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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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zechheit"). Später findet man vielfach Wiedervereinigungen, oft das Ergebniß
langer Kämpfe zwischen den verschiedenen Corporationen. Der Zweck der
Schutzgilde besteht in der Wahrung der Interessen der Einzelnen oder der
Gesammtheit, nicht nur ihrer Rechtsansprüche, sondern auch ihres ökonomi¬
schen Vortheils.

Aber je wirksamer die Leistungen der Gilden in dieser Richtung waren,
je sicherer ihnen insbesondere der Sieg gegen die feindlichen Feudalmächte ge¬
lang, um so mehr entarteten sie in sich, je mehr entwich aus ihnen der Geist
ächter Brüderlichkeit, je mehr überwucherte die Herrschaft einzelner, nament¬
lich der unter dem Gildenschutz am meisten bereicherten Klassen. Es begannen
jene blutigen und langwierigen Kämpfe zwischen Handwerkern und Patriziern,
welche besonders w der Geschichte der deutschen, brabantischen und flandrischen
Städte im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert eine so bedeutsame Rolle
spielen. In diese Kämpfe greift schon eine neue Gitterform, die der Schutz¬
gilden der Handwerker, vollkommen fertig und mächtig ein. Sie waren ur¬
sprünglich wirkliche Schutzgilden gegen die übermächtigen Stadtgeschlechter,
wie die alten Bürgergilden Vereinigungen der Vollbürger gegen die Feudal¬
herren waren. Die Gilden der Weber sind in allen Jndustriegegenden Deutsch¬
lands, in England, Flandern und Brabant die ältesten Handwerkergilden.
Die Weber waren freie Handwerker; gegen sie richteten sich die Anmaßungen
der Patrizier ebenso wie geo,en die hörigen Handwerker; nur waren sie jenen
empfindlicher. Mit Beseitigung des Hofrechts entstehen neben den Gilden der
altfreien aber auch Gilden der neufreien, bis dahin hörigen Handwerker.
Den Ursprung der Zünfte setzt Brentano nach Arnold und Maurer in den
Zeitraum vom Ausgange des 11. bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Self-
government ihres Gewerbes. Schutz desselben gegen die Gerichtsbarkeit, sowie
gegen die Gewerbe- und Marktpolizei der Stadtherren war das Hauptstreben
ihrer Organisation. Erst im 14. und 15. Jahrhundert hatten sie sich nahezu
überall, wenn nicht die politische Macht, so doch diese Freiheiten erkämpft.
Sie waren nun Verbindungen zum Schutz des auf kleines Capital und Ar¬
beit gegründeten freien selbstständigen Erwerbes. Nur kurze Zeit finden wir
sie in vollem, blühendem Gedeihen. Sie entarten von dem Augenblicke an,
wo sie nicht mehr nöthig haben, gemeinsame Interessen gegen auswärtige
Feinde zu vertreten, und wo in ihrer eignen Mitte die Jnteressenkämpfe be¬
ginnen, wo an der Stelle persönlicher Tüchtigkeit Vermögen oder Connexionen
zum Maßstab des Ansehens genommen werden. In England bekämpft schon
im 15., in Deutschland zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Staatsgewalt
die Mißbräuche der Handwerker, insbesondere ihre engherzige Exclusivität, die
Erschwerungen der Aufnahme, die Rancünen bei der Entlassung aus dem
Verbände, die Geldschneidereien gegen die Lehrlinge, die Bedrückungen der


zechheit"). Später findet man vielfach Wiedervereinigungen, oft das Ergebniß
langer Kämpfe zwischen den verschiedenen Corporationen. Der Zweck der
Schutzgilde besteht in der Wahrung der Interessen der Einzelnen oder der
Gesammtheit, nicht nur ihrer Rechtsansprüche, sondern auch ihres ökonomi¬
schen Vortheils.

Aber je wirksamer die Leistungen der Gilden in dieser Richtung waren,
je sicherer ihnen insbesondere der Sieg gegen die feindlichen Feudalmächte ge¬
lang, um so mehr entarteten sie in sich, je mehr entwich aus ihnen der Geist
ächter Brüderlichkeit, je mehr überwucherte die Herrschaft einzelner, nament¬
lich der unter dem Gildenschutz am meisten bereicherten Klassen. Es begannen
jene blutigen und langwierigen Kämpfe zwischen Handwerkern und Patriziern,
welche besonders w der Geschichte der deutschen, brabantischen und flandrischen
Städte im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert eine so bedeutsame Rolle
spielen. In diese Kämpfe greift schon eine neue Gitterform, die der Schutz¬
gilden der Handwerker, vollkommen fertig und mächtig ein. Sie waren ur¬
sprünglich wirkliche Schutzgilden gegen die übermächtigen Stadtgeschlechter,
wie die alten Bürgergilden Vereinigungen der Vollbürger gegen die Feudal¬
herren waren. Die Gilden der Weber sind in allen Jndustriegegenden Deutsch¬
lands, in England, Flandern und Brabant die ältesten Handwerkergilden.
Die Weber waren freie Handwerker; gegen sie richteten sich die Anmaßungen
der Patrizier ebenso wie geo,en die hörigen Handwerker; nur waren sie jenen
empfindlicher. Mit Beseitigung des Hofrechts entstehen neben den Gilden der
altfreien aber auch Gilden der neufreien, bis dahin hörigen Handwerker.
Den Ursprung der Zünfte setzt Brentano nach Arnold und Maurer in den
Zeitraum vom Ausgange des 11. bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Self-
government ihres Gewerbes. Schutz desselben gegen die Gerichtsbarkeit, sowie
gegen die Gewerbe- und Marktpolizei der Stadtherren war das Hauptstreben
ihrer Organisation. Erst im 14. und 15. Jahrhundert hatten sie sich nahezu
überall, wenn nicht die politische Macht, so doch diese Freiheiten erkämpft.
Sie waren nun Verbindungen zum Schutz des auf kleines Capital und Ar¬
beit gegründeten freien selbstständigen Erwerbes. Nur kurze Zeit finden wir
sie in vollem, blühendem Gedeihen. Sie entarten von dem Augenblicke an,
wo sie nicht mehr nöthig haben, gemeinsame Interessen gegen auswärtige
Feinde zu vertreten, und wo in ihrer eignen Mitte die Jnteressenkämpfe be¬
ginnen, wo an der Stelle persönlicher Tüchtigkeit Vermögen oder Connexionen
zum Maßstab des Ansehens genommen werden. In England bekämpft schon
im 15., in Deutschland zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Staatsgewalt
die Mißbräuche der Handwerker, insbesondere ihre engherzige Exclusivität, die
Erschwerungen der Aufnahme, die Rancünen bei der Entlassung aus dem
Verbände, die Geldschneidereien gegen die Lehrlinge, die Bedrückungen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/312>, abgerufen am 25.07.2024.