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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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nichts ging über die hochmüthige Manier, die er hatte, und welche vielleicht
um so stärker hervortrat, als sie nicht absichtlich war, sondern aus dein Ge¬
fühl unermeßlicher Ueberlegenheit hervorging. Zwischen dem lahmen Frei¬
willigen, der für seine Kameraden bat, und der siegreichen Armee war in
seinen Augen ein unendlich tiefer Abstand. Wären die beiden Leute Hunde
gewesen, ihr Schicksal hätte nicht in verächtlicherem Tone entschieden werden
können. Man ließ sie laufen einfach, weil es nicht der Mühe werth war,
sie zu behalten, und weil vielleicht die Tödtung jedes lebenden Wesens gegen
des Hauptmanns Gerechtigkeitsgefühl ging.

Aber warum von dieser Beleidigung sprechen? Hatte nicht jeder Mann,
der damals lebte, seine eigne Geschichte von Demüthigung und Erniedrigung
zu erzählen? Denn es war allenthalben Dasselbe. Nach dem ersten Stand¬
halten in Linie, und nachdem sie uns auf dem Marsche eingeholt, lachten sie
über uns. Unsre Handvoll regulärer Truppen war in regulären Kampfe
mit der Ueberzahl fast bis auf den letzten Mann geopfert worden. Unsre
Freiwilligen und Milizen mit Offizieren, die ihr Handwerk nicht verstanden,
ohne Munition und ohne gehörige Ausrüstung, ohne Stab zu ihrer Ueber-
wachung, verhungernd mitten im Ueberfluß, waren bald ein hülfloser Haufen
Menschen geworden, der hier und da verzweifelt sich wehrte, mit dem aber
als mit einer manövrirenden Armee der eindringende wohldisciplinirte Feind
nach Belieben that, was ihm paßte.

Glücklich die, deren Knochen auf den Gefilden von Surrey bleichten!
Ihnen war wenigstens die Schande erspart, die wir erleben mußten. Selbst
ihr, die ihr nie erfahren habt, was es ist, anders als unter Leiden zu leben,
selbst euch brennen die Wangen, wenn wir von jenen Tagen reden. Denkt
also, was diejenigen erduldeten, die wie euer Großvater Bürger der stolzesten
Nation auf Erden gewesen waren, welche nie Schande oder Niederlage er¬
litten hatte, und deren Nuhm es gewesen war, eine Flagge zu tragen, über
der die Sonne nicht unterging/)

Wir hatten von Großmuth im Kriege gehört, wir fanden keine. Der
Krieg war von uns veranlaßt, sagte man uns, und wir müßten die Folgen
auf uns nehmen. Da London und unser einziges Arsenal weggenommen
waren, waren wir der Gnade der Sieger preisgegeben, und sie traten uns
recht schwer auf den Nacken. Soll ich euch das Uebrige erzählt"? Die Kriegs¬
entschädigung, die wir zu bezahlen hatten und die Steuern, die zur Auf¬
bringung derselben erhoben wurden, und die uns noch heute zu Bettlern
machen? Die brutale Offenheit, die uns ankündigte, wir müßten einer neuen
Seemacht Platz machen und man müsse uns die Möglichkeit nehmen, uns zu



Was mit den Spaniern auch einmal passirte, mit denen wir die Engländer trotz ihres
Hochmuths nicht verglichen haben würden wie der Verfasser.

nichts ging über die hochmüthige Manier, die er hatte, und welche vielleicht
um so stärker hervortrat, als sie nicht absichtlich war, sondern aus dein Ge¬
fühl unermeßlicher Ueberlegenheit hervorging. Zwischen dem lahmen Frei¬
willigen, der für seine Kameraden bat, und der siegreichen Armee war in
seinen Augen ein unendlich tiefer Abstand. Wären die beiden Leute Hunde
gewesen, ihr Schicksal hätte nicht in verächtlicherem Tone entschieden werden
können. Man ließ sie laufen einfach, weil es nicht der Mühe werth war,
sie zu behalten, und weil vielleicht die Tödtung jedes lebenden Wesens gegen
des Hauptmanns Gerechtigkeitsgefühl ging.

Aber warum von dieser Beleidigung sprechen? Hatte nicht jeder Mann,
der damals lebte, seine eigne Geschichte von Demüthigung und Erniedrigung
zu erzählen? Denn es war allenthalben Dasselbe. Nach dem ersten Stand¬
halten in Linie, und nachdem sie uns auf dem Marsche eingeholt, lachten sie
über uns. Unsre Handvoll regulärer Truppen war in regulären Kampfe
mit der Ueberzahl fast bis auf den letzten Mann geopfert worden. Unsre
Freiwilligen und Milizen mit Offizieren, die ihr Handwerk nicht verstanden,
ohne Munition und ohne gehörige Ausrüstung, ohne Stab zu ihrer Ueber-
wachung, verhungernd mitten im Ueberfluß, waren bald ein hülfloser Haufen
Menschen geworden, der hier und da verzweifelt sich wehrte, mit dem aber
als mit einer manövrirenden Armee der eindringende wohldisciplinirte Feind
nach Belieben that, was ihm paßte.

Glücklich die, deren Knochen auf den Gefilden von Surrey bleichten!
Ihnen war wenigstens die Schande erspart, die wir erleben mußten. Selbst
ihr, die ihr nie erfahren habt, was es ist, anders als unter Leiden zu leben,
selbst euch brennen die Wangen, wenn wir von jenen Tagen reden. Denkt
also, was diejenigen erduldeten, die wie euer Großvater Bürger der stolzesten
Nation auf Erden gewesen waren, welche nie Schande oder Niederlage er¬
litten hatte, und deren Nuhm es gewesen war, eine Flagge zu tragen, über
der die Sonne nicht unterging/)

Wir hatten von Großmuth im Kriege gehört, wir fanden keine. Der
Krieg war von uns veranlaßt, sagte man uns, und wir müßten die Folgen
auf uns nehmen. Da London und unser einziges Arsenal weggenommen
waren, waren wir der Gnade der Sieger preisgegeben, und sie traten uns
recht schwer auf den Nacken. Soll ich euch das Uebrige erzählt»? Die Kriegs¬
entschädigung, die wir zu bezahlen hatten und die Steuern, die zur Auf¬
bringung derselben erhoben wurden, und die uns noch heute zu Bettlern
machen? Die brutale Offenheit, die uns ankündigte, wir müßten einer neuen
Seemacht Platz machen und man müsse uns die Möglichkeit nehmen, uns zu



Was mit den Spaniern auch einmal passirte, mit denen wir die Engländer trotz ihres
Hochmuths nicht verglichen haben würden wie der Verfasser.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/469>, abgerufen am 29.12.2024.