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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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turzuständen würde heute das englische System oder das Monopol einführen.
Und wir sollten unsere junge Größe durch einen so revolutionären Gewalt¬
streich entweihen? Man muß sich nur vergegenwärtigen, was es heißen will,
im deutschen Reich das englische System oder das Monopol einzuführen.
Das englische System setzt ein Verbot der inländischen Tabakscultur
voraus. Aber unsere Tabakseultur ist ein Gewerbszweig, der die wirthschaft¬
liche Grundlage ganzer Landstriche bildet, der sich als die weitaus vortheil¬
hafteste Art der Verwerthung gewisser Culturländereien in vielen Landesgegen¬
den darstellt, der, besonders in denjenigen Theilen des deutschen Westens und
Südwestens, wo Garten- und Gemüsebau nicht lohnt, das einzige Mittel bil¬
det, die Nachtheile weit vorgeschrittener Grundstückstheilung auszugleichen,
der viele Tausende fleißiger Familien anständig ernährt, und ein Erzeugnis)
liefert, dessen Brauchbarkeit für gewisse Zwecke der Tabaksfabrikation, z. B.
als Deckblatt für Cigarren, in hohem Ansehen steht. Die Einführung des
englischen Systems würde die Besitzer von 90 -- 100,000 Morgen zur Tabaks¬
eultur geeigneten und bisher dazu verwendeten Landes, welches einen Durch¬
schnittsrohertrag von ca. 51 Thlr. pro Morgen gab, zwingen, sich einer an¬
deren Cultur zuzuwenden, für welche es mindestens an Capital, an Erfahrung,
an Marktkenntniß, an Geschäftsverbindungen fehlen würde. Etwa 700,000
Centner Tabak kämen plötzlich weniger an den Markt, über die Hälfte des
deutschen Bedarfs weniger -- ein Minus, welches eine erhebliche künstliche
Vertheuerung des Tabakes zu Gunsten der anderen, Tabak bauenden Länder
unvermeidlich zur Folge haben müßte. Vernichtet würden mit ihren Anlage-
Capitalien alle jene Geschäftszweige, welche den Vertrieb des Erzeugnisses
unserer Tabakscultur im Totalpreise von nahe an ö Millionen Thalern (beim
erstmaligen Verkauf) besorgten, und vernichtet zugleich die Vortheile eines
eingebürgerten und wohlberechneten, eben auf die sorgfältig behandelten Ta¬
baksschläge sich gründenden Wirthschaftssystemes.

Und nachdem so mit einem unerhörten Gewaltstreiche ein durchaus ur¬
wüchsiger, die Bedingung des Wohlstandes ganzer Länderstriche bildender Ge¬
werbszweig vernichtet wäre, müßte, damit man der Früchte der Neuerung
sicher wäre, unsere Zollgrenze, die, entsprechend der Entwickelung unseres
Tarifes, allmälig mehr und mehr den Charakter eines Schutfwalles gegen das
freie und lebendige Herüber und Hinüber des internationalen Verkehres zu
verlieren schien, diesen Charakter auf's Neue und in schärfster Ausprägung
wieder annehmen. Unser Zoll, wenn er auch nur die Hälfte des englischen
Netto-Ertrages bringen sollte, müßte auf mindestens Is Thlr. per Ctr.
durchschnittlich gebracht werden, während die durchschnittliche Belastung
jetzt ungefähr 4 Thlr. 12 Sgr. beträgt. Mit Recht würde man aber als


turzuständen würde heute das englische System oder das Monopol einführen.
Und wir sollten unsere junge Größe durch einen so revolutionären Gewalt¬
streich entweihen? Man muß sich nur vergegenwärtigen, was es heißen will,
im deutschen Reich das englische System oder das Monopol einzuführen.
Das englische System setzt ein Verbot der inländischen Tabakscultur
voraus. Aber unsere Tabakseultur ist ein Gewerbszweig, der die wirthschaft¬
liche Grundlage ganzer Landstriche bildet, der sich als die weitaus vortheil¬
hafteste Art der Verwerthung gewisser Culturländereien in vielen Landesgegen¬
den darstellt, der, besonders in denjenigen Theilen des deutschen Westens und
Südwestens, wo Garten- und Gemüsebau nicht lohnt, das einzige Mittel bil¬
det, die Nachtheile weit vorgeschrittener Grundstückstheilung auszugleichen,
der viele Tausende fleißiger Familien anständig ernährt, und ein Erzeugnis)
liefert, dessen Brauchbarkeit für gewisse Zwecke der Tabaksfabrikation, z. B.
als Deckblatt für Cigarren, in hohem Ansehen steht. Die Einführung des
englischen Systems würde die Besitzer von 90 — 100,000 Morgen zur Tabaks¬
eultur geeigneten und bisher dazu verwendeten Landes, welches einen Durch¬
schnittsrohertrag von ca. 51 Thlr. pro Morgen gab, zwingen, sich einer an¬
deren Cultur zuzuwenden, für welche es mindestens an Capital, an Erfahrung,
an Marktkenntniß, an Geschäftsverbindungen fehlen würde. Etwa 700,000
Centner Tabak kämen plötzlich weniger an den Markt, über die Hälfte des
deutschen Bedarfs weniger — ein Minus, welches eine erhebliche künstliche
Vertheuerung des Tabakes zu Gunsten der anderen, Tabak bauenden Länder
unvermeidlich zur Folge haben müßte. Vernichtet würden mit ihren Anlage-
Capitalien alle jene Geschäftszweige, welche den Vertrieb des Erzeugnisses
unserer Tabakscultur im Totalpreise von nahe an ö Millionen Thalern (beim
erstmaligen Verkauf) besorgten, und vernichtet zugleich die Vortheile eines
eingebürgerten und wohlberechneten, eben auf die sorgfältig behandelten Ta¬
baksschläge sich gründenden Wirthschaftssystemes.

Und nachdem so mit einem unerhörten Gewaltstreiche ein durchaus ur¬
wüchsiger, die Bedingung des Wohlstandes ganzer Länderstriche bildender Ge¬
werbszweig vernichtet wäre, müßte, damit man der Früchte der Neuerung
sicher wäre, unsere Zollgrenze, die, entsprechend der Entwickelung unseres
Tarifes, allmälig mehr und mehr den Charakter eines Schutfwalles gegen das
freie und lebendige Herüber und Hinüber des internationalen Verkehres zu
verlieren schien, diesen Charakter auf's Neue und in schärfster Ausprägung
wieder annehmen. Unser Zoll, wenn er auch nur die Hälfte des englischen
Netto-Ertrages bringen sollte, müßte auf mindestens Is Thlr. per Ctr.
durchschnittlich gebracht werden, während die durchschnittliche Belastung
jetzt ungefähr 4 Thlr. 12 Sgr. beträgt. Mit Recht würde man aber als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/335>, abgerufen am 29.09.2024.