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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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nister. Der kleine Arthur, der sich über das muntere Treiben und die Uni¬
formen gefreut und sehr lustig gewesen, wurde zuletzt sehr ungeberdig und
schrie sich schließlich in Schlaf in den Armen feines Vaters, wobei sein golde¬
nes Haar und ein kleiner Arm mit einem Grübchen über seine Schulter hingen.

So schlichen die Stunden hin, bis plötzlich zum Sammeln geblasen wurde
und wir alle aufstanden. Wir mußten nach Waterloo zurück. Die Landung
im Osten war nur eine Finte gewesen, so hieß es, der eigentliche Angriff
fand im Süden statt. Alles schien besser als Ungewißheit und Aufenthalt,
und so müde wir waren, der Rückmarsch wurde freudig begrüßt. Frau Tra-
vers, die uns den Rest des Frühstücks mitnehmen ließ, blieb mit dem kleinen
Arthur, der wieder wach, aber sehr gut und ruhig war, in ihren Armen
zurück, um nach ihrem Wagen zu sehen.

Wir erreichten Waterloo erst gegen Mitternacht, und dort war wieder
Ausenthalt, Miliz- und Freiwilligen-Regimenter waren vom Norden ange¬
kommen, der Bahnhof und seine Zugänge waren von Menschen vollgepfropft,
und Züge gingen ab, so rasch sie fertig gestellt werden konnten. In dieser
ganzen Zeit hatten uns seit der ersten Anzeige keinerlei Nachrichten erreicht,
aber die damals hervorgerufene Aufregung war jetzt unter dem Einfluß von
Ermüdung und Mangel an Schlaf vergangen, und die meisten von uns
schlummerten ein, sobald der Zug sich in Bewegung setzte. So ging's jeden¬
falls mir, und ich erwachte erst, als der Zug in Leatherhead hielt. Hier war
ein Zug, der von der Küste nach der Stadt zurückging, und einige Personen
in ihm brachten Neuigkeiten von dort mit. Wir konnten von unserm Theile
des Zugs aus nicht hören, was sie sagten, aber das Gerücht ging von einem
Wagen zum andern. Der Feind war in starken Massen bei Worthing ge¬
landet. Seine Stellung war von den Truppen des Lagers bei Brighton an¬
gegriffen worden, und das Treffen sollte am Morgen Wiederbeginnen. Die
Freiwilligen hatten sich sehr gut gehalten. Dieß war Alles, was man er¬
fahren konnte.

So war denn die Invasion endlich gekommen. Es war nach dem, was
gesagt worden, jedenfalls klar, daß der Feind noch nicht zurück getrieben
war, und daß wir sehr wahrscheinlich bald unsern Antheil an der Verthei¬
digung haben würden. Die Sonne ging auf, als der Zug nach Dorking
hineinschlich, denn es war auf dem Wege häufig angehalten worden, und hier
hielt er lange Zeit, und man hieß uns aussteigen und uns hinstrecken, ein
Befehl, dem mit Freuden nachgekommen wurde; denn wir waren die ganze
Nacht sehr eng zusammengepfercht gewesen. Die meisten von uns nahmen
auch die Gelegenheit wahr, ein Frühstück von den Nahrungsmitteln zu halten,
die wir von Shoreditch mitgebracht. Ich hatte die Reste vom Huhn der
Frau Travers und etwas Brot in meinen Regenrock gewickelt, was ich mit


nister. Der kleine Arthur, der sich über das muntere Treiben und die Uni¬
formen gefreut und sehr lustig gewesen, wurde zuletzt sehr ungeberdig und
schrie sich schließlich in Schlaf in den Armen feines Vaters, wobei sein golde¬
nes Haar und ein kleiner Arm mit einem Grübchen über seine Schulter hingen.

So schlichen die Stunden hin, bis plötzlich zum Sammeln geblasen wurde
und wir alle aufstanden. Wir mußten nach Waterloo zurück. Die Landung
im Osten war nur eine Finte gewesen, so hieß es, der eigentliche Angriff
fand im Süden statt. Alles schien besser als Ungewißheit und Aufenthalt,
und so müde wir waren, der Rückmarsch wurde freudig begrüßt. Frau Tra-
vers, die uns den Rest des Frühstücks mitnehmen ließ, blieb mit dem kleinen
Arthur, der wieder wach, aber sehr gut und ruhig war, in ihren Armen
zurück, um nach ihrem Wagen zu sehen.

Wir erreichten Waterloo erst gegen Mitternacht, und dort war wieder
Ausenthalt, Miliz- und Freiwilligen-Regimenter waren vom Norden ange¬
kommen, der Bahnhof und seine Zugänge waren von Menschen vollgepfropft,
und Züge gingen ab, so rasch sie fertig gestellt werden konnten. In dieser
ganzen Zeit hatten uns seit der ersten Anzeige keinerlei Nachrichten erreicht,
aber die damals hervorgerufene Aufregung war jetzt unter dem Einfluß von
Ermüdung und Mangel an Schlaf vergangen, und die meisten von uns
schlummerten ein, sobald der Zug sich in Bewegung setzte. So ging's jeden¬
falls mir, und ich erwachte erst, als der Zug in Leatherhead hielt. Hier war
ein Zug, der von der Küste nach der Stadt zurückging, und einige Personen
in ihm brachten Neuigkeiten von dort mit. Wir konnten von unserm Theile
des Zugs aus nicht hören, was sie sagten, aber das Gerücht ging von einem
Wagen zum andern. Der Feind war in starken Massen bei Worthing ge¬
landet. Seine Stellung war von den Truppen des Lagers bei Brighton an¬
gegriffen worden, und das Treffen sollte am Morgen Wiederbeginnen. Die
Freiwilligen hatten sich sehr gut gehalten. Dieß war Alles, was man er¬
fahren konnte.

So war denn die Invasion endlich gekommen. Es war nach dem, was
gesagt worden, jedenfalls klar, daß der Feind noch nicht zurück getrieben
war, und daß wir sehr wahrscheinlich bald unsern Antheil an der Verthei¬
digung haben würden. Die Sonne ging auf, als der Zug nach Dorking
hineinschlich, denn es war auf dem Wege häufig angehalten worden, und hier
hielt er lange Zeit, und man hieß uns aussteigen und uns hinstrecken, ein
Befehl, dem mit Freuden nachgekommen wurde; denn wir waren die ganze
Nacht sehr eng zusammengepfercht gewesen. Die meisten von uns nahmen
auch die Gelegenheit wahr, ein Frühstück von den Nahrungsmitteln zu halten,
die wir von Shoreditch mitgebracht. Ich hatte die Reste vom Huhn der
Frau Travers und etwas Brot in meinen Regenrock gewickelt, was ich mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/399>, abgerufen am 29.09.2024.