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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Der Bauer bekreuzigt sich erst nach dem Gewitter. Thun wir es als vor¬
sichtige Leute vorher. Lavsant eonsulss res pudlieg, yena üetrimsnti
oaxiat.




Wilhelm Jordan's Möelunge.

Ein eigenthümlich glückliches, doch keineswegs zufälliges Zusammentreffen
wäre, wenn sich ergeben sollte, daß der deutschen Nation in demselben Augen¬
blicke, wo sie einen herrlichen Heldenkampf siegreich hinausgeführt hat und
zur höchsten Machtstellung, zur Wiederaufrichtung des deutschen Kaiserreiches
gelangt ist, -- ein gewaltiger Sänger aufgestanden ist, der seinem Volke eines
der edelsten Siegesdenkmäler bietet, die ein ernstes, gesinnungstüchtiges und
kunstsinniges Volk sich wünschen mag, -- ein wirkliches Nationalepos! Ein
eigenthümlich glückliches Zusammentreffen müßte das sein, doch kein zufälliges!
Denn dieselbe Kraft, welche den großen Staatsmann befähigt, alle Verhält¬
nisse klar zu durchschauen und darnach zu handeln, dieselbe Kraft, welche den
Blick des unvergleichlichen Strategen so hell, so weitsehend macht, sie wohnt
ja auch in dem wahren Dichter; nur daß der Letztere (wie Goethe in seiner
Abhandlung über Shakespeare ausführt), diese Kraft nicht zu unmittelbaren
irdischen Zwecken, sondern zu einem geistigen, allgemeinen Zweck ausbildet.

Jordan, der edle Dickter der Nibelunge, der das im wunderlichen, ur¬
alten Schlosse verzaubert schlafende Dornröschen mit dem Kusse des Genius
Wachgeküßthat, scheint uns dieser Sänger zu sein, und das deutsche Volk
darf sick freuen, daß die Sonne des Sieges nicht nur aus den funkelnden
Waffen seiner stolzen Kriegerschaaren, sondern auch aus den goldnen Harfen¬
saiten seines großen Dichters helle Blitze lockt. Ein deutsches Nationalepos!
das gebrach uns noch. Man hat zwar in Deutschland diesen Mangel selten
eingestehen wollen. Weil man die Elemente zur Schöpfung dieses Natio¬
nalgedichtes allerdings besaß, glaubte man auch das Gedicht selbst, die voll¬
endete Schöpfung zu haben. Man hat die mittelalterlichen Nibelungen als
ebenbürtiges Kunstwerk neben die Epen der Hellenen gestellt und Gymnasia¬
sten mit jugendlich patriotischem Feuer dieser Parallele zujubeln lassen. Dem
großen Fritz hat man seine wegwerfende Beurtheilung des mittelalterlichen
Gedichtes niemals verziehen. Aber im Stillen hat man doch immer wieder,
wenn man vollendete epische Schönheit auf sich wirken lassen wollte, zu
Homer gegriffen; eine solche Selbsttäuschung mag dem Nationalgefühl eilt-


Der Bauer bekreuzigt sich erst nach dem Gewitter. Thun wir es als vor¬
sichtige Leute vorher. Lavsant eonsulss res pudlieg, yena üetrimsnti
oaxiat.




Wilhelm Jordan's Möelunge.

Ein eigenthümlich glückliches, doch keineswegs zufälliges Zusammentreffen
wäre, wenn sich ergeben sollte, daß der deutschen Nation in demselben Augen¬
blicke, wo sie einen herrlichen Heldenkampf siegreich hinausgeführt hat und
zur höchsten Machtstellung, zur Wiederaufrichtung des deutschen Kaiserreiches
gelangt ist, — ein gewaltiger Sänger aufgestanden ist, der seinem Volke eines
der edelsten Siegesdenkmäler bietet, die ein ernstes, gesinnungstüchtiges und
kunstsinniges Volk sich wünschen mag, — ein wirkliches Nationalepos! Ein
eigenthümlich glückliches Zusammentreffen müßte das sein, doch kein zufälliges!
Denn dieselbe Kraft, welche den großen Staatsmann befähigt, alle Verhält¬
nisse klar zu durchschauen und darnach zu handeln, dieselbe Kraft, welche den
Blick des unvergleichlichen Strategen so hell, so weitsehend macht, sie wohnt
ja auch in dem wahren Dichter; nur daß der Letztere (wie Goethe in seiner
Abhandlung über Shakespeare ausführt), diese Kraft nicht zu unmittelbaren
irdischen Zwecken, sondern zu einem geistigen, allgemeinen Zweck ausbildet.

Jordan, der edle Dickter der Nibelunge, der das im wunderlichen, ur¬
alten Schlosse verzaubert schlafende Dornröschen mit dem Kusse des Genius
Wachgeküßthat, scheint uns dieser Sänger zu sein, und das deutsche Volk
darf sick freuen, daß die Sonne des Sieges nicht nur aus den funkelnden
Waffen seiner stolzen Kriegerschaaren, sondern auch aus den goldnen Harfen¬
saiten seines großen Dichters helle Blitze lockt. Ein deutsches Nationalepos!
das gebrach uns noch. Man hat zwar in Deutschland diesen Mangel selten
eingestehen wollen. Weil man die Elemente zur Schöpfung dieses Natio¬
nalgedichtes allerdings besaß, glaubte man auch das Gedicht selbst, die voll¬
endete Schöpfung zu haben. Man hat die mittelalterlichen Nibelungen als
ebenbürtiges Kunstwerk neben die Epen der Hellenen gestellt und Gymnasia¬
sten mit jugendlich patriotischem Feuer dieser Parallele zujubeln lassen. Dem
großen Fritz hat man seine wegwerfende Beurtheilung des mittelalterlichen
Gedichtes niemals verziehen. Aber im Stillen hat man doch immer wieder,
wenn man vollendete epische Schönheit auf sich wirken lassen wollte, zu
Homer gegriffen; eine solche Selbsttäuschung mag dem Nationalgefühl eilt-


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[0147] Der Bauer bekreuzigt sich erst nach dem Gewitter. Thun wir es als vor¬ sichtige Leute vorher. Lavsant eonsulss res pudlieg, yena üetrimsnti oaxiat. Wilhelm Jordan's Möelunge. Ein eigenthümlich glückliches, doch keineswegs zufälliges Zusammentreffen wäre, wenn sich ergeben sollte, daß der deutschen Nation in demselben Augen¬ blicke, wo sie einen herrlichen Heldenkampf siegreich hinausgeführt hat und zur höchsten Machtstellung, zur Wiederaufrichtung des deutschen Kaiserreiches gelangt ist, — ein gewaltiger Sänger aufgestanden ist, der seinem Volke eines der edelsten Siegesdenkmäler bietet, die ein ernstes, gesinnungstüchtiges und kunstsinniges Volk sich wünschen mag, — ein wirkliches Nationalepos! Ein eigenthümlich glückliches Zusammentreffen müßte das sein, doch kein zufälliges! Denn dieselbe Kraft, welche den großen Staatsmann befähigt, alle Verhält¬ nisse klar zu durchschauen und darnach zu handeln, dieselbe Kraft, welche den Blick des unvergleichlichen Strategen so hell, so weitsehend macht, sie wohnt ja auch in dem wahren Dichter; nur daß der Letztere (wie Goethe in seiner Abhandlung über Shakespeare ausführt), diese Kraft nicht zu unmittelbaren irdischen Zwecken, sondern zu einem geistigen, allgemeinen Zweck ausbildet. Jordan, der edle Dickter der Nibelunge, der das im wunderlichen, ur¬ alten Schlosse verzaubert schlafende Dornröschen mit dem Kusse des Genius Wachgeküßthat, scheint uns dieser Sänger zu sein, und das deutsche Volk darf sick freuen, daß die Sonne des Sieges nicht nur aus den funkelnden Waffen seiner stolzen Kriegerschaaren, sondern auch aus den goldnen Harfen¬ saiten seines großen Dichters helle Blitze lockt. Ein deutsches Nationalepos! das gebrach uns noch. Man hat zwar in Deutschland diesen Mangel selten eingestehen wollen. Weil man die Elemente zur Schöpfung dieses Natio¬ nalgedichtes allerdings besaß, glaubte man auch das Gedicht selbst, die voll¬ endete Schöpfung zu haben. Man hat die mittelalterlichen Nibelungen als ebenbürtiges Kunstwerk neben die Epen der Hellenen gestellt und Gymnasia¬ sten mit jugendlich patriotischem Feuer dieser Parallele zujubeln lassen. Dem großen Fritz hat man seine wegwerfende Beurtheilung des mittelalterlichen Gedichtes niemals verziehen. Aber im Stillen hat man doch immer wieder, wenn man vollendete epische Schönheit auf sich wirken lassen wollte, zu Homer gegriffen; eine solche Selbsttäuschung mag dem Nationalgefühl eilt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/147>, abgerufen am 24.07.2024.