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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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oftmals berücksichtigt werden müssen, die zwar untergeordnete Nachtheile im
Gefolge haben, aber doch nicht geradezu verderblich sind. Auch dem Reichs¬
tag gebührt alles Lob, daß er nach einem solchen Kriege, der solche Ge¬
fahren abgewendet, solchen Ruhm und Gewinn gebracht, darauf verzichtete,
den Kaiser in der Belohnung des Verdienstes aus denjenigen Mitteln zu be¬
schränken, welche das zu belohnende Verdienst zum Gut der Nation gemacht.

Es war am Vortage des Siegesfestes, daß der Reichstag seine Arbeiten
beendete, und es waren wohl die Vorgefühle der berechtigtsten und natürlich¬
sten Festtagsstimmung, welche dazu beitrugen, Versöhnlichkeit auf allen Seiten
hervorzurufen. Mit dem Feste, mit seiner unvergleichlichen Schönheit, mit
dem seltenen Kunstsinn, der es angeordnet, mit dem Frühlingsglanz, der es
begünstigt, und mit der Seelenerhebung, die es erzeugt, kann dieser letzte
Neichstagsbrief sich nicht beschäftigen. Aber es ist eine beruhigende und er¬
freuliche Wahrnehmung, den klaren und tiefen Eindruck zu beobachten, welchen
das deutsche Volk von der Bedeutung der letzten Ereignisse bewahrt. Zu
dieser Beobachtung war die Feier am 16. Juni gut geeignet. Es war nicht
mehr die überwältigende Ueberraschung der größten Siege, nicht mehr die
trunkene Hoffnung einer glanzvoll stolzen, von aller Verwirrung freien Zu¬
kunft. Die Freude der ersten Siegesnachrichten liegt ja längst hinter uns,
und wir wissen ja schon wieder aus Erfahrung, wenn wir es hätten vergessen
wollen, daß wir nach wie vor arbeiten müssen und ankämpfen gegen Schwie¬
rigkeiten von Außen und Innen. Aber wenn an diesem ewigen Menschen-
loos nichts geändert ist, so sind wir doch Andere geworden, ganz Andere an
Zuversicht, an Kraft und Pflichtgefühl, als wir je gewesen. Daß die Nation
dies weiß und dieses Gefühl in sich trägt als ruhigen Besitz, nicht als mo¬
mentanen Rausch, das ist die schöne Lehre, welche das Fest des 16. Juni
vielen Beobachtern, darunter auch Gästen aus weiter Ferne, eingeprägt hat.

Solchen Wahrnehmungen gegenüber verschwinden einstweilen fast gänzlich
die Besorgnisse, welche sich an die Irrungen, von denen das Verhältniß zwi¬
schen Negierung und Reichstag in der eben zurückgelegten Session nicht frei
geblieben, hefteten. Vergegenwärtigt man sich den unvergleichlichen Werth
des in einem Zeitraume, der noch nicht ein Jahr umfaßt, Errungenen und
Geleisteten, so fühlt man, wie unbedeutend die Anlässe zu den letzten Mißver¬
ständnissen gewesen sind. Der eigentliche Grund dieser Mißverständnisse liegt
weit weniger in einer unversöhnlichen Verschiedenheit der Anschauungen, als,
sagen wir es offen, in der deutschen Unbeholfenheit, der schwer vermeidlichen
Gefährtin unserer guten Eigenschaften. Darin können, ja müssen wir noch
immer viel lernen von unseren besiegten Gegnern jenseit der Mosel und des
Wasgengebirges. Welcher Contrast dort, die unbezähmbare Leidenschaftlichkeit
einerseits und diese bezaubernde Urbanität und Gewandtheit im öffentlichen


oftmals berücksichtigt werden müssen, die zwar untergeordnete Nachtheile im
Gefolge haben, aber doch nicht geradezu verderblich sind. Auch dem Reichs¬
tag gebührt alles Lob, daß er nach einem solchen Kriege, der solche Ge¬
fahren abgewendet, solchen Ruhm und Gewinn gebracht, darauf verzichtete,
den Kaiser in der Belohnung des Verdienstes aus denjenigen Mitteln zu be¬
schränken, welche das zu belohnende Verdienst zum Gut der Nation gemacht.

Es war am Vortage des Siegesfestes, daß der Reichstag seine Arbeiten
beendete, und es waren wohl die Vorgefühle der berechtigtsten und natürlich¬
sten Festtagsstimmung, welche dazu beitrugen, Versöhnlichkeit auf allen Seiten
hervorzurufen. Mit dem Feste, mit seiner unvergleichlichen Schönheit, mit
dem seltenen Kunstsinn, der es angeordnet, mit dem Frühlingsglanz, der es
begünstigt, und mit der Seelenerhebung, die es erzeugt, kann dieser letzte
Neichstagsbrief sich nicht beschäftigen. Aber es ist eine beruhigende und er¬
freuliche Wahrnehmung, den klaren und tiefen Eindruck zu beobachten, welchen
das deutsche Volk von der Bedeutung der letzten Ereignisse bewahrt. Zu
dieser Beobachtung war die Feier am 16. Juni gut geeignet. Es war nicht
mehr die überwältigende Ueberraschung der größten Siege, nicht mehr die
trunkene Hoffnung einer glanzvoll stolzen, von aller Verwirrung freien Zu¬
kunft. Die Freude der ersten Siegesnachrichten liegt ja längst hinter uns,
und wir wissen ja schon wieder aus Erfahrung, wenn wir es hätten vergessen
wollen, daß wir nach wie vor arbeiten müssen und ankämpfen gegen Schwie¬
rigkeiten von Außen und Innen. Aber wenn an diesem ewigen Menschen-
loos nichts geändert ist, so sind wir doch Andere geworden, ganz Andere an
Zuversicht, an Kraft und Pflichtgefühl, als wir je gewesen. Daß die Nation
dies weiß und dieses Gefühl in sich trägt als ruhigen Besitz, nicht als mo¬
mentanen Rausch, das ist die schöne Lehre, welche das Fest des 16. Juni
vielen Beobachtern, darunter auch Gästen aus weiter Ferne, eingeprägt hat.

Solchen Wahrnehmungen gegenüber verschwinden einstweilen fast gänzlich
die Besorgnisse, welche sich an die Irrungen, von denen das Verhältniß zwi¬
schen Negierung und Reichstag in der eben zurückgelegten Session nicht frei
geblieben, hefteten. Vergegenwärtigt man sich den unvergleichlichen Werth
des in einem Zeitraume, der noch nicht ein Jahr umfaßt, Errungenen und
Geleisteten, so fühlt man, wie unbedeutend die Anlässe zu den letzten Mißver¬
ständnissen gewesen sind. Der eigentliche Grund dieser Mißverständnisse liegt
weit weniger in einer unversöhnlichen Verschiedenheit der Anschauungen, als,
sagen wir es offen, in der deutschen Unbeholfenheit, der schwer vermeidlichen
Gefährtin unserer guten Eigenschaften. Darin können, ja müssen wir noch
immer viel lernen von unseren besiegten Gegnern jenseit der Mosel und des
Wasgengebirges. Welcher Contrast dort, die unbezähmbare Leidenschaftlichkeit
einerseits und diese bezaubernde Urbanität und Gewandtheit im öffentlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/523>, abgerufen am 28.09.2024.