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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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ein förmliches Drängen und Balgen nach denselben unter den Freiwilligen
statt, und unsre Leute kriegten ein paar hundert davon. Aber man hätte sich
auf den Gebrauch der Büchse ebenso gut mit einem Besenstiel einüben können,
als mit einem solchen alten Kuhfuß, und überdies gab es im ganzen Lande
keine Munition für glatte Gewehre. Eine Nationalsubscription wurde für
die Anfertigung von Büchsen in Birmingham eröffnet, die in zwei Tagen ein
paar Millionen Pfund Sterling ergab, aber wie alles Andere kam auch das
zu spät.

Ich kehre zu den Freiwilligen zurück. Vierzehn Tage zuvor hatte man
zu Dover, Brighton, Harwich und an anderen Orten Lager für Reguläre
und Milizen angelegt, und die Hauptquartiere der meisten Freiwilligenregi¬
menter wurden dem einen oder dem andern derselben attachirt, und die Frei¬
willigen selbst pflegten Tag für Tag nach ihnen zum Exerciren hinunterzu¬
gehen, wenn sie Zeit erübrigen konnten, und am Freitag erging der Befehl
zu ihrer bleibenden Einverleibung. Aber die hauptstädtischen Freiwilligen
behielt man als eine Art Reserve in London zurück, bis man sehen könne,
wo die Invasion stattfinden sollte. Wir wurden alle in Brigaden und Di¬
visionen abgetheilt. Unsre Brigade bestand aus dem 4. Regiment Royal
Surrey Miliz, dem ersten Surreyschen Verwaltungsbataillon, wie man's
nannte, in Clapham, dem 7. Surrey'schen Freiwilligenregiment in Southwark,
und unsern Leuten. Aber nur unser Bataillon und die Milizen waren an
demselben Orte einquartirt, und die ganze Brigade exercirte als solche nur
zwei oder drei Nachmittage im Bushey Park, ehe der Marsch angetreten
wurde. Unser Brigadier gehörte zu einem Linienregiment in Irland und
stieß erst an dem Morgen zu uns, wo der Befehl eintraf. Die zwei Wochen
bis zu seiner Ankunft befehligte uns der Milizoberst. Aber obwohl wir
Freiwilligen uns emsig übten und vorbereiteten, hatten die, welche gleich mir
zu Regierungskanzleien gehörten, wie ihr euch denken könnt, mehr als genug
zu thun mit Kanzleiarbeiten. Die beiden Freiwilligen eingetretenen Beamten
wurden um vier Uhr aus der Kanzlei entlassen, aber die Uebrigen waren bis
tief in die Nacht an ihr Pult gefesselt. Befehle an die Lordleutnants, an
die Behörden, Bekanntmachungen, alle Vorkehrungen zur Räumung der
Armenhäuser, die in Lazarethe umgestaltet wurden, diese und hundert andere
Dinge mußten in unsrer Kanzlei besorgt werden, und es gab so viel Rührig¬
keit drinnen wie draußen. Ein Glück für uns, daß wir so viel zu thun
hatten, zu bedauern waren nur die Leute, die nichts zu thun hatten.

Sonntag den 13. August wurde wie gewöhnlich gearbeitet. Wir hatten
früh Parade und Exerciren, und ich ging mit dem Neun-Uhr-Zuge in meiner
Uniform nach der Stadt, indem ich für den Fall, daß etwas vorkäme, meine
Büchse und glücklicherweise, wie sich später zeigte, einen Macintosh-Ueberrock


ein förmliches Drängen und Balgen nach denselben unter den Freiwilligen
statt, und unsre Leute kriegten ein paar hundert davon. Aber man hätte sich
auf den Gebrauch der Büchse ebenso gut mit einem Besenstiel einüben können,
als mit einem solchen alten Kuhfuß, und überdies gab es im ganzen Lande
keine Munition für glatte Gewehre. Eine Nationalsubscription wurde für
die Anfertigung von Büchsen in Birmingham eröffnet, die in zwei Tagen ein
paar Millionen Pfund Sterling ergab, aber wie alles Andere kam auch das
zu spät.

Ich kehre zu den Freiwilligen zurück. Vierzehn Tage zuvor hatte man
zu Dover, Brighton, Harwich und an anderen Orten Lager für Reguläre
und Milizen angelegt, und die Hauptquartiere der meisten Freiwilligenregi¬
menter wurden dem einen oder dem andern derselben attachirt, und die Frei¬
willigen selbst pflegten Tag für Tag nach ihnen zum Exerciren hinunterzu¬
gehen, wenn sie Zeit erübrigen konnten, und am Freitag erging der Befehl
zu ihrer bleibenden Einverleibung. Aber die hauptstädtischen Freiwilligen
behielt man als eine Art Reserve in London zurück, bis man sehen könne,
wo die Invasion stattfinden sollte. Wir wurden alle in Brigaden und Di¬
visionen abgetheilt. Unsre Brigade bestand aus dem 4. Regiment Royal
Surrey Miliz, dem ersten Surreyschen Verwaltungsbataillon, wie man's
nannte, in Clapham, dem 7. Surrey'schen Freiwilligenregiment in Southwark,
und unsern Leuten. Aber nur unser Bataillon und die Milizen waren an
demselben Orte einquartirt, und die ganze Brigade exercirte als solche nur
zwei oder drei Nachmittage im Bushey Park, ehe der Marsch angetreten
wurde. Unser Brigadier gehörte zu einem Linienregiment in Irland und
stieß erst an dem Morgen zu uns, wo der Befehl eintraf. Die zwei Wochen
bis zu seiner Ankunft befehligte uns der Milizoberst. Aber obwohl wir
Freiwilligen uns emsig übten und vorbereiteten, hatten die, welche gleich mir
zu Regierungskanzleien gehörten, wie ihr euch denken könnt, mehr als genug
zu thun mit Kanzleiarbeiten. Die beiden Freiwilligen eingetretenen Beamten
wurden um vier Uhr aus der Kanzlei entlassen, aber die Uebrigen waren bis
tief in die Nacht an ihr Pult gefesselt. Befehle an die Lordleutnants, an
die Behörden, Bekanntmachungen, alle Vorkehrungen zur Räumung der
Armenhäuser, die in Lazarethe umgestaltet wurden, diese und hundert andere
Dinge mußten in unsrer Kanzlei besorgt werden, und es gab so viel Rührig¬
keit drinnen wie draußen. Ein Glück für uns, daß wir so viel zu thun
hatten, zu bedauern waren nur die Leute, die nichts zu thun hatten.

Sonntag den 13. August wurde wie gewöhnlich gearbeitet. Wir hatten
früh Parade und Exerciren, und ich ging mit dem Neun-Uhr-Zuge in meiner
Uniform nach der Stadt, indem ich für den Fall, daß etwas vorkäme, meine
Büchse und glücklicherweise, wie sich später zeigte, einen Macintosh-Ueberrock


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/395>, abgerufen am 21.10.2024.