Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

treu und beharrlich in vollster und reinster Hingebung zum Siege geführt.
Freilich, heute ist es unmöglich, bestimmt und sicher ein Urtheil darüber zu
sprechen, wie viel an den Erfolgen diese oder jene Person für sich ansprechen
darf; und wäre es selbst möglich, heute darüber schon die Untersuchungsacten
zu schließen, uns an dieser Stelle würde es nicht geziemen, die persönlichen
Verdienste unseres königlichen Herrn an dem großen Ausgange abzuwägen
oder zu feiern.

Herrlich sind die Errungenschaften dieser Kriegszeit. Nicht die glühendste
Phantasie eines deutschen Patrioten hätte bei der letzten Feier dieses Tages
für möglich gehalten, daß in einem Jahre erreicht werden könne, was erreicht
ist. Ich sehe ab von den großen moralischen Segnungen, von den geistigen
Einflüssen dieser großen Zeit auf Mitwelt und Nachwelt. Ich nenne zwei
greifbare köstliche Güter, die uns geworden.

Zurückgewonnen der nationalen Gemeinschaft ist die Grenzmark im
Westen; heimgeführt sind die entfremdeten und verlorenen Söhne der gemein¬
samen deutschen Mutter. Was einst durch unsere Schwäche und des eroberungs¬
lustigen Nachbarn trotzige Uebermacht uns entrissen war, ist wieder beige¬
bracht in blutigem Kriege; und grollt auch heute noch der Sinn unserer
Brüder im Elsaß und Lothringen den stammverwandten Eroberern, wir ver¬
trauen der Stimme des Blutes, der alles bezwingender Macht deutscher Ge¬
sittung und Bildung: unsere Zuversicht schwankt nicht einen Augenblick, daß
das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch in unseren neuen Provinzen bald
schon hell anstehe und auch jene Herzen an uns kelte.

Gleichzeitig mit dem Wiedergewinn der alten Reichslande ist auch das
deutsche Reich ins Leben zurückgekehrt. Wir haben wieder ein deutsches Reich,
einen deutschen Kaiser! Zum deutschen Einheitskriege ist dieser letzte Wasser¬
gang mit dem Nationalfeinde geworden: auf den Schlachtfeldern in Frankreich
aus blutiger Saat ist aufs Neue Deutschlands Einheit erblüht. --

Eine lange Zeit trennte uns von jenen Jahrhunderten, in welchen auch
der deutschen Nation die politische Einheit zu Theil gewesen war. Das
Kaiserreich war in den Stürmen äußerer und innerer Kriege und Unruhen
schon im Mittelalter auseinandergeschlagen. Die Herstellung des verlorenen
Reiches, oft versucht, war immer mißlungen. Aber in allen den Jahrhunderten
politischer Zerrissenheit und staatlicher Ohnmacht hatte sich doch der edelsten
Geister Deutschlands eine tiefe, nicht aussterbende Sehnsucht nach Kaiser und
Reich bemächtigt, und zu den lebendigsten Hoffnungen und Wünschen hatte
sich dies Verlangen gesteigert. Von einem dereinstigen Erwachen Kaiser
Rothbarts träumte die Phantasie unseres Volkes und sangen die Lieder
unserer Dichter.

Und siehe da! Träume und Phantasien, Lieder und Sagen, Hoffnungen


treu und beharrlich in vollster und reinster Hingebung zum Siege geführt.
Freilich, heute ist es unmöglich, bestimmt und sicher ein Urtheil darüber zu
sprechen, wie viel an den Erfolgen diese oder jene Person für sich ansprechen
darf; und wäre es selbst möglich, heute darüber schon die Untersuchungsacten
zu schließen, uns an dieser Stelle würde es nicht geziemen, die persönlichen
Verdienste unseres königlichen Herrn an dem großen Ausgange abzuwägen
oder zu feiern.

Herrlich sind die Errungenschaften dieser Kriegszeit. Nicht die glühendste
Phantasie eines deutschen Patrioten hätte bei der letzten Feier dieses Tages
für möglich gehalten, daß in einem Jahre erreicht werden könne, was erreicht
ist. Ich sehe ab von den großen moralischen Segnungen, von den geistigen
Einflüssen dieser großen Zeit auf Mitwelt und Nachwelt. Ich nenne zwei
greifbare köstliche Güter, die uns geworden.

Zurückgewonnen der nationalen Gemeinschaft ist die Grenzmark im
Westen; heimgeführt sind die entfremdeten und verlorenen Söhne der gemein¬
samen deutschen Mutter. Was einst durch unsere Schwäche und des eroberungs¬
lustigen Nachbarn trotzige Uebermacht uns entrissen war, ist wieder beige¬
bracht in blutigem Kriege; und grollt auch heute noch der Sinn unserer
Brüder im Elsaß und Lothringen den stammverwandten Eroberern, wir ver¬
trauen der Stimme des Blutes, der alles bezwingender Macht deutscher Ge¬
sittung und Bildung: unsere Zuversicht schwankt nicht einen Augenblick, daß
das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch in unseren neuen Provinzen bald
schon hell anstehe und auch jene Herzen an uns kelte.

Gleichzeitig mit dem Wiedergewinn der alten Reichslande ist auch das
deutsche Reich ins Leben zurückgekehrt. Wir haben wieder ein deutsches Reich,
einen deutschen Kaiser! Zum deutschen Einheitskriege ist dieser letzte Wasser¬
gang mit dem Nationalfeinde geworden: auf den Schlachtfeldern in Frankreich
aus blutiger Saat ist aufs Neue Deutschlands Einheit erblüht. —

Eine lange Zeit trennte uns von jenen Jahrhunderten, in welchen auch
der deutschen Nation die politische Einheit zu Theil gewesen war. Das
Kaiserreich war in den Stürmen äußerer und innerer Kriege und Unruhen
schon im Mittelalter auseinandergeschlagen. Die Herstellung des verlorenen
Reiches, oft versucht, war immer mißlungen. Aber in allen den Jahrhunderten
politischer Zerrissenheit und staatlicher Ohnmacht hatte sich doch der edelsten
Geister Deutschlands eine tiefe, nicht aussterbende Sehnsucht nach Kaiser und
Reich bemächtigt, und zu den lebendigsten Hoffnungen und Wünschen hatte
sich dies Verlangen gesteigert. Von einem dereinstigen Erwachen Kaiser
Rothbarts träumte die Phantasie unseres Volkes und sangen die Lieder
unserer Dichter.

Und siehe da! Träume und Phantasien, Lieder und Sagen, Hoffnungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125872"/>
          <p xml:id="ID_260" prev="#ID_259"> treu und beharrlich in vollster und reinster Hingebung zum Siege geführt.<lb/>
Freilich, heute ist es unmöglich, bestimmt und sicher ein Urtheil darüber zu<lb/>
sprechen, wie viel an den Erfolgen diese oder jene Person für sich ansprechen<lb/>
darf; und wäre es selbst möglich, heute darüber schon die Untersuchungsacten<lb/>
zu schließen, uns an dieser Stelle würde es nicht geziemen, die persönlichen<lb/>
Verdienste unseres königlichen Herrn an dem großen Ausgange abzuwägen<lb/>
oder zu feiern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_261"> Herrlich sind die Errungenschaften dieser Kriegszeit. Nicht die glühendste<lb/>
Phantasie eines deutschen Patrioten hätte bei der letzten Feier dieses Tages<lb/>
für möglich gehalten, daß in einem Jahre erreicht werden könne, was erreicht<lb/>
ist. Ich sehe ab von den großen moralischen Segnungen, von den geistigen<lb/>
Einflüssen dieser großen Zeit auf Mitwelt und Nachwelt. Ich nenne zwei<lb/>
greifbare köstliche Güter, die uns geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262"> Zurückgewonnen der nationalen Gemeinschaft ist die Grenzmark im<lb/>
Westen; heimgeführt sind die entfremdeten und verlorenen Söhne der gemein¬<lb/>
samen deutschen Mutter. Was einst durch unsere Schwäche und des eroberungs¬<lb/>
lustigen Nachbarn trotzige Uebermacht uns entrissen war, ist wieder beige¬<lb/>
bracht in blutigem Kriege; und grollt auch heute noch der Sinn unserer<lb/>
Brüder im Elsaß und Lothringen den stammverwandten Eroberern, wir ver¬<lb/>
trauen der Stimme des Blutes, der alles bezwingender Macht deutscher Ge¬<lb/>
sittung und Bildung: unsere Zuversicht schwankt nicht einen Augenblick, daß<lb/>
das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch in unseren neuen Provinzen bald<lb/>
schon hell anstehe und auch jene Herzen an uns kelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Gleichzeitig mit dem Wiedergewinn der alten Reichslande ist auch das<lb/>
deutsche Reich ins Leben zurückgekehrt. Wir haben wieder ein deutsches Reich,<lb/>
einen deutschen Kaiser! Zum deutschen Einheitskriege ist dieser letzte Wasser¬<lb/>
gang mit dem Nationalfeinde geworden: auf den Schlachtfeldern in Frankreich<lb/>
aus blutiger Saat ist aufs Neue Deutschlands Einheit erblüht. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264"> Eine lange Zeit trennte uns von jenen Jahrhunderten, in welchen auch<lb/>
der deutschen Nation die politische Einheit zu Theil gewesen war. Das<lb/>
Kaiserreich war in den Stürmen äußerer und innerer Kriege und Unruhen<lb/>
schon im Mittelalter auseinandergeschlagen. Die Herstellung des verlorenen<lb/>
Reiches, oft versucht, war immer mißlungen. Aber in allen den Jahrhunderten<lb/>
politischer Zerrissenheit und staatlicher Ohnmacht hatte sich doch der edelsten<lb/>
Geister Deutschlands eine tiefe, nicht aussterbende Sehnsucht nach Kaiser und<lb/>
Reich bemächtigt, und zu den lebendigsten Hoffnungen und Wünschen hatte<lb/>
sich dies Verlangen gesteigert. Von einem dereinstigen Erwachen Kaiser<lb/>
Rothbarts träumte die Phantasie unseres Volkes und sangen die Lieder<lb/>
unserer Dichter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265" next="#ID_266"> Und siehe da! Träume und Phantasien, Lieder und Sagen, Hoffnungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] treu und beharrlich in vollster und reinster Hingebung zum Siege geführt. Freilich, heute ist es unmöglich, bestimmt und sicher ein Urtheil darüber zu sprechen, wie viel an den Erfolgen diese oder jene Person für sich ansprechen darf; und wäre es selbst möglich, heute darüber schon die Untersuchungsacten zu schließen, uns an dieser Stelle würde es nicht geziemen, die persönlichen Verdienste unseres königlichen Herrn an dem großen Ausgange abzuwägen oder zu feiern. Herrlich sind die Errungenschaften dieser Kriegszeit. Nicht die glühendste Phantasie eines deutschen Patrioten hätte bei der letzten Feier dieses Tages für möglich gehalten, daß in einem Jahre erreicht werden könne, was erreicht ist. Ich sehe ab von den großen moralischen Segnungen, von den geistigen Einflüssen dieser großen Zeit auf Mitwelt und Nachwelt. Ich nenne zwei greifbare köstliche Güter, die uns geworden. Zurückgewonnen der nationalen Gemeinschaft ist die Grenzmark im Westen; heimgeführt sind die entfremdeten und verlorenen Söhne der gemein¬ samen deutschen Mutter. Was einst durch unsere Schwäche und des eroberungs¬ lustigen Nachbarn trotzige Uebermacht uns entrissen war, ist wieder beige¬ bracht in blutigem Kriege; und grollt auch heute noch der Sinn unserer Brüder im Elsaß und Lothringen den stammverwandten Eroberern, wir ver¬ trauen der Stimme des Blutes, der alles bezwingender Macht deutscher Ge¬ sittung und Bildung: unsere Zuversicht schwankt nicht einen Augenblick, daß das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch in unseren neuen Provinzen bald schon hell anstehe und auch jene Herzen an uns kelte. Gleichzeitig mit dem Wiedergewinn der alten Reichslande ist auch das deutsche Reich ins Leben zurückgekehrt. Wir haben wieder ein deutsches Reich, einen deutschen Kaiser! Zum deutschen Einheitskriege ist dieser letzte Wasser¬ gang mit dem Nationalfeinde geworden: auf den Schlachtfeldern in Frankreich aus blutiger Saat ist aufs Neue Deutschlands Einheit erblüht. — Eine lange Zeit trennte uns von jenen Jahrhunderten, in welchen auch der deutschen Nation die politische Einheit zu Theil gewesen war. Das Kaiserreich war in den Stürmen äußerer und innerer Kriege und Unruhen schon im Mittelalter auseinandergeschlagen. Die Herstellung des verlorenen Reiches, oft versucht, war immer mißlungen. Aber in allen den Jahrhunderten politischer Zerrissenheit und staatlicher Ohnmacht hatte sich doch der edelsten Geister Deutschlands eine tiefe, nicht aussterbende Sehnsucht nach Kaiser und Reich bemächtigt, und zu den lebendigsten Hoffnungen und Wünschen hatte sich dies Verlangen gesteigert. Von einem dereinstigen Erwachen Kaiser Rothbarts träumte die Phantasie unseres Volkes und sangen die Lieder unserer Dichter. Und siehe da! Träume und Phantasien, Lieder und Sagen, Hoffnungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/90>, abgerufen am 28.09.2024.