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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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deutsch-französische Krieg 1870 und 1871," von Karl Schmeidler,
I. Bd., Leipzig F. W. Grunow, 1871. Bon den beiden ersten sind erst zwei
Lieferungen erschienen, welche den Leser bis nach der Schlacht von Wörth
(Menzel) und nach den Kämpfen um Metz (Rüstow) führen, während der
erste Band des Schmeidler'schen Werkes bis zur Capitulation von Sedan und
der Proclamation der Republik in Paris reicht. Indessen deutlich , läßt sich
die verschiedene Auffassung und Behandlung der Verfasser schon aus diesen
Anfängen erkennen. Bei Menzel spricht aus feder Zeile der erregte deutsche
Patriot, der riesengroß die Thaten und Gestalten der Gegenwart in seine alten
Tage hineinragen sieht, dem jeder Nerv zuckt, während er die herrlichen Tage
dem Leser vorführt, auf die er ein Menschenalter schon und darüber gehofft
hat, und die nun leibhaftig vor ihm stehen: Der Vergeltungskrieg der Deut¬
schen gegen Frankreich, und die Vollendung der deutschen Einheit. "Leiden¬
schaftslose Ruhe," wie der Prospect zum Menzel'schen Werke verspricht, be¬
seelt den Verfasser freilich nicht. Für historische Objectivität sind einer deut¬
schen Feder ja ohnehin diese Tage noch in zu grüner Erinnerung. Aber das
Eine, was dem späteren Geschichtsschreiber aus dem ehrwürdigen Staub der
Acten selten hervortritt: die lebendige Localfarbe der bedeutendsten Ereignisse,
der am tiefsten greifenden Stimmungen, weiß Menzel an der Hand zahlreicher
Berichte von Augenzeugen aus beiden Lagern, die er emsig zusammengetra¬
gen und der hinwegspülenden Macht der stürzenden Zeitwellen entrissen hat,
trefflich zu schildern. Diese Arbeit wird dem greisen schwäbischen Patrioten
der späte Forscher noch danken -- und weniger als gar kein Grund ist für
die Erfüllung der Weissagung vorhanden, welche Rüstow S. 47, 1. Lieferung
ausspricht, daß "in einigen Jahrzehnten die beiden großen Nationen Namen
wie Menzel und Cassagnac! nur mit Erröthen aussprechen werden." Denn
Menzel ist eben kein Cassagnac, wie Rüstow anzunehmen scheint. Rüstow's
Arbeit ist wesentlich für das Bedürfniß derer berechnet, welche schon jetzt eine
strategische Geschichte des großen Krieges zu besitzen wünschen, da erfahrungs¬
mäßig die offiziellen Werke der Großen Generalstabe Jahre lang auf
sich warten lassen. Bei dieser Arbeit ist der Verfasser, durch eine
Reihe viel gelesener früherer Werke dem deutschen Publikum sehr bekannt,
lebhaften Zuspruchs sicher gewesen. So ist denn die erste Lieferung
auch schon in zweiter Auflage erschienen. Und in der That bieten die
rein strategischen Partieen seiner Arbeit, die Aufzählung der gegeneinander
stehenden Heerkörper, bis auf die Nummern der Regimenter und die Namen
der Regimentscommandeure, die Oräre av L-iwiUö, biographische Notizen über
die Anführer, die genaue topographische Beschreibung des Schlachtterrains
u. s. w., acht gute Karten u.s. w., unter sicherer Führung dem Leser viel, was
er sonst an hundert Orten zerstreut suchen müßte, ohne sichere Führung. Als


deutsch-französische Krieg 1870 und 1871," von Karl Schmeidler,
I. Bd., Leipzig F. W. Grunow, 1871. Bon den beiden ersten sind erst zwei
Lieferungen erschienen, welche den Leser bis nach der Schlacht von Wörth
(Menzel) und nach den Kämpfen um Metz (Rüstow) führen, während der
erste Band des Schmeidler'schen Werkes bis zur Capitulation von Sedan und
der Proclamation der Republik in Paris reicht. Indessen deutlich , läßt sich
die verschiedene Auffassung und Behandlung der Verfasser schon aus diesen
Anfängen erkennen. Bei Menzel spricht aus feder Zeile der erregte deutsche
Patriot, der riesengroß die Thaten und Gestalten der Gegenwart in seine alten
Tage hineinragen sieht, dem jeder Nerv zuckt, während er die herrlichen Tage
dem Leser vorführt, auf die er ein Menschenalter schon und darüber gehofft
hat, und die nun leibhaftig vor ihm stehen: Der Vergeltungskrieg der Deut¬
schen gegen Frankreich, und die Vollendung der deutschen Einheit. „Leiden¬
schaftslose Ruhe," wie der Prospect zum Menzel'schen Werke verspricht, be¬
seelt den Verfasser freilich nicht. Für historische Objectivität sind einer deut¬
schen Feder ja ohnehin diese Tage noch in zu grüner Erinnerung. Aber das
Eine, was dem späteren Geschichtsschreiber aus dem ehrwürdigen Staub der
Acten selten hervortritt: die lebendige Localfarbe der bedeutendsten Ereignisse,
der am tiefsten greifenden Stimmungen, weiß Menzel an der Hand zahlreicher
Berichte von Augenzeugen aus beiden Lagern, die er emsig zusammengetra¬
gen und der hinwegspülenden Macht der stürzenden Zeitwellen entrissen hat,
trefflich zu schildern. Diese Arbeit wird dem greisen schwäbischen Patrioten
der späte Forscher noch danken — und weniger als gar kein Grund ist für
die Erfüllung der Weissagung vorhanden, welche Rüstow S. 47, 1. Lieferung
ausspricht, daß „in einigen Jahrzehnten die beiden großen Nationen Namen
wie Menzel und Cassagnac! nur mit Erröthen aussprechen werden." Denn
Menzel ist eben kein Cassagnac, wie Rüstow anzunehmen scheint. Rüstow's
Arbeit ist wesentlich für das Bedürfniß derer berechnet, welche schon jetzt eine
strategische Geschichte des großen Krieges zu besitzen wünschen, da erfahrungs¬
mäßig die offiziellen Werke der Großen Generalstabe Jahre lang auf
sich warten lassen. Bei dieser Arbeit ist der Verfasser, durch eine
Reihe viel gelesener früherer Werke dem deutschen Publikum sehr bekannt,
lebhaften Zuspruchs sicher gewesen. So ist denn die erste Lieferung
auch schon in zweiter Auflage erschienen. Und in der That bieten die
rein strategischen Partieen seiner Arbeit, die Aufzählung der gegeneinander
stehenden Heerkörper, bis auf die Nummern der Regimenter und die Namen
der Regimentscommandeure, die Oräre av L-iwiUö, biographische Notizen über
die Anführer, die genaue topographische Beschreibung des Schlachtterrains
u. s. w., acht gute Karten u.s. w., unter sicherer Führung dem Leser viel, was
er sonst an hundert Orten zerstreut suchen müßte, ohne sichere Führung. Als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/47>, abgerufen am 28.09.2024.