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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Vernehmen nach im Westen vorbereitet wurde. Noch schlimmer -- obwohl
ich nach dem spätern Verlauf der Dinge nicht weiß, ob es von Gewicht war
-- die Flotte war in der Fremde zerstreut: einige Schiffe, um Westindien zu
bewachen, andere, um der Seeräuberei im chinesischen Meere zu steuern, und
ein großer Theil, um unsre Colonien an der nördlichen Stillen-Meerküste
Amerika's zu beschützen, wo wir in unbegreiflicher Thorheit Besitzungen fest¬
zuhalten fortfuhren, die wir unmöglich vertheidigen konnten. Amerika war
vor vierzig Jahren nicht die große Macht, die es jetzt ist, aber für uns war
der Versuch, an seinen Küsten Gebiet zu bewahren, welches nur durch Um-
segelung des Caps Horn zu erreichen war, gerade so abgeschmackt, als wenn
Amerika den Versuch gemacht hätte, uns die Insel Man vor der Unabhän¬
gigkeit Irlands wegzunehmen. Wir sehen dieß jetzt alle deutlich, aber wir
waren damals blind.

In dieser Zeit nun, während unsere Schiffe über die ganze Welt zer¬
streut waren und unser Bischen Armee in Abtheilungen auseinandergerissen
war, geschah es, daß der geheime Tractat (sie! welcher?) veröffentlicht und
Holland und Dänemark annectirt wurden. Man sagt jetzt, daß wir den
Wirren, die über uns kamen, entgangen sein würden, wenn wir uns wenig¬
stens still verhalten hätten, bis unsre andern Verwickelungen beigelegt ge¬
wesen wären. Aber die Engländer waren stets ungestümes Volk, das ganze
Land schäumte über vor Entrüstung, und die Regierung, von der Presse auf¬
gestachelt und mit dem Strom schwimmend, erklärte den Krieg. Wir waren
früher immer aus der Patsche herausgekommen, und wir glaubten, unser
altes Glück würde uns auch dies Mal durchhelfen.

Nun gab's natürlich ein hastiges Drängen und Treiben im ganzen Lande/
Nicht gerade, daß das Aufgebot der Armeereserven viel Bewegung verursacht
hätte; denn ich denke, es waren deren nur etwa 6000, und eine gute Anzahl
waren, als die Zeit kam, nicht zu finden. Aber es wurde im ganzen Lande
mit einem fürchterlich hohen Handgelde geworben, da 50,000 Mann mehr
für die Armee bewilligt worden waren. Dann ging eine Ballot-Bill für
Vermehrung der Miliz um SS,000 Mann durch. Warum keine runde Zahl
festgesetzt wurde, weiß ich nicht, aber der Premierminister sagte, daß dieß die
genaue Quote wäre, die man brauche, um die Vertheidigung des Landes
auf einen tüchtigen Fuß zu bringen. Dann das Schiffebauen, welches begann!
Panzerschiffe, Depeschenboote, Kanonenboote, Monitors -- jede Werfte im Lande
kriegte ihren Auftrag, und sie boten zehn Schilling Tagelohn für jeden, der
eine Klammer einschlagen konnte. Wie ihr euch denken könnt, half das der
Recrutirung nicht gerade auf die Strümpfe. Ich entsinne mich ferner, daß
im Unterhause darüber gestritten wurde, ob Handwerker zur Loosung heran¬
gezogen werden sollten, da sie so sehr gebraucht würden, und ich glaube, sie


Vernehmen nach im Westen vorbereitet wurde. Noch schlimmer — obwohl
ich nach dem spätern Verlauf der Dinge nicht weiß, ob es von Gewicht war
— die Flotte war in der Fremde zerstreut: einige Schiffe, um Westindien zu
bewachen, andere, um der Seeräuberei im chinesischen Meere zu steuern, und
ein großer Theil, um unsre Colonien an der nördlichen Stillen-Meerküste
Amerika's zu beschützen, wo wir in unbegreiflicher Thorheit Besitzungen fest¬
zuhalten fortfuhren, die wir unmöglich vertheidigen konnten. Amerika war
vor vierzig Jahren nicht die große Macht, die es jetzt ist, aber für uns war
der Versuch, an seinen Küsten Gebiet zu bewahren, welches nur durch Um-
segelung des Caps Horn zu erreichen war, gerade so abgeschmackt, als wenn
Amerika den Versuch gemacht hätte, uns die Insel Man vor der Unabhän¬
gigkeit Irlands wegzunehmen. Wir sehen dieß jetzt alle deutlich, aber wir
waren damals blind.

In dieser Zeit nun, während unsere Schiffe über die ganze Welt zer¬
streut waren und unser Bischen Armee in Abtheilungen auseinandergerissen
war, geschah es, daß der geheime Tractat (sie! welcher?) veröffentlicht und
Holland und Dänemark annectirt wurden. Man sagt jetzt, daß wir den
Wirren, die über uns kamen, entgangen sein würden, wenn wir uns wenig¬
stens still verhalten hätten, bis unsre andern Verwickelungen beigelegt ge¬
wesen wären. Aber die Engländer waren stets ungestümes Volk, das ganze
Land schäumte über vor Entrüstung, und die Regierung, von der Presse auf¬
gestachelt und mit dem Strom schwimmend, erklärte den Krieg. Wir waren
früher immer aus der Patsche herausgekommen, und wir glaubten, unser
altes Glück würde uns auch dies Mal durchhelfen.

Nun gab's natürlich ein hastiges Drängen und Treiben im ganzen Lande/
Nicht gerade, daß das Aufgebot der Armeereserven viel Bewegung verursacht
hätte; denn ich denke, es waren deren nur etwa 6000, und eine gute Anzahl
waren, als die Zeit kam, nicht zu finden. Aber es wurde im ganzen Lande
mit einem fürchterlich hohen Handgelde geworben, da 50,000 Mann mehr
für die Armee bewilligt worden waren. Dann ging eine Ballot-Bill für
Vermehrung der Miliz um SS,000 Mann durch. Warum keine runde Zahl
festgesetzt wurde, weiß ich nicht, aber der Premierminister sagte, daß dieß die
genaue Quote wäre, die man brauche, um die Vertheidigung des Landes
auf einen tüchtigen Fuß zu bringen. Dann das Schiffebauen, welches begann!
Panzerschiffe, Depeschenboote, Kanonenboote, Monitors — jede Werfte im Lande
kriegte ihren Auftrag, und sie boten zehn Schilling Tagelohn für jeden, der
eine Klammer einschlagen konnte. Wie ihr euch denken könnt, half das der
Recrutirung nicht gerade auf die Strümpfe. Ich entsinne mich ferner, daß
im Unterhause darüber gestritten wurde, ob Handwerker zur Loosung heran¬
gezogen werden sollten, da sie so sehr gebraucht würden, und ich glaube, sie


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[0359] Vernehmen nach im Westen vorbereitet wurde. Noch schlimmer — obwohl ich nach dem spätern Verlauf der Dinge nicht weiß, ob es von Gewicht war — die Flotte war in der Fremde zerstreut: einige Schiffe, um Westindien zu bewachen, andere, um der Seeräuberei im chinesischen Meere zu steuern, und ein großer Theil, um unsre Colonien an der nördlichen Stillen-Meerküste Amerika's zu beschützen, wo wir in unbegreiflicher Thorheit Besitzungen fest¬ zuhalten fortfuhren, die wir unmöglich vertheidigen konnten. Amerika war vor vierzig Jahren nicht die große Macht, die es jetzt ist, aber für uns war der Versuch, an seinen Küsten Gebiet zu bewahren, welches nur durch Um- segelung des Caps Horn zu erreichen war, gerade so abgeschmackt, als wenn Amerika den Versuch gemacht hätte, uns die Insel Man vor der Unabhän¬ gigkeit Irlands wegzunehmen. Wir sehen dieß jetzt alle deutlich, aber wir waren damals blind. In dieser Zeit nun, während unsere Schiffe über die ganze Welt zer¬ streut waren und unser Bischen Armee in Abtheilungen auseinandergerissen war, geschah es, daß der geheime Tractat (sie! welcher?) veröffentlicht und Holland und Dänemark annectirt wurden. Man sagt jetzt, daß wir den Wirren, die über uns kamen, entgangen sein würden, wenn wir uns wenig¬ stens still verhalten hätten, bis unsre andern Verwickelungen beigelegt ge¬ wesen wären. Aber die Engländer waren stets ungestümes Volk, das ganze Land schäumte über vor Entrüstung, und die Regierung, von der Presse auf¬ gestachelt und mit dem Strom schwimmend, erklärte den Krieg. Wir waren früher immer aus der Patsche herausgekommen, und wir glaubten, unser altes Glück würde uns auch dies Mal durchhelfen. Nun gab's natürlich ein hastiges Drängen und Treiben im ganzen Lande/ Nicht gerade, daß das Aufgebot der Armeereserven viel Bewegung verursacht hätte; denn ich denke, es waren deren nur etwa 6000, und eine gute Anzahl waren, als die Zeit kam, nicht zu finden. Aber es wurde im ganzen Lande mit einem fürchterlich hohen Handgelde geworben, da 50,000 Mann mehr für die Armee bewilligt worden waren. Dann ging eine Ballot-Bill für Vermehrung der Miliz um SS,000 Mann durch. Warum keine runde Zahl festgesetzt wurde, weiß ich nicht, aber der Premierminister sagte, daß dieß die genaue Quote wäre, die man brauche, um die Vertheidigung des Landes auf einen tüchtigen Fuß zu bringen. Dann das Schiffebauen, welches begann! Panzerschiffe, Depeschenboote, Kanonenboote, Monitors — jede Werfte im Lande kriegte ihren Auftrag, und sie boten zehn Schilling Tagelohn für jeden, der eine Klammer einschlagen konnte. Wie ihr euch denken könnt, half das der Recrutirung nicht gerade auf die Strümpfe. Ich entsinne mich ferner, daß im Unterhause darüber gestritten wurde, ob Handwerker zur Loosung heran¬ gezogen werden sollten, da sie so sehr gebraucht würden, und ich glaube, sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/359>, abgerufen am 29.09.2024.