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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Schweizer für vollkommen berechtigt halte, weil wir das gräßliche Verbrechen
begangen haben, "an Macht zu gewinnen." d. h. unsern nationalen Staat
aufzurichten, ohne das "Volk von Zürich" zu fragen. Was sind all die
franzosenfreundlichen Artikel, Worte und Thaten der großen Mehrzahl der
Schweizer und ihrer öffentlichen Meinung vor und nach Sedan, gegen die
pöbelhafter Auftritte in Zürich? Friedliche Bürger, die Lehrer der Jugend,
achtbare Damen werden auf Tod und Leben angegriffen, ja das Schlimmste
ist, daß die Regierungsbehörden den Thätern unverblümt Straflosigkeit zu¬
sichern, sei es durch Erfindung des berechtigten Deutschenhasses nach dem
Recept des Kantonalraths Sulzer, sei es durch solch neue strafrechtliche
Theorien des Züricher Staatsanwalts, der an einigen Dutzenden gemeinschäd¬
licher Subjecte, die in bewaffnetem Aufruhr gegen Landfrieden und Gesetz, im
blutigen Kampf mit der bewaffneten Macht ergriffen werden, keine Schuld zu
entdecken vermag, sondern nur an den Anstiftern, die aber natürlich sein
Scharfsinn nicht zu ermitteln weiß. Wenn solche Aufrührer von der Staats¬
anwaltschaft aus der Haft entlassen werden mit einem öffentlichen Leumunds-
Zeugniß, das auf deutsch etwa heißt:


Wohl Dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele,

dann sind wir wenigstens des Beweises überhoben, daß der Deutschenhaß in
Zürich bis zu einer Gefährdung der persönlichen Ehre und Sicherheit unsrer
Landsleute gediehen ist; und das "Volk von Zürich." das sich mit dem "Volk
von Belleville" auf eine Stufe stellt, hat bis auf Weiteres für uns nur ein
pathologischesJnteresse. Dasselbe gilt von Basel und Genf,wo die Deutschen von den
Behörden selbst vor einer öffentlichen Friedensfeier verwarnt werden, weil man
zu schwach sei, sie vor dem übermächtigen Pöbel zu schützen. Die Schweiz
erntet in diesen Tagen im überreich verdienten Maße die Frucht der bösen
Saat, welche während des Krieges von einer verlogenen Presse ausgesät
wurde. Man kann aus Rüstow's Buch über den Krieg erkennen, bis zu
welchem Grade auch ruhige Fachmänner über die einfachsten Thatsachen ge¬
täuscht worden sind, die in England, Schweden und Oestreich -- von Deutsch¬
land gar nicht zu reden -- jedes Kind richtig kennt. Ja selbst ein so un¬
parteiischer Historiker wie Ireäerie als KouMmont in seiner Broschüre "I^izs eon-
skillerki dvllSvolos ein lioi KuiIIauMö", die wegen ihrer sonst überaus
klaren und unparteiischen Darstellung nicht lebhaft genug zur Lectüre
empfohlen werden kann.*) zeigt an einer ganzen Reihe von Stellen dieser
Schrift, wie ihn aus den Wochen des deutsch-französischen Kampfes vor



') (Zsnevs und L"Jo K. (Zsorg, eäiteui-, 1871.

Schweizer für vollkommen berechtigt halte, weil wir das gräßliche Verbrechen
begangen haben, „an Macht zu gewinnen." d. h. unsern nationalen Staat
aufzurichten, ohne das „Volk von Zürich" zu fragen. Was sind all die
franzosenfreundlichen Artikel, Worte und Thaten der großen Mehrzahl der
Schweizer und ihrer öffentlichen Meinung vor und nach Sedan, gegen die
pöbelhafter Auftritte in Zürich? Friedliche Bürger, die Lehrer der Jugend,
achtbare Damen werden auf Tod und Leben angegriffen, ja das Schlimmste
ist, daß die Regierungsbehörden den Thätern unverblümt Straflosigkeit zu¬
sichern, sei es durch Erfindung des berechtigten Deutschenhasses nach dem
Recept des Kantonalraths Sulzer, sei es durch solch neue strafrechtliche
Theorien des Züricher Staatsanwalts, der an einigen Dutzenden gemeinschäd¬
licher Subjecte, die in bewaffnetem Aufruhr gegen Landfrieden und Gesetz, im
blutigen Kampf mit der bewaffneten Macht ergriffen werden, keine Schuld zu
entdecken vermag, sondern nur an den Anstiftern, die aber natürlich sein
Scharfsinn nicht zu ermitteln weiß. Wenn solche Aufrührer von der Staats¬
anwaltschaft aus der Haft entlassen werden mit einem öffentlichen Leumunds-
Zeugniß, das auf deutsch etwa heißt:


Wohl Dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele,

dann sind wir wenigstens des Beweises überhoben, daß der Deutschenhaß in
Zürich bis zu einer Gefährdung der persönlichen Ehre und Sicherheit unsrer
Landsleute gediehen ist; und das „Volk von Zürich." das sich mit dem „Volk
von Belleville" auf eine Stufe stellt, hat bis auf Weiteres für uns nur ein
pathologischesJnteresse. Dasselbe gilt von Basel und Genf,wo die Deutschen von den
Behörden selbst vor einer öffentlichen Friedensfeier verwarnt werden, weil man
zu schwach sei, sie vor dem übermächtigen Pöbel zu schützen. Die Schweiz
erntet in diesen Tagen im überreich verdienten Maße die Frucht der bösen
Saat, welche während des Krieges von einer verlogenen Presse ausgesät
wurde. Man kann aus Rüstow's Buch über den Krieg erkennen, bis zu
welchem Grade auch ruhige Fachmänner über die einfachsten Thatsachen ge¬
täuscht worden sind, die in England, Schweden und Oestreich — von Deutsch¬
land gar nicht zu reden — jedes Kind richtig kennt. Ja selbst ein so un¬
parteiischer Historiker wie Ireäerie als KouMmont in seiner Broschüre „I^izs eon-
skillerki dvllSvolos ein lioi KuiIIauMö", die wegen ihrer sonst überaus
klaren und unparteiischen Darstellung nicht lebhaft genug zur Lectüre
empfohlen werden kann.*) zeigt an einer ganzen Reihe von Stellen dieser
Schrift, wie ihn aus den Wochen des deutsch-französischen Kampfes vor



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/28>, abgerufen am 28.12.2024.