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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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gekommen und bezeichnend für die damalige Lage der Dinge war, daß sich
ein Mitglied des Ministeriums Potocki unter den Auserwählten befand, die
insgeheim an seinem Sturze arbeiteten. In zweimonatlicher stiller Berathung
wurde der Feldzugsplan beschlossen, den die neuen Träger des Vertrauens der
Krone durchzuführen gedachten. Welches Ziel ihnen vorgesetzt war, mochte schon
der Umstand anzeigen, daß keiner derselben den parlamentarischen Kreisen
angehörte. Wie sich bald nach ihrem Eintritts ins Amt herausstellte, war
es kein anderes als die Beseitigung der Verfassung. Gleichwohl wurde dieselbe
nach deren Ernennung von sämmtlichen neuen Ministern, an deren Spitze
Graf Hohenwart trat, beschworen, ja, er erklärte öffentlich im Abgeordneten¬
hause, treu an ihr zu halten, natürlich nur an der Form, nicht an ihrem
Inhalt. So bewies er sich auch als ein wahrer Anhänger jener jesuitischen
Moral, die durch inneren Vorbehalt und Beschränkung der Absicht jeden Hin¬
tergedanken für gerechtfertigt hält.

Dritthalb Monate saß der edle Graf im Amte, ehe ihm gefiel, irgend
einen Schritt zu thun, der seine wahre Absicht, wir sagen nicht enthüllen,
fondern nur andeuten mochte. Endlich am 25. April trat er, scheinbar dem
Drange einer Jnterpellation über sein Programm weichend, mit einer Verfas-
fungsvorlage heraus, wodurch die Autonomie der Landtage durch die Zustim-
mungsbefugniß zu Gesetzen, die an die Genehmigung des Neichsrathes gebunden
waren, erweitert werden sollte. Die "demüthigende" Lage, die seiner Ansicht nach
bislang den Landtagen zugemessen war, sollte in Zukunft das Schicksal
des Neichsrathes sein. Sehr fein erdacht, aber doch kein Beweis staatsmän¬
nischer Befähigung. Man fand sogar Anlaß, die bevorstehende Thätigkeit
der Reichsregierung eine "ungeheuerliche" zu nennen und das Haus der Ab¬
geordneten ging betreffs eines solchen Antrags 14 Tage später mit 88 gegen
68 Stimmen zur Tagesordnung über.

Durch sein feines Tastvermögen überzeugt, daß er einen Fehler begangen,
brachte er rasch am S. Mai, also noch vor seiner Niederlage, eine zweite Vor¬
lage, die "galizische" ein, und zwar in geradem Widerspruche mit der ersten,
denn während nach dieser die Beschlüsse der Landtage unverändert vor den
Reichsrath kommen sollten, hatte er die Resolution des polnischen censurirt,
revidirt und beschnitten, wie in einem Polizeibureau Brauch ist. Dagegen
ließ er sich im Verfassungsausschusse zur Gewinnung größeren Vertrauens
vernehmen, daß er auch der Bukowina und selbst Böhmen ähnliche Zuge¬
ständnisse zu machen bereit sei, eine liebenswürdige Offenheit, aber doch nicht
die volle Wahrheit, denn daß er den Czechen der Hauptsache nach alles zu
gewähren dachte, was die Declaranten wollten, um damit ihren Eintritt in


gekommen und bezeichnend für die damalige Lage der Dinge war, daß sich
ein Mitglied des Ministeriums Potocki unter den Auserwählten befand, die
insgeheim an seinem Sturze arbeiteten. In zweimonatlicher stiller Berathung
wurde der Feldzugsplan beschlossen, den die neuen Träger des Vertrauens der
Krone durchzuführen gedachten. Welches Ziel ihnen vorgesetzt war, mochte schon
der Umstand anzeigen, daß keiner derselben den parlamentarischen Kreisen
angehörte. Wie sich bald nach ihrem Eintritts ins Amt herausstellte, war
es kein anderes als die Beseitigung der Verfassung. Gleichwohl wurde dieselbe
nach deren Ernennung von sämmtlichen neuen Ministern, an deren Spitze
Graf Hohenwart trat, beschworen, ja, er erklärte öffentlich im Abgeordneten¬
hause, treu an ihr zu halten, natürlich nur an der Form, nicht an ihrem
Inhalt. So bewies er sich auch als ein wahrer Anhänger jener jesuitischen
Moral, die durch inneren Vorbehalt und Beschränkung der Absicht jeden Hin¬
tergedanken für gerechtfertigt hält.

Dritthalb Monate saß der edle Graf im Amte, ehe ihm gefiel, irgend
einen Schritt zu thun, der seine wahre Absicht, wir sagen nicht enthüllen,
fondern nur andeuten mochte. Endlich am 25. April trat er, scheinbar dem
Drange einer Jnterpellation über sein Programm weichend, mit einer Verfas-
fungsvorlage heraus, wodurch die Autonomie der Landtage durch die Zustim-
mungsbefugniß zu Gesetzen, die an die Genehmigung des Neichsrathes gebunden
waren, erweitert werden sollte. Die „demüthigende" Lage, die seiner Ansicht nach
bislang den Landtagen zugemessen war, sollte in Zukunft das Schicksal
des Neichsrathes sein. Sehr fein erdacht, aber doch kein Beweis staatsmän¬
nischer Befähigung. Man fand sogar Anlaß, die bevorstehende Thätigkeit
der Reichsregierung eine „ungeheuerliche" zu nennen und das Haus der Ab¬
geordneten ging betreffs eines solchen Antrags 14 Tage später mit 88 gegen
68 Stimmen zur Tagesordnung über.

Durch sein feines Tastvermögen überzeugt, daß er einen Fehler begangen,
brachte er rasch am S. Mai, also noch vor seiner Niederlage, eine zweite Vor¬
lage, die „galizische" ein, und zwar in geradem Widerspruche mit der ersten,
denn während nach dieser die Beschlüsse der Landtage unverändert vor den
Reichsrath kommen sollten, hatte er die Resolution des polnischen censurirt,
revidirt und beschnitten, wie in einem Polizeibureau Brauch ist. Dagegen
ließ er sich im Verfassungsausschusse zur Gewinnung größeren Vertrauens
vernehmen, daß er auch der Bukowina und selbst Böhmen ähnliche Zuge¬
ständnisse zu machen bereit sei, eine liebenswürdige Offenheit, aber doch nicht
die volle Wahrheit, denn daß er den Czechen der Hauptsache nach alles zu
gewähren dachte, was die Declaranten wollten, um damit ihren Eintritt in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/490>, abgerufen am 21.10.2024.