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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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es werde dieser Krieg der letzte sein, in welchem noch davon Gebrauch gemacht
wurde. Das Ziel der Reformbestrebungen besteht in der Abschaffung der
Caperei und des offiziellen Prisenrechtes, also in der allgemeinen Anerken¬
nung der Unverletzlichkeit des Privateigenthumes zur See, also in der Er¬
hebung des ersten Satzes der Pariser Declaration mir dem amerikanischen
(Pierce-Marcy'schen) Amendement zu einem völkerrechtlichen Gesetz. Dieses
Gesetz wird selbstverständlich nicht den Sinn haben, daß Privateigenthum zur
See im Kriege genau so behandelt werden müsse, wie im Frieden. Wenn ein
feindliches Handelsschiff Güter führt, deren das Kriegsschiff dringend zur Fort¬
führung der kriegerischen Action bedarf, wenn es irgendwie der kriegerischen
Action im Wege ist, wenn es zum Schaden des Gegners Kundschasterdienste
versieht, dann wird der Kriegführende zur See das Recht der Requisition, das
Recht der Disposition oder der Zerstörung feindlichen Privateigenthums so
gut haben, wie der Kriegführende zu Lande in analogen Fällen. Und es wäre
dringend zu wünschen, daß jene Ausnahmsbefugnisse gehörig umschränkt, etwa
so wie es in der ersten Bremer Resolution geschehen ist, in die Formulirung
des neuen Seerechtssatzes mit aufgenommen würden.

Dann hätte aber ohne Zweifel jener Satz gerade jetzt größere Aussicht
auf allgemeine Zustimmung denn je. Die maßgebenden englischen Staats¬
männer und Organe der öffentlichen Meinung waren ja schon 1886 dem
Pierce-Marcy'schen Amendement geneigt und haben neuerdings unzweideutig
kundgegeben, daß von einer Sinnesänderung bei ihnen nicht die Rede ist. In
Nordamerika wird Buchanan's Weigerung noch heute als ein entschiedener
iÄux-pas angesehen ; Frankreich zwar in allen Stücken unberechenbar, wird
doch dem Drange der Ereignisse nachgeben müssen, und vom deutschen Reiche
wird die Initiative zu der großen Reform so gewiß ausgehen, als hier die
maßgebenden Gewalten schon längst erkannt haben, daß der Verzicht auf
jedes Prisenrecht, selbst beim Mangel der Gegenseitigkeit, kein Opfer involvirt.

Wird Satz 1. der Pariser Declaration so modifizirt, wie es den jetzt
herrschenden Anschauungen entspricht, so sind Satz 2. und 3. überflüssig. Denn
wenn mit der Privat-Caperei das Prisenrecht der Kriegsschiffe beseitigt' ist,
steht dem Seeverkehr, soweit er der Kriegführung nicht hinderlich ist, kein
Hinderniß mehr im Wege, einerlei ob er sich der feindlichen oder der neu¬
tralen Flagge bedient. Der Führer des Kriegsschiffes, dem ein Handelsschiff
begegnet, hat dann nicht mehr nach der Flagge zu fragen, sondern nur nach
der Qualität des Gutes, welches das Kauffahrteischiff führt, und zwar nicht,
ob dieses Gut den Angehörigen eines feindlichen oder eines neutralen Staates
gehöre, sondern, ob es feindliches Staatseigenthum sei oder nicht. Man
kann sagen, es sei nur eine weitere Gelegenheit zur Schikanirung des Verkehrs,
wenn man den Kriegführenden das Recht lasse, feindliches Staatseigenthum


es werde dieser Krieg der letzte sein, in welchem noch davon Gebrauch gemacht
wurde. Das Ziel der Reformbestrebungen besteht in der Abschaffung der
Caperei und des offiziellen Prisenrechtes, also in der allgemeinen Anerken¬
nung der Unverletzlichkeit des Privateigenthumes zur See, also in der Er¬
hebung des ersten Satzes der Pariser Declaration mir dem amerikanischen
(Pierce-Marcy'schen) Amendement zu einem völkerrechtlichen Gesetz. Dieses
Gesetz wird selbstverständlich nicht den Sinn haben, daß Privateigenthum zur
See im Kriege genau so behandelt werden müsse, wie im Frieden. Wenn ein
feindliches Handelsschiff Güter führt, deren das Kriegsschiff dringend zur Fort¬
führung der kriegerischen Action bedarf, wenn es irgendwie der kriegerischen
Action im Wege ist, wenn es zum Schaden des Gegners Kundschasterdienste
versieht, dann wird der Kriegführende zur See das Recht der Requisition, das
Recht der Disposition oder der Zerstörung feindlichen Privateigenthums so
gut haben, wie der Kriegführende zu Lande in analogen Fällen. Und es wäre
dringend zu wünschen, daß jene Ausnahmsbefugnisse gehörig umschränkt, etwa
so wie es in der ersten Bremer Resolution geschehen ist, in die Formulirung
des neuen Seerechtssatzes mit aufgenommen würden.

Dann hätte aber ohne Zweifel jener Satz gerade jetzt größere Aussicht
auf allgemeine Zustimmung denn je. Die maßgebenden englischen Staats¬
männer und Organe der öffentlichen Meinung waren ja schon 1886 dem
Pierce-Marcy'schen Amendement geneigt und haben neuerdings unzweideutig
kundgegeben, daß von einer Sinnesänderung bei ihnen nicht die Rede ist. In
Nordamerika wird Buchanan's Weigerung noch heute als ein entschiedener
iÄux-pas angesehen ; Frankreich zwar in allen Stücken unberechenbar, wird
doch dem Drange der Ereignisse nachgeben müssen, und vom deutschen Reiche
wird die Initiative zu der großen Reform so gewiß ausgehen, als hier die
maßgebenden Gewalten schon längst erkannt haben, daß der Verzicht auf
jedes Prisenrecht, selbst beim Mangel der Gegenseitigkeit, kein Opfer involvirt.

Wird Satz 1. der Pariser Declaration so modifizirt, wie es den jetzt
herrschenden Anschauungen entspricht, so sind Satz 2. und 3. überflüssig. Denn
wenn mit der Privat-Caperei das Prisenrecht der Kriegsschiffe beseitigt' ist,
steht dem Seeverkehr, soweit er der Kriegführung nicht hinderlich ist, kein
Hinderniß mehr im Wege, einerlei ob er sich der feindlichen oder der neu¬
tralen Flagge bedient. Der Führer des Kriegsschiffes, dem ein Handelsschiff
begegnet, hat dann nicht mehr nach der Flagge zu fragen, sondern nur nach
der Qualität des Gutes, welches das Kauffahrteischiff führt, und zwar nicht,
ob dieses Gut den Angehörigen eines feindlichen oder eines neutralen Staates
gehöre, sondern, ob es feindliches Staatseigenthum sei oder nicht. Man
kann sagen, es sei nur eine weitere Gelegenheit zur Schikanirung des Verkehrs,
wenn man den Kriegführenden das Recht lasse, feindliches Staatseigenthum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/61>, abgerufen am 21.10.2024.