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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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oder auf die Flotte schicken, und selbst die Auswanderung war schon in jenen
Tagen nichts Ungewöhnliches, wenn auch nicht die regelmäßige Sitte wie
jetzt. Schullehrer wie die andern gelehrten Professionen machten ein vortreff¬
liches Geschäft. Sie lehrten allerdings nicht sehr viel, aber über das ganze
Land hin entstanden neue Schulen mit ihren vier-, fünfhundert Knaben.

Thoren, die wir waren! Wir dachten, all' dieser Reichthum und Wohlstand
wäre uns von der Vorsehung beschieden und müßte uns immer zufließen.
In unsrer Blindheit sahen wir nicht, daß wir nur eine große Werkstätte
waren, welche die aus allen Weltgegenden kommenden Dinge verarbeitete,
und daß, wenn andre Nationen aufhörten, uns ihre Rohstoffe zur Verarbei¬
tung zu senden, wir sie nicht selbst erzeugen konnten. Zwar hatten wir in
jenen Tagen den Vortheil billiger Kohlen und wohlfeilen Eisens, und hätten
wir uns gehütet, das Feuerungsmaterial zu verwüsten, so würden wir länger
damit gereicht haben. Aber schon damals waren Anzeichen da, daß Kohlen
und Eisen bald in andern Ländern billiger sein würden, während in Betreff
von Nahrungsstoffen und andern Dingen England nicht besser daran war,
als es jetzt ist. Wir waren so reich einfach, weil andere Nationen in allen
Theilen der Welt die Gewohnheit hatten, ihre Waaren uns zum Verkaufe
oder zur Verarbeitung zu senden, und wir bildeten uns ein, dies werde ewige
Dauer haben. Und die würde es vielleicht auch gehabt haben; wenn wir nur
die rechten Wege, es zu wahren, eingeschlagen hätten; aber in unsrer Thor¬
heit waren wir selbst zu sorglos, unser Wohlbefinden sicher zu stellen, und
als der Strom des Handels sich einmal abgewandt hatte, wollte er nicht
wiederkehren.

Und doch, wenn je ein Volk deutlich gewarnt war, so waren wir es.
Waren wir das größte Handelsvolk, so waren unsre Nachbarn die erste
Militärmacht in Europa. Sie trieben ebenfalls einen lebhaften Handel,
bevor ihr alberner Communismus (von dem ihr hören werdet, wenn ihr älter
seid) die Reichen zu Grunde gerichtet hatte, ohne den Armen zu nutzen; aber
ihre kriegerische Kraft war es, worauf sie sich am meisten zu Gute thaten.
Und mit Grund. Sie hatten in vergangenen Tagen die Russen und die
Oestreicher und die Preußen geschlagen und bildeten sich ein, unbesiegbar zu
sein. Sehr wohl erinnere ich mich der großen Heerschau, die Kaiser Napoleon
in Paris während der Weltausstellung abhielt, und wie stolz er dreinschaute,
als er den versammelten Königen und Fürsten seine glänzende Garde vor¬
führte. Aber drei Jahr nachher war diese Kriegsmacht, die man so lange
für die erste in Europa gehalten, schmachvoll geschlagen und die ganze Armee
kriegsgefangen. Solch eine Niederlage hatte die Weltgeschichte nie zuvor ge¬
sehen, und vor diesem Beweis der Thorheit derer, die nicht an die Möglich¬
keit einer Unterliegung glaubten, blos weil es noch nicht vorgekommen, hätten


oder auf die Flotte schicken, und selbst die Auswanderung war schon in jenen
Tagen nichts Ungewöhnliches, wenn auch nicht die regelmäßige Sitte wie
jetzt. Schullehrer wie die andern gelehrten Professionen machten ein vortreff¬
liches Geschäft. Sie lehrten allerdings nicht sehr viel, aber über das ganze
Land hin entstanden neue Schulen mit ihren vier-, fünfhundert Knaben.

Thoren, die wir waren! Wir dachten, all' dieser Reichthum und Wohlstand
wäre uns von der Vorsehung beschieden und müßte uns immer zufließen.
In unsrer Blindheit sahen wir nicht, daß wir nur eine große Werkstätte
waren, welche die aus allen Weltgegenden kommenden Dinge verarbeitete,
und daß, wenn andre Nationen aufhörten, uns ihre Rohstoffe zur Verarbei¬
tung zu senden, wir sie nicht selbst erzeugen konnten. Zwar hatten wir in
jenen Tagen den Vortheil billiger Kohlen und wohlfeilen Eisens, und hätten
wir uns gehütet, das Feuerungsmaterial zu verwüsten, so würden wir länger
damit gereicht haben. Aber schon damals waren Anzeichen da, daß Kohlen
und Eisen bald in andern Ländern billiger sein würden, während in Betreff
von Nahrungsstoffen und andern Dingen England nicht besser daran war,
als es jetzt ist. Wir waren so reich einfach, weil andere Nationen in allen
Theilen der Welt die Gewohnheit hatten, ihre Waaren uns zum Verkaufe
oder zur Verarbeitung zu senden, und wir bildeten uns ein, dies werde ewige
Dauer haben. Und die würde es vielleicht auch gehabt haben; wenn wir nur
die rechten Wege, es zu wahren, eingeschlagen hätten; aber in unsrer Thor¬
heit waren wir selbst zu sorglos, unser Wohlbefinden sicher zu stellen, und
als der Strom des Handels sich einmal abgewandt hatte, wollte er nicht
wiederkehren.

Und doch, wenn je ein Volk deutlich gewarnt war, so waren wir es.
Waren wir das größte Handelsvolk, so waren unsre Nachbarn die erste
Militärmacht in Europa. Sie trieben ebenfalls einen lebhaften Handel,
bevor ihr alberner Communismus (von dem ihr hören werdet, wenn ihr älter
seid) die Reichen zu Grunde gerichtet hatte, ohne den Armen zu nutzen; aber
ihre kriegerische Kraft war es, worauf sie sich am meisten zu Gute thaten.
Und mit Grund. Sie hatten in vergangenen Tagen die Russen und die
Oestreicher und die Preußen geschlagen und bildeten sich ein, unbesiegbar zu
sein. Sehr wohl erinnere ich mich der großen Heerschau, die Kaiser Napoleon
in Paris während der Weltausstellung abhielt, und wie stolz er dreinschaute,
als er den versammelten Königen und Fürsten seine glänzende Garde vor¬
führte. Aber drei Jahr nachher war diese Kriegsmacht, die man so lange
für die erste in Europa gehalten, schmachvoll geschlagen und die ganze Armee
kriegsgefangen. Solch eine Niederlage hatte die Weltgeschichte nie zuvor ge¬
sehen, und vor diesem Beweis der Thorheit derer, die nicht an die Möglich¬
keit einer Unterliegung glaubten, blos weil es noch nicht vorgekommen, hätten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/357>, abgerufen am 29.09.2024.