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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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festhalten, weil darin fortan die Bürgschaft nicht nur seiner Größe, sondern
überhaupt seiner nationalen Fortdauer liegt. Was aber heute noch Niemand
sagen kann, das ist, welche von den mannichfachen, im deutschen Volksleben
bereits gestalteten und zum Theil jetzt gegeneinander stehenden Kräften oder
welche Vereinigung solcher Kräfte sich der Centralorgane bemeistern und da¬
mit sich zum Träger der künftigen gemeinsamen Entwickelung aufschwingen wird.

Das Interesse an dem ersten Reichstag beruht hauptsächlich in der Wahr¬
nehmung der Keime, welche sich auf demselben hervorthun müssen, um das
neue Wachsthum der deutschen Lebenskräfte auf dem Boden der Reichsver¬
fassung anzudeuten.

Die Verfassung ist ja im Wesentlichen dieselbe geblieben, wie die, nach
welcher der norddeutsche Bund eingerichtet war. Im norddeutschen Bund
überwog jedoch das materielle Gewicht des Präsidialstaates die Macht der
übrigen Bundesmitglieder so sehr, daß die Souveränität des Bundes nach
dem formellen Bundesrecht in dem Bundesrath liegen und doch die Bundes¬
regierung als eine monarchische erscheinen konnte. In der Reichsverfassung
ist durch das Hinzutreten so mächtiger und lebensvoller Reichsglieder, wie die
süddeutschen Staaten, das verhältnißmäßige Uebergewicht des Präsidialstaates
unleugbar vermindert. Es kann daher mit dem Gedanken Ernst gemacht
werden, die Executivgewalt des Reiches, dessen Souveränität in den Reichs¬
fürsten und den freien Städten ruht, in den Bundesrath zu verlegen. Mag
man sich gegen den Gedanken einer Pluralistischen Executive sträuben, ein
Blick auf die Reichsverfassung lehrt, daß eine solche Executive im neuen deut¬
schen Reiche Rechtens ist. Die Stellung des Kaisers umfaßt zunächst nur
die Ehrenstellung des Präsidiums der Reichsfürsten, sodann allerdings das
wichtige Recht der Ernennung des Vorsitzenden des Bundesrathes oder des
Reichskanzlers, weiterhin die überwiegende Bildung der Bundesrathsausschüsse
für die Reichsvertheidigung, und endlich das Recht, das Reich nach außen zu
vertreten, wobei jedoch der Bundesrath in die auswärtige Politik und sogar
in das Recht der Kriegserklärung eingreift. In der Gesetzgebung hat der
Kaiser nur für das Vertheidigungswesen und für die gemeinsamen Steuern
ein besonderes Veto.

Hieraus erhellt, daß, wenn mit dem Gedanken der pluralistischen Execu¬
tive Ernst gemacht wird, dies nur der jetzigen Verfassung entspricht. Anderer¬
seits erscheint die Verwirklichung dieses Gedankens so schwierig und von stets
sich erneuerten Gefahren begleitet, während der Name des Kaisers, wenn
derselbe zunächst auch von denen, die sein Wiederaufleben anregten, nur als
Ehrenprädicat gedacht worden -- man erinnere sich des Briefes, in welchem
der König von Bayern die Annahme des Kaisertitels bei dem König von
Preußen und bei den deutschen Fürsten anregte -- naturgemäß die Hoffnung


festhalten, weil darin fortan die Bürgschaft nicht nur seiner Größe, sondern
überhaupt seiner nationalen Fortdauer liegt. Was aber heute noch Niemand
sagen kann, das ist, welche von den mannichfachen, im deutschen Volksleben
bereits gestalteten und zum Theil jetzt gegeneinander stehenden Kräften oder
welche Vereinigung solcher Kräfte sich der Centralorgane bemeistern und da¬
mit sich zum Träger der künftigen gemeinsamen Entwickelung aufschwingen wird.

Das Interesse an dem ersten Reichstag beruht hauptsächlich in der Wahr¬
nehmung der Keime, welche sich auf demselben hervorthun müssen, um das
neue Wachsthum der deutschen Lebenskräfte auf dem Boden der Reichsver¬
fassung anzudeuten.

Die Verfassung ist ja im Wesentlichen dieselbe geblieben, wie die, nach
welcher der norddeutsche Bund eingerichtet war. Im norddeutschen Bund
überwog jedoch das materielle Gewicht des Präsidialstaates die Macht der
übrigen Bundesmitglieder so sehr, daß die Souveränität des Bundes nach
dem formellen Bundesrecht in dem Bundesrath liegen und doch die Bundes¬
regierung als eine monarchische erscheinen konnte. In der Reichsverfassung
ist durch das Hinzutreten so mächtiger und lebensvoller Reichsglieder, wie die
süddeutschen Staaten, das verhältnißmäßige Uebergewicht des Präsidialstaates
unleugbar vermindert. Es kann daher mit dem Gedanken Ernst gemacht
werden, die Executivgewalt des Reiches, dessen Souveränität in den Reichs¬
fürsten und den freien Städten ruht, in den Bundesrath zu verlegen. Mag
man sich gegen den Gedanken einer Pluralistischen Executive sträuben, ein
Blick auf die Reichsverfassung lehrt, daß eine solche Executive im neuen deut¬
schen Reiche Rechtens ist. Die Stellung des Kaisers umfaßt zunächst nur
die Ehrenstellung des Präsidiums der Reichsfürsten, sodann allerdings das
wichtige Recht der Ernennung des Vorsitzenden des Bundesrathes oder des
Reichskanzlers, weiterhin die überwiegende Bildung der Bundesrathsausschüsse
für die Reichsvertheidigung, und endlich das Recht, das Reich nach außen zu
vertreten, wobei jedoch der Bundesrath in die auswärtige Politik und sogar
in das Recht der Kriegserklärung eingreift. In der Gesetzgebung hat der
Kaiser nur für das Vertheidigungswesen und für die gemeinsamen Steuern
ein besonderes Veto.

Hieraus erhellt, daß, wenn mit dem Gedanken der pluralistischen Execu¬
tive Ernst gemacht wird, dies nur der jetzigen Verfassung entspricht. Anderer¬
seits erscheint die Verwirklichung dieses Gedankens so schwierig und von stets
sich erneuerten Gefahren begleitet, während der Name des Kaisers, wenn
derselbe zunächst auch von denen, die sein Wiederaufleben anregten, nur als
Ehrenprädicat gedacht worden — man erinnere sich des Briefes, in welchem
der König von Bayern die Annahme des Kaisertitels bei dem König von
Preußen und bei den deutschen Fürsten anregte — naturgemäß die Hoffnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/69>, abgerufen am 28.09.2024.