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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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glaubt man etwa die Thätigkeit eines Beamtenpersonals von vier und mehr
Köpfen bei einer Arbeitszeit von sechs und mehr Stunden täglich "leiten und
überwachen" zu können, wenn man etwa eine Stunde täglich sich mit diesem
Gegenstande abgibt; oder braucht der Director der Bibliothek nicht mehr von
dieser und ihren Arbeiten zu wissen, als er in der angegebenen Zeit davon in
Erfahrung bringen kann, zumal er ohne specielle Vorbereitung zu diesem Amt,
welches seinem eigenen Bildungsgange fremd ist und fern abseits liegt, mit
demselben betraut worden ist? -- Fast scheint es so, als wenn letztere Ansicht
bei Entwerfung des Statuts maßgebend gewesen wäre; wenigstens spricht
dafür einerseits die lächerlich geringe Remuneration von 2--300 Thlr,, die
der Oberbibliothekar als solche empfängt, so wie andererseits die eben so ge¬
ringen Ansprüche, die man hierfür an ihn hinsichtlich seiner Bibliotheksthätig¬
keit stellen kann, und mit Rücksicht auf seine akademischen Verpflichtungen in
der That stellt. Was hilft irgend einem Institut ein solcher Director? Und
vollends einer Bibliothek? von deren Leiter unser Verfasser fordert und mit
Recht fordert, daß er noch mehr als der Beamte einen "offenen Blick habe
für die unaufhörliche Vervollkommnungsfähigkeit des Instituts, weil er ver¬
möge seiner Stellung in der Lage ist, denselben am fruchtbarsten in der Praxis zu
verwerthen; er muß also vorzugsweise fähig sein, diejenigen der Bibliothek ersprie߬
lichen Ausgaben theils selbst zu finden, theils anderweitig aufmerksam gemacht,
richtig zu würdigen, welche dort erst anfangen, wo dem oberflächlichen Be¬
obachter bereits alles geschehen zu sein scheint." Und selbst mit einem solchen
Leiten und Ueberwachen ist die Aufgabe des Bibliothekdirectors keineswegs er¬
schöpft; im Gegentheil, seine Hauptaufgabe nicht einmal berührt. Denn diese be¬
steht in der Vermehrung des Bücherbestandes, und soll sie in einer der Pflege
der Wissenschaft förderlichen Weise gelöst werden, so muß sie "nach einem
einheitlichen Plane unter stetiger Berücksichtigung sowohl des allgemeinen
Standpunktes der verschiedenen Wissenschaften als auch des speciell bereits
vorliegenden Bestandes und der disponiblen Mittel durchgeführt werden."
Und wenn Robert Mohl in feiner Monographie über Universitäten (Staats¬
recht , Völkerrecht und Politik Band 3. 1869) hinsichtlich dieser Aufgabe des
Bibliothekdirectors meint, daß es "dabei an Mißgriffen positiver und nega¬
tiver Art nicht fehlen könne," so müssen wir unserem Verfasser vollkommen
beipflichten, wenn er S. 11 fordert, daß es allerdings an solchen Mi߬
griffen durchaus fehlen kann und soll. Und das um so viel mehr, je fataler
solche Mißgriffe sind bei der notorisch dürftigen Dotation unserer Bibliotheken.
Welche Menge neuer Aufgaben erwachsen aber hieraus nicht für den Chef!
Wir müssen dem Verfasser beipflichten wenn er fortfährt: "daß der Bibliotheks-
director , welcher nicht nur feinem Amte durch Kenntnisse und Erfahrung ge¬
wachsen, sondern auch äußerlich in den Stand gesetzt ist, sich demselben ganz


glaubt man etwa die Thätigkeit eines Beamtenpersonals von vier und mehr
Köpfen bei einer Arbeitszeit von sechs und mehr Stunden täglich „leiten und
überwachen" zu können, wenn man etwa eine Stunde täglich sich mit diesem
Gegenstande abgibt; oder braucht der Director der Bibliothek nicht mehr von
dieser und ihren Arbeiten zu wissen, als er in der angegebenen Zeit davon in
Erfahrung bringen kann, zumal er ohne specielle Vorbereitung zu diesem Amt,
welches seinem eigenen Bildungsgange fremd ist und fern abseits liegt, mit
demselben betraut worden ist? — Fast scheint es so, als wenn letztere Ansicht
bei Entwerfung des Statuts maßgebend gewesen wäre; wenigstens spricht
dafür einerseits die lächerlich geringe Remuneration von 2—300 Thlr,, die
der Oberbibliothekar als solche empfängt, so wie andererseits die eben so ge¬
ringen Ansprüche, die man hierfür an ihn hinsichtlich seiner Bibliotheksthätig¬
keit stellen kann, und mit Rücksicht auf seine akademischen Verpflichtungen in
der That stellt. Was hilft irgend einem Institut ein solcher Director? Und
vollends einer Bibliothek? von deren Leiter unser Verfasser fordert und mit
Recht fordert, daß er noch mehr als der Beamte einen „offenen Blick habe
für die unaufhörliche Vervollkommnungsfähigkeit des Instituts, weil er ver¬
möge seiner Stellung in der Lage ist, denselben am fruchtbarsten in der Praxis zu
verwerthen; er muß also vorzugsweise fähig sein, diejenigen der Bibliothek ersprie߬
lichen Ausgaben theils selbst zu finden, theils anderweitig aufmerksam gemacht,
richtig zu würdigen, welche dort erst anfangen, wo dem oberflächlichen Be¬
obachter bereits alles geschehen zu sein scheint." Und selbst mit einem solchen
Leiten und Ueberwachen ist die Aufgabe des Bibliothekdirectors keineswegs er¬
schöpft; im Gegentheil, seine Hauptaufgabe nicht einmal berührt. Denn diese be¬
steht in der Vermehrung des Bücherbestandes, und soll sie in einer der Pflege
der Wissenschaft förderlichen Weise gelöst werden, so muß sie „nach einem
einheitlichen Plane unter stetiger Berücksichtigung sowohl des allgemeinen
Standpunktes der verschiedenen Wissenschaften als auch des speciell bereits
vorliegenden Bestandes und der disponiblen Mittel durchgeführt werden."
Und wenn Robert Mohl in feiner Monographie über Universitäten (Staats¬
recht , Völkerrecht und Politik Band 3. 1869) hinsichtlich dieser Aufgabe des
Bibliothekdirectors meint, daß es „dabei an Mißgriffen positiver und nega¬
tiver Art nicht fehlen könne," so müssen wir unserem Verfasser vollkommen
beipflichten, wenn er S. 11 fordert, daß es allerdings an solchen Mi߬
griffen durchaus fehlen kann und soll. Und das um so viel mehr, je fataler
solche Mißgriffe sind bei der notorisch dürftigen Dotation unserer Bibliotheken.
Welche Menge neuer Aufgaben erwachsen aber hieraus nicht für den Chef!
Wir müssen dem Verfasser beipflichten wenn er fortfährt: „daß der Bibliotheks-
director , welcher nicht nur feinem Amte durch Kenntnisse und Erfahrung ge¬
wachsen, sondern auch äußerlich in den Stand gesetzt ist, sich demselben ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/343>, abgerufen am 29.09.2024.