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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Ketteler fort, "wenn es in dem Schreiben an den Grafen Frankenberg weiter
heißt, daß der Cardinal-Staatssecretär dem Grafen Tauffkirchen keinen Zwei¬
fel darüber gelassen habe, daß die Haltung der Partei an der höchsten Stelle
der katholischen Kirche nicht gebilligt werde." Herr von Ketteler fügt nun aber
hinzu: eine solche Partei würde auch er nicht nur mißbilligen, sondern ver¬
abscheuen, und weist mit tiefster Entrüstung die Anschuldigung zurück, welche
der deutsche Gesandte dem Cardinal Antonelli in officieller Weist mitgetheilt
habe.

Die Strategie des Bischofs von Mainz ist gewandt genug, doch bleibt
fraglich, ob sie zum Zweck führt. Fürst Bismarck dürfte darauf bestehen, daß
die päpstliche Regierung die Opposition der Centrumsfraction gegen das
deutsche Reich unzweideutig mißbilligt, oder die Haltung der Fraction eine
andere wird. Mit der Behauptung, daß die Opposition der katholischen Frac¬
tion eine loyale oder vielleicht gar keine Opposition sei, wird sich der Reichs¬
kanzler nicht abspeisen lassen.

Es ist wichtig, in dieser Frage sich vor Verwechselungen zu hüten. Jede
Partei kann am Ende so viel Opposition machen als sie will, so lange sie die
Gesetze nicht überschreitet. Eine Opposition aber, die sich auf eine universelle
kirchliche Autorität stützt, ist etwas ganz anderes. Man kann keiner Opposi¬
tion den Gebrauch der gewöhnlichen Argumente, welche vom gegebenen Staats¬
recht oder von der politischen Zweckmäßigkeit entnommen sind, verwehren.
Eine Opposition aber, die das Gebot des Stellvertreters Christi als po¬
litische Fahne entfaltet, kann nicht mit den Mitteln der Discussion bekämpft
werden. Hier muß der Staat sich an den Fahnenherrn wenden und fragen:
geschieht es nach deiner Anweisung, daß deine Fahne gegen mich entrollt
wird? Je nachdem der Papst ja oder nein sagt, wird man die Entfaltung
der päpstlichen Fahne als unbefugten Mißbrauch ahnden, oder aber man
wird mit dem Papst selbst als Gegner zu thun haben. Dies ist die große
Bedeutung der Stellung, welche Fürst Bismarck gegen das katholische Cen¬
trum einzunehmen scheint. Frühere Regierungen haben das katholische Cen¬
trum wie eine regelrechte politische Partei behandelt und seine befugte oder
unbefugte Verbindung mit einer universell kirchlichen und außerdeutschen
Autorität ignorirt. Dies scheint nun nicht weiter gehen zu sollen, und der
Reichskanzler zeigt nur seinen gewöhnlichen Scharfblick, wenn er das Unzu¬
lässige der Stellung einer Fraction, welche, angeblich politisch, sich zugleich
mit den Geboten der Kirche deckt, so stark als möglich beleuchtet.

Herr von Ketteler stellt sich so tief entrüstet, daß die katholische Fraction
als grundsätzliche Gegnerin des deutschen Reiches hingestellt werden soll. Ge¬
hören denn aber nicht bairische Ultramontane zu dieser Fraction, welche im
Anfang l870 den Sturm gegen das Ministerium Hohenlohe anfachten, weil


Ketteler fort, „wenn es in dem Schreiben an den Grafen Frankenberg weiter
heißt, daß der Cardinal-Staatssecretär dem Grafen Tauffkirchen keinen Zwei¬
fel darüber gelassen habe, daß die Haltung der Partei an der höchsten Stelle
der katholischen Kirche nicht gebilligt werde." Herr von Ketteler fügt nun aber
hinzu: eine solche Partei würde auch er nicht nur mißbilligen, sondern ver¬
abscheuen, und weist mit tiefster Entrüstung die Anschuldigung zurück, welche
der deutsche Gesandte dem Cardinal Antonelli in officieller Weist mitgetheilt
habe.

Die Strategie des Bischofs von Mainz ist gewandt genug, doch bleibt
fraglich, ob sie zum Zweck führt. Fürst Bismarck dürfte darauf bestehen, daß
die päpstliche Regierung die Opposition der Centrumsfraction gegen das
deutsche Reich unzweideutig mißbilligt, oder die Haltung der Fraction eine
andere wird. Mit der Behauptung, daß die Opposition der katholischen Frac¬
tion eine loyale oder vielleicht gar keine Opposition sei, wird sich der Reichs¬
kanzler nicht abspeisen lassen.

Es ist wichtig, in dieser Frage sich vor Verwechselungen zu hüten. Jede
Partei kann am Ende so viel Opposition machen als sie will, so lange sie die
Gesetze nicht überschreitet. Eine Opposition aber, die sich auf eine universelle
kirchliche Autorität stützt, ist etwas ganz anderes. Man kann keiner Opposi¬
tion den Gebrauch der gewöhnlichen Argumente, welche vom gegebenen Staats¬
recht oder von der politischen Zweckmäßigkeit entnommen sind, verwehren.
Eine Opposition aber, die das Gebot des Stellvertreters Christi als po¬
litische Fahne entfaltet, kann nicht mit den Mitteln der Discussion bekämpft
werden. Hier muß der Staat sich an den Fahnenherrn wenden und fragen:
geschieht es nach deiner Anweisung, daß deine Fahne gegen mich entrollt
wird? Je nachdem der Papst ja oder nein sagt, wird man die Entfaltung
der päpstlichen Fahne als unbefugten Mißbrauch ahnden, oder aber man
wird mit dem Papst selbst als Gegner zu thun haben. Dies ist die große
Bedeutung der Stellung, welche Fürst Bismarck gegen das katholische Cen¬
trum einzunehmen scheint. Frühere Regierungen haben das katholische Cen¬
trum wie eine regelrechte politische Partei behandelt und seine befugte oder
unbefugte Verbindung mit einer universell kirchlichen und außerdeutschen
Autorität ignorirt. Dies scheint nun nicht weiter gehen zu sollen, und der
Reichskanzler zeigt nur seinen gewöhnlichen Scharfblick, wenn er das Unzu¬
lässige der Stellung einer Fraction, welche, angeblich politisch, sich zugleich
mit den Geboten der Kirche deckt, so stark als möglich beleuchtet.

Herr von Ketteler stellt sich so tief entrüstet, daß die katholische Fraction
als grundsätzliche Gegnerin des deutschen Reiches hingestellt werden soll. Ge¬
hören denn aber nicht bairische Ultramontane zu dieser Fraction, welche im
Anfang l870 den Sturm gegen das Ministerium Hohenlohe anfachten, weil


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[0122] Ketteler fort, „wenn es in dem Schreiben an den Grafen Frankenberg weiter heißt, daß der Cardinal-Staatssecretär dem Grafen Tauffkirchen keinen Zwei¬ fel darüber gelassen habe, daß die Haltung der Partei an der höchsten Stelle der katholischen Kirche nicht gebilligt werde." Herr von Ketteler fügt nun aber hinzu: eine solche Partei würde auch er nicht nur mißbilligen, sondern ver¬ abscheuen, und weist mit tiefster Entrüstung die Anschuldigung zurück, welche der deutsche Gesandte dem Cardinal Antonelli in officieller Weist mitgetheilt habe. Die Strategie des Bischofs von Mainz ist gewandt genug, doch bleibt fraglich, ob sie zum Zweck führt. Fürst Bismarck dürfte darauf bestehen, daß die päpstliche Regierung die Opposition der Centrumsfraction gegen das deutsche Reich unzweideutig mißbilligt, oder die Haltung der Fraction eine andere wird. Mit der Behauptung, daß die Opposition der katholischen Frac¬ tion eine loyale oder vielleicht gar keine Opposition sei, wird sich der Reichs¬ kanzler nicht abspeisen lassen. Es ist wichtig, in dieser Frage sich vor Verwechselungen zu hüten. Jede Partei kann am Ende so viel Opposition machen als sie will, so lange sie die Gesetze nicht überschreitet. Eine Opposition aber, die sich auf eine universelle kirchliche Autorität stützt, ist etwas ganz anderes. Man kann keiner Opposi¬ tion den Gebrauch der gewöhnlichen Argumente, welche vom gegebenen Staats¬ recht oder von der politischen Zweckmäßigkeit entnommen sind, verwehren. Eine Opposition aber, die das Gebot des Stellvertreters Christi als po¬ litische Fahne entfaltet, kann nicht mit den Mitteln der Discussion bekämpft werden. Hier muß der Staat sich an den Fahnenherrn wenden und fragen: geschieht es nach deiner Anweisung, daß deine Fahne gegen mich entrollt wird? Je nachdem der Papst ja oder nein sagt, wird man die Entfaltung der päpstlichen Fahne als unbefugten Mißbrauch ahnden, oder aber man wird mit dem Papst selbst als Gegner zu thun haben. Dies ist die große Bedeutung der Stellung, welche Fürst Bismarck gegen das katholische Cen¬ trum einzunehmen scheint. Frühere Regierungen haben das katholische Cen¬ trum wie eine regelrechte politische Partei behandelt und seine befugte oder unbefugte Verbindung mit einer universell kirchlichen und außerdeutschen Autorität ignorirt. Dies scheint nun nicht weiter gehen zu sollen, und der Reichskanzler zeigt nur seinen gewöhnlichen Scharfblick, wenn er das Unzu¬ lässige der Stellung einer Fraction, welche, angeblich politisch, sich zugleich mit den Geboten der Kirche deckt, so stark als möglich beleuchtet. Herr von Ketteler stellt sich so tief entrüstet, daß die katholische Fraction als grundsätzliche Gegnerin des deutschen Reiches hingestellt werden soll. Ge¬ hören denn aber nicht bairische Ultramontane zu dieser Fraction, welche im Anfang l870 den Sturm gegen das Ministerium Hohenlohe anfachten, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/122>, abgerufen am 24.07.2024.