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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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witterregen weggespült worden. Nur ein winziges Klümpchen war in mei¬
nem Sack noch übrig. Der Tabak war zu naß, um rauchbar zu sein.

In dieser Noth schlichen wir weiter, bis der Adjutant uns von der Straße
auf ein Feld führte, wo wir eine Weile ruhen sollten, und wo wir uns er¬
schöpft ins Gras warfen. Hier wurde verlesen, und von ziemlich 300 Mann,
die am Morgen der Schlacht gegenwärtig gewesen waren, antworteten nur
180 mit "Hier". Wie viele von den Fehlenden todt oder verwundet waren,
konnte niemand sagen; aber es war gewiß, daß viele nur in der Verwirrung
des Abends sich von uns getrennt hatten.

Während wir hier ruhten, sahen wir in der Masse von Fuhrwerken und
Menschen auch einen Karren von Commissariats-Vorräthen vorbeifahren, der
von einem Mann in Uniform gefahren wurde. "Heda, was zu essen!" rief
einer, und sofort sprang ein Dutzend Freiwillige auf und umringten den Kar¬
ren. Der Fuhrmann suchte sie mit der Peitsche zu verscheuchen. Aber er
wurde von seinem Sitze gerissen und der Inhalt des Fuhrwerks in einem
Augenblick herausgeworfen. Es war präservirtes Fleisch in Zinnbüchsen, die
wir mit unsern Bayonnetten aufrissen. Das Fleisch war, glaube ich, zuvor
gekocht worden; auf alle Fälle verschlangen wir es. Bald darauf kam ein
General mit drei oder vier Stabsoffizieren vorüber. "Jungens," sagte er,
"ihr sollt fürs erste euch meiner Division anschließen. Hier herein, hinter das
Regiment, das jetzt vorbeimarschirt." Wir erhoben uns, schlössen uns in
Compagnien an, von denen jede etwa zwanzig Mann stark war, und schwam¬
men nun wieder in dem großen Strom, der langsam die Straße hinab-
fluthete, Regimenter, Detachements, einzelne Freiwillige und Milizen, flüch¬
tende Landleute, einige mit Bündeln, andere ohne solche, etliche in Karren,
aber die meisten zu Fuß, hier und da Leiterwagen mit Vorräthen, auf
denen Leute saßen, wo nur Platz war, andere gestopft voll verwundete
Soldaten.

Häufig gab's Ausenthalt, wenn Pferde fielen oder Karren zusammen¬
brachen und die Straße zufüllten. In der Stadt war die Confusion so¬
gar noch schlimmer; denn alle Häuser waren voll Freiwillige und Milizen,
die verwundet waren oder ausrüsten oder Nahrung suchten, und die Straßen
waren fast versperrt. Einige Offiziere versuchten vergeblich die Ordnung wie¬
der herzustellen, die Aufgabe war eine hoffnungslose. Ein paar Freiwilligen¬
regimenter, welche die Nacht zuvor vom Norden her angekommen waren und
hier Halt gemacht hatten, um Befehle abzuwarten, waren stramm genug ent¬
lang der Straße aufgestellt, und einige der retirirenden Regimenter mit Ein¬
schluß des unsrigen mögen das Aussehen bewahrt haben, als ob in ihnen
noch Disciplin herrschte, aber die große Masse der sich Zurückziehenden war
ein bloßer ungeordneter Menschenhaufen. Die Regularen, oder was von


witterregen weggespült worden. Nur ein winziges Klümpchen war in mei¬
nem Sack noch übrig. Der Tabak war zu naß, um rauchbar zu sein.

In dieser Noth schlichen wir weiter, bis der Adjutant uns von der Straße
auf ein Feld führte, wo wir eine Weile ruhen sollten, und wo wir uns er¬
schöpft ins Gras warfen. Hier wurde verlesen, und von ziemlich 300 Mann,
die am Morgen der Schlacht gegenwärtig gewesen waren, antworteten nur
180 mit „Hier". Wie viele von den Fehlenden todt oder verwundet waren,
konnte niemand sagen; aber es war gewiß, daß viele nur in der Verwirrung
des Abends sich von uns getrennt hatten.

Während wir hier ruhten, sahen wir in der Masse von Fuhrwerken und
Menschen auch einen Karren von Commissariats-Vorräthen vorbeifahren, der
von einem Mann in Uniform gefahren wurde. „Heda, was zu essen!" rief
einer, und sofort sprang ein Dutzend Freiwillige auf und umringten den Kar¬
ren. Der Fuhrmann suchte sie mit der Peitsche zu verscheuchen. Aber er
wurde von seinem Sitze gerissen und der Inhalt des Fuhrwerks in einem
Augenblick herausgeworfen. Es war präservirtes Fleisch in Zinnbüchsen, die
wir mit unsern Bayonnetten aufrissen. Das Fleisch war, glaube ich, zuvor
gekocht worden; auf alle Fälle verschlangen wir es. Bald darauf kam ein
General mit drei oder vier Stabsoffizieren vorüber. „Jungens," sagte er,
„ihr sollt fürs erste euch meiner Division anschließen. Hier herein, hinter das
Regiment, das jetzt vorbeimarschirt." Wir erhoben uns, schlössen uns in
Compagnien an, von denen jede etwa zwanzig Mann stark war, und schwam¬
men nun wieder in dem großen Strom, der langsam die Straße hinab-
fluthete, Regimenter, Detachements, einzelne Freiwillige und Milizen, flüch¬
tende Landleute, einige mit Bündeln, andere ohne solche, etliche in Karren,
aber die meisten zu Fuß, hier und da Leiterwagen mit Vorräthen, auf
denen Leute saßen, wo nur Platz war, andere gestopft voll verwundete
Soldaten.

Häufig gab's Ausenthalt, wenn Pferde fielen oder Karren zusammen¬
brachen und die Straße zufüllten. In der Stadt war die Confusion so¬
gar noch schlimmer; denn alle Häuser waren voll Freiwillige und Milizen,
die verwundet waren oder ausrüsten oder Nahrung suchten, und die Straßen
waren fast versperrt. Einige Offiziere versuchten vergeblich die Ordnung wie¬
der herzustellen, die Aufgabe war eine hoffnungslose. Ein paar Freiwilligen¬
regimenter, welche die Nacht zuvor vom Norden her angekommen waren und
hier Halt gemacht hatten, um Befehle abzuwarten, waren stramm genug ent¬
lang der Straße aufgestellt, und einige der retirirenden Regimenter mit Ein¬
schluß des unsrigen mögen das Aussehen bewahrt haben, als ob in ihnen
noch Disciplin herrschte, aber die große Masse der sich Zurückziehenden war
ein bloßer ungeordneter Menschenhaufen. Die Regularen, oder was von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/459>, abgerufen am 28.09.2024.