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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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den, so flüchtete er, so weit seine beschränkten Mittel erlaubten, in andere
regsamere Orte und zwar zumeist und zunächst nach Thorn. Hier hatte er
die Bekanntschaft aus früherer Jugendzeit mit mir schon 1829 erneuert,
nahm sie nach der Rückkehr aus Posen wieder auf und lernte bei einem
solchen Besuch bald meinen Vater und meine nun verstorbenen Freunde:
Prof. Paul, Pret. Voigt. Pret. Suber, später auch die noch lebenden Land¬
rath v. Besser, Prof. Kühn äst und andere kennen. Eine Fahrt nach Brom¬
berg führte ihn mit einem Jünger Hegels, dem Prof. Rötscher, zusammen,
durch den er mit dem damals viel besprochenen, hochintelligenten und viel¬
seitig gebildeten Landwirth, dem Oberamtmann Nordmann in Lißkowo be¬
freundet wurde. Bei einem Besuch in Königsberg, auf welches er aus der
Knabenzeit her lebenslang große Stücke hielt, führte der ihm noch von der
Schule in Marienwerder befreundete, vielverkannte Schulrath Lucas ihn zu
dem bedeutendsten Nachfolger Hegels, dem Prof. Rosenkranz.

Nicht bloß die Nähe der Stadt, sondern auch die Art, in welcher er
empfangen und aufgenommen wurde, bewirkte, daß öfter als nach jedem an¬
dern Ort, Goltz hierher nach Thorn seinen Weg lenkte, wo er bei seinen oft
auf zwei bis drei Wochen sich erstreckenden Besuchen zuerst bei seiner Schwester,
bald aber bei dem Pret. Voigt, nach dessen Tod abwechselnd bei dem Bürger¬
meister Povlawski, früher Domänenrentmeister in Gollub -- und bei mir
wohnte.

Die Ideen, die der Einsiedler von Gollub dort in der Stille erzeugt, ent¬
deckt und gebildet hatte, führte er in reichem Vorrath, wie er selbst sagte,
"zum Absatz auf den Markt nach Thorn," "vollgesogen" "bis zum Ausdrücken,"
"gefüllt wie eine zum Platzen bereite Bombe," kam er hier an. Die Kunde
von seinem Eintreffen verbreitete sich schnell und bald sammelte sich dann der
Kreis derjenigen, die erfreut und begierig waren, ihn zu hören und voll
Empfänglichkeit für die wunderbaren Gedankenblumen, die er aus der Treib¬
hausstube an der Drewenz an die freie Luft der Weichsel verpflanzte. Jeder¬
zeit brachte er einige Hefte mit, Aufsätze, die theils philosophische, nament¬
lich psychologische Fragen behandelten, theils Situationen und Lebensbilder in
meisterhaften Zügen und Farben schilderten. Nicht sowohl diese kleinen
Reisen an sich, als ihr Beweggrund und ihr Zweck bezeichnen eine wesentliche
Verschiedenheit, einen tiefen und inneren Vorzug vor andern, in gleicher Lage
lebenden und in gleicher Weise umherfahrenden Leuten, welche die geistige
Dürre ihrer alltäglichen Umgebungen verlassen, um die Quellen ihres Den¬
kens vor dem Versiechen zu schützen und für den Born ihres Geistes nährende
Tropfen zu suchen und zu sammeln. Nicht geistige Verarmung -- nein,
überquellender Reichthum führte ihn hierher, um alles das, was er, angeregt
von Empfindungen des Gemüths, in einsamem Sinnen zu Ideen gestaltet


Grenzboten I. 1871. 123

den, so flüchtete er, so weit seine beschränkten Mittel erlaubten, in andere
regsamere Orte und zwar zumeist und zunächst nach Thorn. Hier hatte er
die Bekanntschaft aus früherer Jugendzeit mit mir schon 1829 erneuert,
nahm sie nach der Rückkehr aus Posen wieder auf und lernte bei einem
solchen Besuch bald meinen Vater und meine nun verstorbenen Freunde:
Prof. Paul, Pret. Voigt. Pret. Suber, später auch die noch lebenden Land¬
rath v. Besser, Prof. Kühn äst und andere kennen. Eine Fahrt nach Brom¬
berg führte ihn mit einem Jünger Hegels, dem Prof. Rötscher, zusammen,
durch den er mit dem damals viel besprochenen, hochintelligenten und viel¬
seitig gebildeten Landwirth, dem Oberamtmann Nordmann in Lißkowo be¬
freundet wurde. Bei einem Besuch in Königsberg, auf welches er aus der
Knabenzeit her lebenslang große Stücke hielt, führte der ihm noch von der
Schule in Marienwerder befreundete, vielverkannte Schulrath Lucas ihn zu
dem bedeutendsten Nachfolger Hegels, dem Prof. Rosenkranz.

Nicht bloß die Nähe der Stadt, sondern auch die Art, in welcher er
empfangen und aufgenommen wurde, bewirkte, daß öfter als nach jedem an¬
dern Ort, Goltz hierher nach Thorn seinen Weg lenkte, wo er bei seinen oft
auf zwei bis drei Wochen sich erstreckenden Besuchen zuerst bei seiner Schwester,
bald aber bei dem Pret. Voigt, nach dessen Tod abwechselnd bei dem Bürger¬
meister Povlawski, früher Domänenrentmeister in Gollub — und bei mir
wohnte.

Die Ideen, die der Einsiedler von Gollub dort in der Stille erzeugt, ent¬
deckt und gebildet hatte, führte er in reichem Vorrath, wie er selbst sagte,
„zum Absatz auf den Markt nach Thorn," „vollgesogen" „bis zum Ausdrücken,"
„gefüllt wie eine zum Platzen bereite Bombe," kam er hier an. Die Kunde
von seinem Eintreffen verbreitete sich schnell und bald sammelte sich dann der
Kreis derjenigen, die erfreut und begierig waren, ihn zu hören und voll
Empfänglichkeit für die wunderbaren Gedankenblumen, die er aus der Treib¬
hausstube an der Drewenz an die freie Luft der Weichsel verpflanzte. Jeder¬
zeit brachte er einige Hefte mit, Aufsätze, die theils philosophische, nament¬
lich psychologische Fragen behandelten, theils Situationen und Lebensbilder in
meisterhaften Zügen und Farben schilderten. Nicht sowohl diese kleinen
Reisen an sich, als ihr Beweggrund und ihr Zweck bezeichnen eine wesentliche
Verschiedenheit, einen tiefen und inneren Vorzug vor andern, in gleicher Lage
lebenden und in gleicher Weise umherfahrenden Leuten, welche die geistige
Dürre ihrer alltäglichen Umgebungen verlassen, um die Quellen ihres Den¬
kens vor dem Versiechen zu schützen und für den Born ihres Geistes nährende
Tropfen zu suchen und zu sammeln. Nicht geistige Verarmung — nein,
überquellender Reichthum führte ihn hierher, um alles das, was er, angeregt
von Empfindungen des Gemüths, in einsamem Sinnen zu Ideen gestaltet


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[0457] den, so flüchtete er, so weit seine beschränkten Mittel erlaubten, in andere regsamere Orte und zwar zumeist und zunächst nach Thorn. Hier hatte er die Bekanntschaft aus früherer Jugendzeit mit mir schon 1829 erneuert, nahm sie nach der Rückkehr aus Posen wieder auf und lernte bei einem solchen Besuch bald meinen Vater und meine nun verstorbenen Freunde: Prof. Paul, Pret. Voigt. Pret. Suber, später auch die noch lebenden Land¬ rath v. Besser, Prof. Kühn äst und andere kennen. Eine Fahrt nach Brom¬ berg führte ihn mit einem Jünger Hegels, dem Prof. Rötscher, zusammen, durch den er mit dem damals viel besprochenen, hochintelligenten und viel¬ seitig gebildeten Landwirth, dem Oberamtmann Nordmann in Lißkowo be¬ freundet wurde. Bei einem Besuch in Königsberg, auf welches er aus der Knabenzeit her lebenslang große Stücke hielt, führte der ihm noch von der Schule in Marienwerder befreundete, vielverkannte Schulrath Lucas ihn zu dem bedeutendsten Nachfolger Hegels, dem Prof. Rosenkranz. Nicht bloß die Nähe der Stadt, sondern auch die Art, in welcher er empfangen und aufgenommen wurde, bewirkte, daß öfter als nach jedem an¬ dern Ort, Goltz hierher nach Thorn seinen Weg lenkte, wo er bei seinen oft auf zwei bis drei Wochen sich erstreckenden Besuchen zuerst bei seiner Schwester, bald aber bei dem Pret. Voigt, nach dessen Tod abwechselnd bei dem Bürger¬ meister Povlawski, früher Domänenrentmeister in Gollub — und bei mir wohnte. Die Ideen, die der Einsiedler von Gollub dort in der Stille erzeugt, ent¬ deckt und gebildet hatte, führte er in reichem Vorrath, wie er selbst sagte, „zum Absatz auf den Markt nach Thorn," „vollgesogen" „bis zum Ausdrücken," „gefüllt wie eine zum Platzen bereite Bombe," kam er hier an. Die Kunde von seinem Eintreffen verbreitete sich schnell und bald sammelte sich dann der Kreis derjenigen, die erfreut und begierig waren, ihn zu hören und voll Empfänglichkeit für die wunderbaren Gedankenblumen, die er aus der Treib¬ hausstube an der Drewenz an die freie Luft der Weichsel verpflanzte. Jeder¬ zeit brachte er einige Hefte mit, Aufsätze, die theils philosophische, nament¬ lich psychologische Fragen behandelten, theils Situationen und Lebensbilder in meisterhaften Zügen und Farben schilderten. Nicht sowohl diese kleinen Reisen an sich, als ihr Beweggrund und ihr Zweck bezeichnen eine wesentliche Verschiedenheit, einen tiefen und inneren Vorzug vor andern, in gleicher Lage lebenden und in gleicher Weise umherfahrenden Leuten, welche die geistige Dürre ihrer alltäglichen Umgebungen verlassen, um die Quellen ihres Den¬ kens vor dem Versiechen zu schützen und für den Born ihres Geistes nährende Tropfen zu suchen und zu sammeln. Nicht geistige Verarmung — nein, überquellender Reichthum führte ihn hierher, um alles das, was er, angeregt von Empfindungen des Gemüths, in einsamem Sinnen zu Ideen gestaltet Grenzboten I. 1871. 123

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/457>, abgerufen am 21.10.2024.