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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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preußische und tief in der Sache liegende Grundsatz wurde verlassen, als
Friedrich Wilhelm IV. am 11. Januar 1841 die katholische Abtheilung im
Cultusministerium in's Leben rief. Es war am Anfang jener unglücklichen
Periode, wo der Standpunkt des Staates der preußischen Regierung immer
mehr verloren ging, wo man allen feindlichen Richtungen halbe Zugeständ¬
nisse machte, ohne sie damit gewinnen zu können. Auf diesem Weg zog sich
der Staat die Feinde am eignen Busen groß. Was konnte diese katholische
Abtheilung anders sein, als ein Werkzeug der päpstlichen Kirche gegen den
Staat, während die damalige Regierung glaubte, sie habe ein Mittel gefunden,
die päpstliche Kirche zu versöhnen und zur Selbsteinhaltung der zum Schutz
des Staats unentbehrlichen Schranken zu vermögen? Wie sich diese Erwartung
erfüllt hat, möge man, von früheren Jahren zu geschweigen, an den Per¬
sönlichkeiten abnehmen, welche zuletzt die katholische Abtheilung bildeten.
Der jetzt zur Disposition gestellte Director derselben, Dr. Krätzig, ist ein
eifriges Mitglied der sogenannten Fraction des Centrums. Die Räthe Lien-
hoff und Ulrich sind Geistesverwandte ihres ehemaligen Directors. Von
Lienhoff wird behauptet, daß er einen hohen Rang in der Gesellschaft Jesu
einnehme. Unbestreitbar sind die engen Beziehungen, welche zwischen der
Nuntiatur in Wien und den Räthen der katholischen Abtheilung in Berlin
obwalteten.

In einem katholischen Staat sogar wählte man zur Vertretung des
Staats gegenüber der Kirche solche Laien, die da wissen, was des Kaisers ist.
Das protestantische Preußen, das mächtigste Glied des deutschen Reiches,
konnte unmöglich die Wahrung des Staats gegenüber der Kirche Organen
anvertrauen von engster nicht nur kirchlicher, sondern jesuitisch-päpstlicher
Färbung. Diese Unmöglichkeit tritt vor aller Welt Augen, seitdem die päpst¬
liche Kirche durch die vatikanische Revolution von 1870 in sich gespalten ist.

Sollte der Staat etwa seinen Arm Herleihen, diese Revolution zur sieg¬
reichen Thatsache zu machen? Das wäre Selbstmord gewesen. Denn diese
Revolution ist in ihren weiteren Zwecken gegen die Selbständigkeit der welt¬
lichen Regierungen gerichtet. Aber Preußen denkt auch andererseits nicht
daran, die infallibilistische Kirche zu bekämpfen. Es setzt sich nur in den
Stand, in unbefangener, den ewigen Grundsätzen des Rechts entsprechender
Weise den Katholiken, die sich unverschuldet aus ihrer Kirche vielleicht ver¬
stoßen sehen, das zu wahren, was sie zurückzufordern den unbestreitbaren
Anspruch haben.

Wenn die klerikalen Organe, die Berliner "Germania" an der Spitze,
dem deutschen Staat dafür die Strafe durch Frankreich androhen, in dessen
Arme die Klerikalen alle deutschen Katholiken zu treiben, soviel an ihnen
liegt, sich vermessen, so ruft dieß wohl Ekel und Empörung, aber keine


preußische und tief in der Sache liegende Grundsatz wurde verlassen, als
Friedrich Wilhelm IV. am 11. Januar 1841 die katholische Abtheilung im
Cultusministerium in's Leben rief. Es war am Anfang jener unglücklichen
Periode, wo der Standpunkt des Staates der preußischen Regierung immer
mehr verloren ging, wo man allen feindlichen Richtungen halbe Zugeständ¬
nisse machte, ohne sie damit gewinnen zu können. Auf diesem Weg zog sich
der Staat die Feinde am eignen Busen groß. Was konnte diese katholische
Abtheilung anders sein, als ein Werkzeug der päpstlichen Kirche gegen den
Staat, während die damalige Regierung glaubte, sie habe ein Mittel gefunden,
die päpstliche Kirche zu versöhnen und zur Selbsteinhaltung der zum Schutz
des Staats unentbehrlichen Schranken zu vermögen? Wie sich diese Erwartung
erfüllt hat, möge man, von früheren Jahren zu geschweigen, an den Per¬
sönlichkeiten abnehmen, welche zuletzt die katholische Abtheilung bildeten.
Der jetzt zur Disposition gestellte Director derselben, Dr. Krätzig, ist ein
eifriges Mitglied der sogenannten Fraction des Centrums. Die Räthe Lien-
hoff und Ulrich sind Geistesverwandte ihres ehemaligen Directors. Von
Lienhoff wird behauptet, daß er einen hohen Rang in der Gesellschaft Jesu
einnehme. Unbestreitbar sind die engen Beziehungen, welche zwischen der
Nuntiatur in Wien und den Räthen der katholischen Abtheilung in Berlin
obwalteten.

In einem katholischen Staat sogar wählte man zur Vertretung des
Staats gegenüber der Kirche solche Laien, die da wissen, was des Kaisers ist.
Das protestantische Preußen, das mächtigste Glied des deutschen Reiches,
konnte unmöglich die Wahrung des Staats gegenüber der Kirche Organen
anvertrauen von engster nicht nur kirchlicher, sondern jesuitisch-päpstlicher
Färbung. Diese Unmöglichkeit tritt vor aller Welt Augen, seitdem die päpst¬
liche Kirche durch die vatikanische Revolution von 1870 in sich gespalten ist.

Sollte der Staat etwa seinen Arm Herleihen, diese Revolution zur sieg¬
reichen Thatsache zu machen? Das wäre Selbstmord gewesen. Denn diese
Revolution ist in ihren weiteren Zwecken gegen die Selbständigkeit der welt¬
lichen Regierungen gerichtet. Aber Preußen denkt auch andererseits nicht
daran, die infallibilistische Kirche zu bekämpfen. Es setzt sich nur in den
Stand, in unbefangener, den ewigen Grundsätzen des Rechts entsprechender
Weise den Katholiken, die sich unverschuldet aus ihrer Kirche vielleicht ver¬
stoßen sehen, das zu wahren, was sie zurückzufordern den unbestreitbaren
Anspruch haben.

Wenn die klerikalen Organe, die Berliner „Germania" an der Spitze,
dem deutschen Staat dafür die Strafe durch Frankreich androhen, in dessen
Arme die Klerikalen alle deutschen Katholiken zu treiben, soviel an ihnen
liegt, sich vermessen, so ruft dieß wohl Ekel und Empörung, aber keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/242>, abgerufen am 24.07.2024.