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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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schon gestern diese Partie in Augenschein genommen und sich besonders amüsirt
über die Bären (das Wappenthier Berlins) vor dem Brandenburger
Thor, in deren Mitte sein Bild steht. Man hat mich zum Bärenführer ge¬
macht! hätte er launig zu einem Herrn gesagt. Wie Moltke, Bismarck und
Roon vor dem König ritten, und die Prinzen hinter ihm, steht schon im
Programm; das Begrüßungsgedicht der Ehrenjungfcauen, welches Fräulein
Bläser sprach, hörte der König mit einer Aufmerksamkeit an, die dem Dichter
und dem Vortrage gleiche Ehre machte und auch der Bürgermeister fand
gleiches Gehör, verunglückte aber, wenigstens halb und halb, mit dem ver¬
suchten Handkuß.

Der Jubel war unter den Truppen groß und unter den Begrüßenden
nicht minder, obgleich ein Südländer ihn vielleicht matt gefunden haben
würde. Wir im Norden haben einmal nicht die Fähigkeit, so recht aus uns
zu gehen, aber die Tiefe und Aufrichtigkeit der Empfindung hängt nicht von
der Fähigkeit ab, sie zu äußern. Ich hörte eine Dame der andern klagen,
daß selbst sür morgen kein Soldat mehr zu haben wäre -- zum Essen.
Gänzlich vergriffen, wie die Billets im Opernhause, wenn die Lucca spielt.
Vor dem Palais des Kronprinzen standen die Cadetten. Ich glaube nicht,
daß sie ganz zufrieden sein würden, wenn wir wirklich wieder in eine große
Friedensperiode eingetreten wären. Wenn einmal eine Bewegung so mächtig
und erfolgreich ist, wie die deutsche seit 1864, so ist schwer, sie zu dämmen, und be¬
wußt und unbewußt arbeitet man heute auf allen Seiten daran, diese Dämmung
nicht eintreten zu lassen. Die Erwartung auf den heutigen Tag hatte doch nur
eine sehr kleine Zahl von Reichstagsmitgliedern vermocht zur letzten Sitzung und
zum feierlichen Schluß zurück zu bleiben. Dafür lieferten sich am letzten Sitzungs¬
tage die Fortschrittspartei und die Nationalliberalen eine Schlacht, die
so unnöthig und so ungelegen war, wie nur möglich. Die Fortschrittspartei
hatte geglaubt, die Nationalliberalcn würden das Dotationsgesetz verwerfen
und die Nationalliberalen hatten vielleicht einen Augenblick geschwankt, aber
auch sicher nur einen Augenblick und sich dann entschlossen das Gesetz anzu¬
nehmen. Seltsamer Weise waren die nationalliberalen Zeitungen davon gar
nicht unterrichtet und griffen das Dotationsgesetz nach Kräften an. Sie hat¬
ten keine Fühlung, während die Nationalliberalen empfanden, daß, das Ge¬
setz möchte ihnen angenehm oder unangenehm sein, die Rücksicht auf den
Kaiser, auf die Armee und auf die Nothwendigkeit eines einträchtigen Endes
der Session die Annahme erfolgen müsse. Sie handelten politisch richtig, die
Fortschrittspartei sah sich aber einen Sieg entrissen, den sie schon, wie man
an der Börse sagt, escomptirt hatte und kannte deshalb keine Grenze ihres
Grolls, nachdem sie die Gelegenheit, ihn auszulassen, vom Zaun gebrochen.


Grenzboten I. 1871. 1Z1

schon gestern diese Partie in Augenschein genommen und sich besonders amüsirt
über die Bären (das Wappenthier Berlins) vor dem Brandenburger
Thor, in deren Mitte sein Bild steht. Man hat mich zum Bärenführer ge¬
macht! hätte er launig zu einem Herrn gesagt. Wie Moltke, Bismarck und
Roon vor dem König ritten, und die Prinzen hinter ihm, steht schon im
Programm; das Begrüßungsgedicht der Ehrenjungfcauen, welches Fräulein
Bläser sprach, hörte der König mit einer Aufmerksamkeit an, die dem Dichter
und dem Vortrage gleiche Ehre machte und auch der Bürgermeister fand
gleiches Gehör, verunglückte aber, wenigstens halb und halb, mit dem ver¬
suchten Handkuß.

Der Jubel war unter den Truppen groß und unter den Begrüßenden
nicht minder, obgleich ein Südländer ihn vielleicht matt gefunden haben
würde. Wir im Norden haben einmal nicht die Fähigkeit, so recht aus uns
zu gehen, aber die Tiefe und Aufrichtigkeit der Empfindung hängt nicht von
der Fähigkeit ab, sie zu äußern. Ich hörte eine Dame der andern klagen,
daß selbst sür morgen kein Soldat mehr zu haben wäre — zum Essen.
Gänzlich vergriffen, wie die Billets im Opernhause, wenn die Lucca spielt.
Vor dem Palais des Kronprinzen standen die Cadetten. Ich glaube nicht,
daß sie ganz zufrieden sein würden, wenn wir wirklich wieder in eine große
Friedensperiode eingetreten wären. Wenn einmal eine Bewegung so mächtig
und erfolgreich ist, wie die deutsche seit 1864, so ist schwer, sie zu dämmen, und be¬
wußt und unbewußt arbeitet man heute auf allen Seiten daran, diese Dämmung
nicht eintreten zu lassen. Die Erwartung auf den heutigen Tag hatte doch nur
eine sehr kleine Zahl von Reichstagsmitgliedern vermocht zur letzten Sitzung und
zum feierlichen Schluß zurück zu bleiben. Dafür lieferten sich am letzten Sitzungs¬
tage die Fortschrittspartei und die Nationalliberalen eine Schlacht, die
so unnöthig und so ungelegen war, wie nur möglich. Die Fortschrittspartei
hatte geglaubt, die Nationalliberalcn würden das Dotationsgesetz verwerfen
und die Nationalliberalen hatten vielleicht einen Augenblick geschwankt, aber
auch sicher nur einen Augenblick und sich dann entschlossen das Gesetz anzu¬
nehmen. Seltsamer Weise waren die nationalliberalen Zeitungen davon gar
nicht unterrichtet und griffen das Dotationsgesetz nach Kräften an. Sie hat¬
ten keine Fühlung, während die Nationalliberalen empfanden, daß, das Ge¬
setz möchte ihnen angenehm oder unangenehm sein, die Rücksicht auf den
Kaiser, auf die Armee und auf die Nothwendigkeit eines einträchtigen Endes
der Session die Annahme erfolgen müsse. Sie handelten politisch richtig, die
Fortschrittspartei sah sich aber einen Sieg entrissen, den sie schon, wie man
an der Börse sagt, escomptirt hatte und kannte deshalb keine Grenze ihres
Grolls, nachdem sie die Gelegenheit, ihn auszulassen, vom Zaun gebrochen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/521>, abgerufen am 29.09.2024.