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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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liefen davon, andere boten uns die Stirn, und einen Augenblick gab es ein
förmliches Handgemenge. Ich fühlte einen scharfen Stich in meinem Bein,
während ich mein Bayonnet dem Mann vor mir in den Leib rannte. Ich
gestehe, ich schloß meine Augen dabei. Denn ich sah den armen Burschen
mit hervortretenden Augen zurückfallen, und so wüthend wir waren, war es
doch ein gar zu gräßlicher Anblick. Aber der Kampf war in einer Secunde
vorbei, und wir hatten das Terrain wieder bis an die Rückwand der Feld¬
gasse gesäubert. Wären wir weiter gegangen, so glaube ich, wir hätten auch
die Gasse selbst wieder genommen, aber wir waren jetzt ganz außer Rand und
Band, niemand war da, um zu sagen, was zu thun, der Feind begann die
Linie der Böschung zu besetzen und von dort aus zu feuern, und sie ergossen
sich an unserer Linken vorüber, und -- ich weiß nicht, wie es kam -- bald
fanden wir uns beim Rückzug auf unsere rechte Seite. Von einer geraden
Linie war kaum noch eine Spur geblieben, und die Freiwilligen, die auf unsrer
Linken gewichen waren, vermischten sich mit uns und trugen zur Verwir¬
rung bei.

Es war jetzt ziemlich Nacht. Auf den Abhängen, auf die wir uns zu¬
rückzogen, war eine Masse von Reserven in Colonnen aufgestellt. In den
ersten Gliedern derselben hielt man uns irrthümlich für Feinde und gab Feuer.
Unsere Leute liefen, ihnen Halt zurufend, auf ihre Linie zu und in wenigen
Augenblicken war der ganze Abhang eine unbeschreibliche Scene der Verwir¬
rung, ganze Regimenter und Detachements mischten sich in einem hoffnungs¬
losen Durcheinander. Die meisten von uns kehrten sich, wie ich glaube, dem
Feinde zu und verschossen die wenigen Patronen, die sie noch hatten. Aber
es war zu dunkel zum Zielen, zum Glück für uns, sonst hätten die Kanonen,
die der Feind durch die Schlucht herangebracht hatte, und die aufs Gerathe¬
wohl feuerten, mehr Schaden angerichtet. Wie die Sachen standen, konnten
wir von ihnen wenig mehr als ihr Helles Aufblitzen sehen.

In unserer Verwirrung hatten wir ein Linienregiment, das unmittelbar
hinter uns stand, eingeklemmt, und dessen Offiziere versuchten vergebens, ihm
einen Durchgang zu schaffen. Ihre Rufe an uns, nach hinten zu marschiren
und den Weg frei zu lassen, waren über dem Gebrüll der Geschütze und dem
babylonischen Stimmengetöse zu hören. Endlich brach sich ein berittener Of¬
fizier Bahn, gefolgt von einer Compagnie in Sectionen. Die Leute drängten
sich mit sestverbissener Miene vorbei wie zu einer verzweifelten Aufgabe, und
das Bataillon schien sich, als es klar wurde, den Abhang hinunter zu ent¬
wickeln und vorzudringen. Ebenso habe ich eine dunkle Erinnerung, gesehen
zu haben, wie die Leibgarde mit hallendem Schritt vorbeimärschirte und auf
die Stadt zutrabte, ein letzter verzweifelter Versuch, den Tag zu retten, be¬
vor wir das Schlachtfeld räumten. Unser Adjutant, der in der Verwirrung


liefen davon, andere boten uns die Stirn, und einen Augenblick gab es ein
förmliches Handgemenge. Ich fühlte einen scharfen Stich in meinem Bein,
während ich mein Bayonnet dem Mann vor mir in den Leib rannte. Ich
gestehe, ich schloß meine Augen dabei. Denn ich sah den armen Burschen
mit hervortretenden Augen zurückfallen, und so wüthend wir waren, war es
doch ein gar zu gräßlicher Anblick. Aber der Kampf war in einer Secunde
vorbei, und wir hatten das Terrain wieder bis an die Rückwand der Feld¬
gasse gesäubert. Wären wir weiter gegangen, so glaube ich, wir hätten auch
die Gasse selbst wieder genommen, aber wir waren jetzt ganz außer Rand und
Band, niemand war da, um zu sagen, was zu thun, der Feind begann die
Linie der Böschung zu besetzen und von dort aus zu feuern, und sie ergossen
sich an unserer Linken vorüber, und — ich weiß nicht, wie es kam — bald
fanden wir uns beim Rückzug auf unsere rechte Seite. Von einer geraden
Linie war kaum noch eine Spur geblieben, und die Freiwilligen, die auf unsrer
Linken gewichen waren, vermischten sich mit uns und trugen zur Verwir¬
rung bei.

Es war jetzt ziemlich Nacht. Auf den Abhängen, auf die wir uns zu¬
rückzogen, war eine Masse von Reserven in Colonnen aufgestellt. In den
ersten Gliedern derselben hielt man uns irrthümlich für Feinde und gab Feuer.
Unsere Leute liefen, ihnen Halt zurufend, auf ihre Linie zu und in wenigen
Augenblicken war der ganze Abhang eine unbeschreibliche Scene der Verwir¬
rung, ganze Regimenter und Detachements mischten sich in einem hoffnungs¬
losen Durcheinander. Die meisten von uns kehrten sich, wie ich glaube, dem
Feinde zu und verschossen die wenigen Patronen, die sie noch hatten. Aber
es war zu dunkel zum Zielen, zum Glück für uns, sonst hätten die Kanonen,
die der Feind durch die Schlucht herangebracht hatte, und die aufs Gerathe¬
wohl feuerten, mehr Schaden angerichtet. Wie die Sachen standen, konnten
wir von ihnen wenig mehr als ihr Helles Aufblitzen sehen.

In unserer Verwirrung hatten wir ein Linienregiment, das unmittelbar
hinter uns stand, eingeklemmt, und dessen Offiziere versuchten vergebens, ihm
einen Durchgang zu schaffen. Ihre Rufe an uns, nach hinten zu marschiren
und den Weg frei zu lassen, waren über dem Gebrüll der Geschütze und dem
babylonischen Stimmengetöse zu hören. Endlich brach sich ein berittener Of¬
fizier Bahn, gefolgt von einer Compagnie in Sectionen. Die Leute drängten
sich mit sestverbissener Miene vorbei wie zu einer verzweifelten Aufgabe, und
das Bataillon schien sich, als es klar wurde, den Abhang hinunter zu ent¬
wickeln und vorzudringen. Ebenso habe ich eine dunkle Erinnerung, gesehen
zu haben, wie die Leibgarde mit hallendem Schritt vorbeimärschirte und auf
die Stadt zutrabte, ein letzter verzweifelter Versuch, den Tag zu retten, be¬
vor wir das Schlachtfeld räumten. Unser Adjutant, der in der Verwirrung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/429>, abgerufen am 28.12.2024.