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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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fühlt man unwillkürlich einige Beängstigung. Selbstverständlich mehrt sich
mit der Nachfrage nach Instrumenten auch die nach Musikalien und in der
That werden alljährlich auch ganze Wagenladungen von Claviercompositionen
auf den Markt gebracht. Es ist Legion, was da erscheint und diese krank¬
hafte Productivität steigert sich von Tag zu Tag. Wer über das ganze
Gebiet der Clavierliteratur berichten wollte, müßte Berge durchwühlen; es
wäre leichter, sich durch den märchenhaften Hirsebreiberg, der das gelobte
Schlaraffenland umgiebt, hindurchzuessen, als durch dieses Gelage von Phan¬
tasien, Potpourris, Arrangements u. s. w., hinter dem nicht einmal ein glück¬
liches Schlaraffien liegt.

Wie jedoch jedes Ding seine zwei Seiten hat, so auch diese Sturmflut
der modernen Klavierliteratur. Es wird, w,le das gar nicht anders möglich
ist, unter so Vielem eine Masse werthloses Zeug hervorgebracht, mehr Unkraut
als gesunde kräftige Frucht, aber andererseits doch auch recht viel Schönes
und Gutes, man muß es nur zu finden wissen, und dazu sollen diese Zeilen
eine kleine Anleitung geben.

Eine dankenswert!)" Folge der massenhaften Productivität sind die zahl¬
reichen Concurrenzunternehmungen unserer Verlagshandlungen. Es giebt
heute keine solche mehr und sei es selbst die berühmteste, größte und solideste,
die nicht nothgedrungen an solchen Unternehmungen sich betheiligen müßte.
Billige Ausgaben liegen allerdings weniger im Interesse der Verleger, dagegen
sehr in dem der Kunst und der Käufer. Gerade das Beste kann man heute
am Billigsten haben. Während die Zeit für wohlfeile Gesammtausgaben der
Werke Mendelssohns und Schumanns noch nicht gekommen ist, aber
ungeduldig selbst von manchem Verleger erwartet wird, sind die großen Mei¬
ster älterer Zeit der Speculation freigegeben und wahrlich, man hat diese
Freigabe auszunutzen gewußt. Haydn, Mozart, Beethoven, diese
Grundsäulen der modernen Pianoforteliteratur, existiren in zahllosen, schönen,
correcten und überaus billigen Ausgaben; Clementi, Weber, Schubert
schließen sich ihnen an. Weniger berücksichtigt wurden bis jetzt: Dussek,
Hummel, Field, Kuhlau, Chopin, obwohl auch deren Compositionen
in Auswahl und zu geringen Preisen zu haben sind. Die vorstehend genann¬
ten Meister repräsentiren die bedeutenderen Klassiker der Pianofortemusik.
Reihe man ihnen noch die Namen I. B. Cramer, Nies, Wölfl, L. Berger,
Klengel, Fr. Schneider, Tomaschek an, die der Aufmerksamkeit unserer Ver¬
leger bisher noch ganz entgangen sind, so wird man so ziemlich alle Vertreter
der Klassicität beisammen haben.

Unter den Unternehmungen, die sich vorzugsweise durch billige Klassiker¬
ausgaben verdient gemacht, ist in erster Linie die Edition Peters zu nen¬
nen. Dieselbe umfaßt nahezu 800 Piecen und Bände und es giebt kaum


fühlt man unwillkürlich einige Beängstigung. Selbstverständlich mehrt sich
mit der Nachfrage nach Instrumenten auch die nach Musikalien und in der
That werden alljährlich auch ganze Wagenladungen von Claviercompositionen
auf den Markt gebracht. Es ist Legion, was da erscheint und diese krank¬
hafte Productivität steigert sich von Tag zu Tag. Wer über das ganze
Gebiet der Clavierliteratur berichten wollte, müßte Berge durchwühlen; es
wäre leichter, sich durch den märchenhaften Hirsebreiberg, der das gelobte
Schlaraffenland umgiebt, hindurchzuessen, als durch dieses Gelage von Phan¬
tasien, Potpourris, Arrangements u. s. w., hinter dem nicht einmal ein glück¬
liches Schlaraffien liegt.

Wie jedoch jedes Ding seine zwei Seiten hat, so auch diese Sturmflut
der modernen Klavierliteratur. Es wird, w,le das gar nicht anders möglich
ist, unter so Vielem eine Masse werthloses Zeug hervorgebracht, mehr Unkraut
als gesunde kräftige Frucht, aber andererseits doch auch recht viel Schönes
und Gutes, man muß es nur zu finden wissen, und dazu sollen diese Zeilen
eine kleine Anleitung geben.

Eine dankenswert!)« Folge der massenhaften Productivität sind die zahl¬
reichen Concurrenzunternehmungen unserer Verlagshandlungen. Es giebt
heute keine solche mehr und sei es selbst die berühmteste, größte und solideste,
die nicht nothgedrungen an solchen Unternehmungen sich betheiligen müßte.
Billige Ausgaben liegen allerdings weniger im Interesse der Verleger, dagegen
sehr in dem der Kunst und der Käufer. Gerade das Beste kann man heute
am Billigsten haben. Während die Zeit für wohlfeile Gesammtausgaben der
Werke Mendelssohns und Schumanns noch nicht gekommen ist, aber
ungeduldig selbst von manchem Verleger erwartet wird, sind die großen Mei¬
ster älterer Zeit der Speculation freigegeben und wahrlich, man hat diese
Freigabe auszunutzen gewußt. Haydn, Mozart, Beethoven, diese
Grundsäulen der modernen Pianoforteliteratur, existiren in zahllosen, schönen,
correcten und überaus billigen Ausgaben; Clementi, Weber, Schubert
schließen sich ihnen an. Weniger berücksichtigt wurden bis jetzt: Dussek,
Hummel, Field, Kuhlau, Chopin, obwohl auch deren Compositionen
in Auswahl und zu geringen Preisen zu haben sind. Die vorstehend genann¬
ten Meister repräsentiren die bedeutenderen Klassiker der Pianofortemusik.
Reihe man ihnen noch die Namen I. B. Cramer, Nies, Wölfl, L. Berger,
Klengel, Fr. Schneider, Tomaschek an, die der Aufmerksamkeit unserer Ver¬
leger bisher noch ganz entgangen sind, so wird man so ziemlich alle Vertreter
der Klassicität beisammen haben.

Unter den Unternehmungen, die sich vorzugsweise durch billige Klassiker¬
ausgaben verdient gemacht, ist in erster Linie die Edition Peters zu nen¬
nen. Dieselbe umfaßt nahezu 800 Piecen und Bände und es giebt kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/525>, abgerufen am 28.09.2024.