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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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sich ein einigermaßen richtiges Urtheil zu verschaffen, ein ernstes Studium
verlange; daß nur Wenige sich dieser Mühe unterziehen wollen, und daß in
Folge dessen die Ansichten des Publicums hin- und herschwanken, ohne einen
festen Halt zu finden; daß einer der bis jetzt verbreiteten folgenschweren Irr¬
thümer die Meinung sei, "die theoretische Vollkommenheit eines Münzsystems
habe keine Wichtigkeit für das praktische Leben;" daß ein fernerer bei der Menge
sehr gewöhnlicher Irrthum die Annahme sei, "die Goldkrone müsse irgend
einen Mangel an sich haben, weil sie als Münze nie beliebt geworden sei," da
doch der geringste Grad von Ueberlegung hinreiche, um ausfindig zu machen,
daß die Goldkrone bei der Silberwährung und ihrem dabei nothwendiger
Weise auf- und abschwankenden Silberwerthe nicht beliebt werden konnte;
daß es endlich ein sehr verbreiteter Irrthum sei, daß man fortwährend eine
Rechnungseinheit für das Gold-Münzsystem suche, welche einen bequemen
Anschluß an das bisherige Silberthaler-System gewähren solle, -- in ähn¬
licher Weise, wie man im vorigen Jahrhunderte nach einer unveränderlichen
Werthrelation zwischen Gold und Silber forschte, -- weil man nicht einsehe,
daß ohne die schwersten Opfer kein plötzlicher Uebergang von einer Währung
in die andere Statt finden könne, daß man nothwendiger Weise eines Ueber¬
gangsstadiums bedürfe, um ohne schwere Opfer das Silber nach und nach
aus dem Umlaufe zu ziehen und Gold an seine Stelle zu bringen, daß die
Bedingungen, unter denen dieses möglich sei, vom Gange des Weltmarktes
abhängig seien, daß sie, wenn er den Curs der Edelmetalle verändere, ihm
darin folgen müssen, daß man allerdings bei Erlaß eines Münzgesetzes sofort
den Conversionscurs der bestehenden Schuldforderungen ein für alle Mal
fixiren müsse, dagegen die Umwechselung des umlaufenden Silbers in Gold
unmöglich anders beschaffen könne als zu den entweder dauernden oder sich
verändernden Bedingungen, welche der Weltmarkt gestatte, -- wenn Herr
Dr, Weibezahn diese unanfechtbaren Wahrheiten eingesehen und statt jener
Behauptung, welche nach meiner Ansicht voller Irrthümer und falscher Schlüsse
ist, aufgestellt hätte, so würde er sich einerseits ein größeres Verdienst erwor¬
ben haben, als man ihm jetzt zusprechen kann, andrerseits hätte er der
Wahrheit die Ehre gegeben; denn er kann doch unmöglich jenen Aberglauben
hinsichtlich der Unbeliebtheit der Goldkrone theilen; er muß doch zu viel
Sachkenntniß besitzen, um nicht zu wissen, warum die Krone nicht zur Gel¬
tung kam, und daß es unter denselben Verhältnissen auch einer von Engeln
geprägten Goldmünze nicht besser ergangen wäre!

Kann man aber wirklich verständiger Weise den Satz aufstellen und
vertheidigen wollen, es sei wichtiger bei der Wahl eines neuen
Münzsystems, die Leichtigkeit des Ueberganges als die Richtig¬
keit und Vollkommenheit des anzustrebenden neuen Münz-


sich ein einigermaßen richtiges Urtheil zu verschaffen, ein ernstes Studium
verlange; daß nur Wenige sich dieser Mühe unterziehen wollen, und daß in
Folge dessen die Ansichten des Publicums hin- und herschwanken, ohne einen
festen Halt zu finden; daß einer der bis jetzt verbreiteten folgenschweren Irr¬
thümer die Meinung sei, „die theoretische Vollkommenheit eines Münzsystems
habe keine Wichtigkeit für das praktische Leben;" daß ein fernerer bei der Menge
sehr gewöhnlicher Irrthum die Annahme sei, „die Goldkrone müsse irgend
einen Mangel an sich haben, weil sie als Münze nie beliebt geworden sei," da
doch der geringste Grad von Ueberlegung hinreiche, um ausfindig zu machen,
daß die Goldkrone bei der Silberwährung und ihrem dabei nothwendiger
Weise auf- und abschwankenden Silberwerthe nicht beliebt werden konnte;
daß es endlich ein sehr verbreiteter Irrthum sei, daß man fortwährend eine
Rechnungseinheit für das Gold-Münzsystem suche, welche einen bequemen
Anschluß an das bisherige Silberthaler-System gewähren solle, — in ähn¬
licher Weise, wie man im vorigen Jahrhunderte nach einer unveränderlichen
Werthrelation zwischen Gold und Silber forschte, — weil man nicht einsehe,
daß ohne die schwersten Opfer kein plötzlicher Uebergang von einer Währung
in die andere Statt finden könne, daß man nothwendiger Weise eines Ueber¬
gangsstadiums bedürfe, um ohne schwere Opfer das Silber nach und nach
aus dem Umlaufe zu ziehen und Gold an seine Stelle zu bringen, daß die
Bedingungen, unter denen dieses möglich sei, vom Gange des Weltmarktes
abhängig seien, daß sie, wenn er den Curs der Edelmetalle verändere, ihm
darin folgen müssen, daß man allerdings bei Erlaß eines Münzgesetzes sofort
den Conversionscurs der bestehenden Schuldforderungen ein für alle Mal
fixiren müsse, dagegen die Umwechselung des umlaufenden Silbers in Gold
unmöglich anders beschaffen könne als zu den entweder dauernden oder sich
verändernden Bedingungen, welche der Weltmarkt gestatte, — wenn Herr
Dr, Weibezahn diese unanfechtbaren Wahrheiten eingesehen und statt jener
Behauptung, welche nach meiner Ansicht voller Irrthümer und falscher Schlüsse
ist, aufgestellt hätte, so würde er sich einerseits ein größeres Verdienst erwor¬
ben haben, als man ihm jetzt zusprechen kann, andrerseits hätte er der
Wahrheit die Ehre gegeben; denn er kann doch unmöglich jenen Aberglauben
hinsichtlich der Unbeliebtheit der Goldkrone theilen; er muß doch zu viel
Sachkenntniß besitzen, um nicht zu wissen, warum die Krone nicht zur Gel¬
tung kam, und daß es unter denselben Verhältnissen auch einer von Engeln
geprägten Goldmünze nicht besser ergangen wäre!

Kann man aber wirklich verständiger Weise den Satz aufstellen und
vertheidigen wollen, es sei wichtiger bei der Wahl eines neuen
Münzsystems, die Leichtigkeit des Ueberganges als die Richtig¬
keit und Vollkommenheit des anzustrebenden neuen Münz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/347>, abgerufen am 21.10.2024.