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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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hatten bekanntlich auch eine sehr schwere Stellung), aber es wird eines ern¬
sten Auftretens in Versailles bedürfen, um wenigstens für einige Zeit wieder
Ruhe zu schaffen und Jules Favre hat jedenfalls eben so sehr den Reclama-
tionen des General v. Manteuffel vorbauen wie seine Landsleute ernstlich war¬
nen wollen, als er auf die Prahlereien und Beleidigungen eines unverbesser¬
lichen Chauvinisten in einer Sprache antwortete, die man aus französischem
Munde zu hören lange nicht mehr gewöhnt ist.

Die Klerikalen haben mit der empfindlichen Niederlage, welche ihnen der
Reichskanzler zugefügt hat, noch nicht genug gehabt. So lange der Reichstag
versammelt war, übten die feineren Köpfe der Partei auf ihr neugegründetes
Organ wenigstens einen kleinen Einfluß aus, der die brutalen Manieren des
Redacteurs etwas milderte. Seit es an dieser Controle fehlt, ist in dem
Blatte des Caplan Majunke ein Ton zur Alleinherrschaft gelangt, der nur
mit demjenigen des am 1. Juli aus der Asche entstandenen "Neuen Social¬
demokraten" einige Verwandtschaft hat, sonst in der gesammten Berliner
Presse einzig dasteht. Die "Germania" hatte die Rohheit, einen Sarg nicht
zu respectiren und verkündete über dem Grabe des Kammergerichtsraths Rob-
ben, daß derselbe sich auf seinem Sterbebette zur Lehre von der Unfehlbarkeit
bekannt habe, die er bis dahin auf das Eifrigste bekämpft hatte, obgleich er
stets ein strenger Katholik war. Die Söhne des Verstorbenen widersprachen
der "Germania" und nach mehrfachem Streit ging diese endlich so weit, zwei
Geistliche für die stattgefundene Bekehrung Zeugniß ablegen zu lassen. Dem
gegenüber hält der eine der Söhne, welcher den Kampf fortgesetzt hat, doch
noch seine Behauptung aufrecht, und erklärt die Möglichkeit des Widerspruches
in einer Weise, welche durchaus nicht unwahrscheinlich klingt und das Ver¬
halten der betheiligten Geistlichen eigenthümlich beleuchtet. Für das hiesige
Publicum ist eine ganz untergeordnete Frage, wer in diesem Streite die
Wahrheit gesprochen hat, denn es ist durchaus nichts Seltenes, daß Jemand
auf dem Sterbebette schwach wird und lang vertretene Ueberzeugungen aus¬
gibt, sondern daß der Todeskampf zu einer solchen Bekehrung benützt wurde
(und daß dies geschehen ist, geht aus der eigenen Erklärung des einen der
betreffenden Geistlichen, des Divisionspredigers Parmet unzweifelhaft hervor),
das ist es, was allen Gefühlen einer Bevölkerung, die vielleicht nicht sehr
kirchlich, aber durch und durch tolerant ist und jeden Gewissenszwang gründ¬
lich verabscheut, Hohn spricht und sie aufs Aeußerste verletzt. Wenn es ein
Mittel gibt gegen den weit verbreiteten Jndifferentismus, so sind es solche
Ausschreitungen. Die Ultramontanen vergessen, daß das nüchterne Nord¬
deutschland kein Boden für sie ist und daß sie alle ihre Erfolge nur der Nach'
ficht der Regierung und der Gleichgültigkeit der Bevölkerung, welche die Be¬
deutung der klerikalen Bewegung unterschätzte, verdanken. In dem Augen-


hatten bekanntlich auch eine sehr schwere Stellung), aber es wird eines ern¬
sten Auftretens in Versailles bedürfen, um wenigstens für einige Zeit wieder
Ruhe zu schaffen und Jules Favre hat jedenfalls eben so sehr den Reclama-
tionen des General v. Manteuffel vorbauen wie seine Landsleute ernstlich war¬
nen wollen, als er auf die Prahlereien und Beleidigungen eines unverbesser¬
lichen Chauvinisten in einer Sprache antwortete, die man aus französischem
Munde zu hören lange nicht mehr gewöhnt ist.

Die Klerikalen haben mit der empfindlichen Niederlage, welche ihnen der
Reichskanzler zugefügt hat, noch nicht genug gehabt. So lange der Reichstag
versammelt war, übten die feineren Köpfe der Partei auf ihr neugegründetes
Organ wenigstens einen kleinen Einfluß aus, der die brutalen Manieren des
Redacteurs etwas milderte. Seit es an dieser Controle fehlt, ist in dem
Blatte des Caplan Majunke ein Ton zur Alleinherrschaft gelangt, der nur
mit demjenigen des am 1. Juli aus der Asche entstandenen „Neuen Social¬
demokraten" einige Verwandtschaft hat, sonst in der gesammten Berliner
Presse einzig dasteht. Die „Germania" hatte die Rohheit, einen Sarg nicht
zu respectiren und verkündete über dem Grabe des Kammergerichtsraths Rob-
ben, daß derselbe sich auf seinem Sterbebette zur Lehre von der Unfehlbarkeit
bekannt habe, die er bis dahin auf das Eifrigste bekämpft hatte, obgleich er
stets ein strenger Katholik war. Die Söhne des Verstorbenen widersprachen
der „Germania" und nach mehrfachem Streit ging diese endlich so weit, zwei
Geistliche für die stattgefundene Bekehrung Zeugniß ablegen zu lassen. Dem
gegenüber hält der eine der Söhne, welcher den Kampf fortgesetzt hat, doch
noch seine Behauptung aufrecht, und erklärt die Möglichkeit des Widerspruches
in einer Weise, welche durchaus nicht unwahrscheinlich klingt und das Ver¬
halten der betheiligten Geistlichen eigenthümlich beleuchtet. Für das hiesige
Publicum ist eine ganz untergeordnete Frage, wer in diesem Streite die
Wahrheit gesprochen hat, denn es ist durchaus nichts Seltenes, daß Jemand
auf dem Sterbebette schwach wird und lang vertretene Ueberzeugungen aus¬
gibt, sondern daß der Todeskampf zu einer solchen Bekehrung benützt wurde
(und daß dies geschehen ist, geht aus der eigenen Erklärung des einen der
betreffenden Geistlichen, des Divisionspredigers Parmet unzweifelhaft hervor),
das ist es, was allen Gefühlen einer Bevölkerung, die vielleicht nicht sehr
kirchlich, aber durch und durch tolerant ist und jeden Gewissenszwang gründ¬
lich verabscheut, Hohn spricht und sie aufs Aeußerste verletzt. Wenn es ein
Mittel gibt gegen den weit verbreiteten Jndifferentismus, so sind es solche
Ausschreitungen. Die Ultramontanen vergessen, daß das nüchterne Nord¬
deutschland kein Boden für sie ist und daß sie alle ihre Erfolge nur der Nach'
ficht der Regierung und der Gleichgültigkeit der Bevölkerung, welche die Be¬
deutung der klerikalen Bewegung unterschätzte, verdanken. In dem Augen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/124>, abgerufen am 24.07.2024.