Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.kanntlich noch allerlei Schwankungen vorgekommen, einen Augenblick hatte Wer heut dieses Extrablatt wieder liest und sich die Folgen, die es ge¬ Sicherlich wäre der Krieg auch nicht zu vermeiden gewesen, wenn auch Daß wir in der Erinnerung leben, ist um so begreiflicher, als die Ge¬ Wie verlautet, will das Ministerium die Zustände, welche aus dem Ar¬ kanntlich noch allerlei Schwankungen vorgekommen, einen Augenblick hatte Wer heut dieses Extrablatt wieder liest und sich die Folgen, die es ge¬ Sicherlich wäre der Krieg auch nicht zu vermeiden gewesen, wenn auch Daß wir in der Erinnerung leben, ist um so begreiflicher, als die Ge¬ Wie verlautet, will das Ministerium die Zustände, welche aus dem Ar¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126440"/> <p xml:id="ID_472" prev="#ID_471"> kanntlich noch allerlei Schwankungen vorgekommen, einen Augenblick hatte<lb/> die Friedenshoffnung, einen andern die Kriegsfurcht die Vorhand: die beiden ent¬<lb/> gegengesetzten Anschauungen hielten sich noch immer die Wage, Da kamen<lb/> um die Ecke der Friedrichsstraße herum die ersten Verkäufer mit ihren lauten<lb/> Rufen: Ein Extrablatt der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung! Die In¬<lb/> dustrie der Extrablätter war damals noch jung und noch nicht in Verruf<lb/> gekommen, Jeder griff darnach, die Nachricht flog wie ein Lauffeuer durch<lb/> die Menge — durch die Stadt und es gab Niemanden, der nicht bei dem<lb/> Lesen jener Zeilen gesagt hätte: Das ist der Krieg!</p><lb/> <p xml:id="ID_473"> Wer heut dieses Extrablatt wieder liest und sich die Folgen, die es ge¬<lb/> habt, vergegenwärtigt, muß von der tiefsten Bewunderung für die Redaction<lb/> dieses letzten Satzes erfüllt sein. Der Flügeladjutant des Königs, Fürst A.<lb/> Radziwill, hat bekanntlich eine streng officielle Darstellung der Vorgänge<lb/> am 13. in Eins gegeben, nach welcher der König dem Grafen Benedetti hat<lb/> mittheilen lassen, daß, was er ihm am Morgen gesagt, sein letztes Wort in<lb/> dieser Sache gewesen sei, und dabei hat sich Benedetti beruhigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_474"> Sicherlich wäre der Krieg auch nicht zu vermeiden gewesen, wenn auch<lb/> das Extrablatt vom 13. Juli 9 Uhr Abends nicht erschienen wäre, aber daß<lb/> jeder Gedanke an eine weitere Concession deutscher Seits zu Gunsten des<lb/> Friedens unmöglich gemacht wurde, daß die Franzosen keine Möglichkeit mehr<lb/> hatten, Zeit zu gewinnen, die ihnen zur Vollendung ihrer Rüstungen sehr<lb/> nothwendig gewesen wäre, das ist das unzweifelhafte, unvergeßliche Verdienst<lb/> des Verfassers jenes Extrablattes!</p><lb/> <p xml:id="ID_475"> Daß wir in der Erinnerung leben, ist um so begreiflicher, als die Ge¬<lb/> genwart wenig bietet. Die politischen Ferien, man könnte eben so gut sagen,<lb/> die politische Fastenzeit, gehört auch zu den Geheimnissen der preußischen Zucht<lb/> und Niemand hält so darauf, wie Fürst Bismarck. Ewige Aufregung er¬<lb/> schlafft — es muß immer eine Ruhepause dazwischen sein und je stiller es<lb/> dann ist, um so besser. Deßhalb ist auch etwas unwahrscheinlich, daß<lb/> jetzt schon der angekündigte große Feldzug gegen die Ultramontanen beginnt,<lb/> obgleich derselbe nur sehr partielle Aufregung verursachen würde. Im Großen<lb/> und Ganzen sieht das Publicum den Anstrengungen der Ultramontanen eben<lb/> so gleichgültig zu wie denen der verschiedenen Glaubensparteien in der evan¬<lb/> gelischen Kirche und die Döllingerianer werden ein eben so kleines Häuflein<lb/> bleiben, als die Mitglieder des Protestantenvereins. Es wäre gewiß besser,<lb/> wenn es anders wäre, aber bis jetzt hat noch Niemand ein Mittel entdeckt<lb/> diese Gleichgültigkeit zu heben.</p><lb/> <p xml:id="ID_476" next="#ID_477"> Wie verlautet, will das Ministerium die Zustände, welche aus dem Ar¬<lb/> tikel XV der Verfassung („Die evangelische und die römisch-katholische Kirche,<lb/> sowie jede andere Religions-Gesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Ange-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
kanntlich noch allerlei Schwankungen vorgekommen, einen Augenblick hatte
die Friedenshoffnung, einen andern die Kriegsfurcht die Vorhand: die beiden ent¬
gegengesetzten Anschauungen hielten sich noch immer die Wage, Da kamen
um die Ecke der Friedrichsstraße herum die ersten Verkäufer mit ihren lauten
Rufen: Ein Extrablatt der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung! Die In¬
dustrie der Extrablätter war damals noch jung und noch nicht in Verruf
gekommen, Jeder griff darnach, die Nachricht flog wie ein Lauffeuer durch
die Menge — durch die Stadt und es gab Niemanden, der nicht bei dem
Lesen jener Zeilen gesagt hätte: Das ist der Krieg!
Wer heut dieses Extrablatt wieder liest und sich die Folgen, die es ge¬
habt, vergegenwärtigt, muß von der tiefsten Bewunderung für die Redaction
dieses letzten Satzes erfüllt sein. Der Flügeladjutant des Königs, Fürst A.
Radziwill, hat bekanntlich eine streng officielle Darstellung der Vorgänge
am 13. in Eins gegeben, nach welcher der König dem Grafen Benedetti hat
mittheilen lassen, daß, was er ihm am Morgen gesagt, sein letztes Wort in
dieser Sache gewesen sei, und dabei hat sich Benedetti beruhigt.
Sicherlich wäre der Krieg auch nicht zu vermeiden gewesen, wenn auch
das Extrablatt vom 13. Juli 9 Uhr Abends nicht erschienen wäre, aber daß
jeder Gedanke an eine weitere Concession deutscher Seits zu Gunsten des
Friedens unmöglich gemacht wurde, daß die Franzosen keine Möglichkeit mehr
hatten, Zeit zu gewinnen, die ihnen zur Vollendung ihrer Rüstungen sehr
nothwendig gewesen wäre, das ist das unzweifelhafte, unvergeßliche Verdienst
des Verfassers jenes Extrablattes!
Daß wir in der Erinnerung leben, ist um so begreiflicher, als die Ge¬
genwart wenig bietet. Die politischen Ferien, man könnte eben so gut sagen,
die politische Fastenzeit, gehört auch zu den Geheimnissen der preußischen Zucht
und Niemand hält so darauf, wie Fürst Bismarck. Ewige Aufregung er¬
schlafft — es muß immer eine Ruhepause dazwischen sein und je stiller es
dann ist, um so besser. Deßhalb ist auch etwas unwahrscheinlich, daß
jetzt schon der angekündigte große Feldzug gegen die Ultramontanen beginnt,
obgleich derselbe nur sehr partielle Aufregung verursachen würde. Im Großen
und Ganzen sieht das Publicum den Anstrengungen der Ultramontanen eben
so gleichgültig zu wie denen der verschiedenen Glaubensparteien in der evan¬
gelischen Kirche und die Döllingerianer werden ein eben so kleines Häuflein
bleiben, als die Mitglieder des Protestantenvereins. Es wäre gewiß besser,
wenn es anders wäre, aber bis jetzt hat noch Niemand ein Mittel entdeckt
diese Gleichgültigkeit zu heben.
Wie verlautet, will das Ministerium die Zustände, welche aus dem Ar¬
tikel XV der Verfassung („Die evangelische und die römisch-katholische Kirche,
sowie jede andere Religions-Gesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Ange-
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