicht vollkommen gelun-
gen ist. zu beweisen, daß die ^malZamÄteä societ? mit ihrem Fonds leicht


den mitgliederreichsten und weitverzweigtesten englischen Gewerkvereinen gehört.
Sie zählte nach dem Decemberbericht von 1869 316 Zweige und 33,915
Mitglieder.

Wenn der Verf., durch seine Detailstudien an Ort und Stelle, durch seine
persönliche Berührung mit den leitenden Männern, durch seine Beobachtung
der Vereinsthätigkeit eine überaus günstige Meinung von dieser großartigen
Verbindung gewonnen hat, und dieser guten Meinung den unverhohlensten
Ausdruck giebt, so gehen wir wohl nicht fehl in der Annahme, daß er auch
die wichtigsten Bestrebungen des Vereins, die er freilich noch mit Zurückhal¬
tung seines persönlichen Urtheils im Einzelnen nur schildert, durchaus billigt
und für der großen auf sie gewendeten Opfer werth erachtet. Ist diese An¬
nahme richtig — der zweite Band wird uns über diesen Punkt erst volle
Gewißheit geben, — so müssen wir bekennen, ihm nicht in allen Stücken
beitreten zu können. Die entschiedene Abneigung gegen Stücklöhnung und
die hieraus hervorgehende Opposition gegen die Einführung oder Fortführung
dieses Lohnsystems scheint uns nicht eben ein sehr günstiges Zeugniß für die
Einsicht und das Interessen-Verständniß der maßgebenden Personen im Ver¬
ein abzulegen. Für Lohnerhöhung bei Zeitlöhnung, für Fortdauer dieser
communistischen Lohnart überhaupt agitiren — das macht in unseren Augen
immer verdächtig. Wir wissen, daß gerade im Maschinenbau viele Verrich¬
tungen der Einzel-Stücklohnung widerstreben, und die Gefahren des Accord-
meister - Systems sind uns sehr wohlbekannt. Aber dem Gruppen-Accord-
System widerstreben diese Verrichtungen durchaus nicht, wie in Deutschland
gemachte äußerst lehrreiche Erfahrungen beweisen. Und dieses System, wenn
die ^.malMMÄteä societ^ seine Einführung forderte, würde, da bei diesem
System die Anfänger im Dienste nicht des Unternehmers, sondern der Gruppe,
der Werkstätte, stehen, sie zugleich des doch in der That unwürdigen und sehr
nach Zunftpennalismus riechenden Kampfes wider die Beschäftigung Ange¬
lernter und für die Einhaltung bestimmter Lehrjahre überheben.

Was endlich die Regelung der finanziellen Angelegenheiten der Gewerk¬
vereine anbelangt, so bleibt Brentano zwar in Uebereinstimmung mit seinem
Vorgänger in der Behandlung desselben Gegenstandes („die Gewerkvereine in
England" vom Grafen von Paris, deutsch von Dr. E. Lehmann, Berlin 1870.
S. 34),^ wenn er meint, ein Gewerkverein könne und dürfe nicht seine Unter-
stützungsreichungen in Krankheits- und anderen Jnvaliditätsfällen nach den
Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsberechnung einrichten und also auch die
Mitgliederbeiträge nicht wie Versicherungsprämien abstufen und bemessen;
aber diese Annahme ermangelt des Beweises. Wenn Finlaison (vergleiche
das ovencitirte Buch, Anhang II. S. 163 ff.) auch nicht vollkommen gelun-
gen ist. zu beweisen, daß die ^malZamÄteä societ? mit ihrem Fonds leicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/318>, abgerufen am 24.07.2024.