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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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große Zeitung!" Da soll die Kreuzzeitung zu exclusiv sein, die
norddeutsche Allgemeine zu barsch, die Nationalzeitung zu mohn¬
getränkt, die Vossische zu annoncenreich, die Sven ersehe zu abgeblaßt, die
Volkszeitung zu freskenhaft, die Post zu chamäleonsartig, der Staats¬
bürger zu rabulistisch und Börsenzeitmng wie Börseneourier zu sehr
mit jenem Geldparfum behaftet, von dem nur ein römischer Schnup senkranker
sein " non viel," behaupten und auf die Nachwelt bringen konnte.

Und in der That fehlt es in Berlin an Organen der öffentlichen Mei¬
nung nach großem Schnitt, wie Wien deren mehrere hervorgebracht und wie
der preußische Staat sie nur in Köln, fast einem Grenzorte, sein eigen zu
nennen vermag. Allgemein ist die Klage über die Unzulänglichkeit der Berliner
Presse, der es doch, weiß Gott, nicht an Talenten und geistigen Hülfsmitteln
mangelt, bei deren Besitzern aber ein Geist jener Sparsamkeit noch heute vor¬
zuwalten scheint, die mit Knauserei mindestens Geschwisterkind ist.

Mit Ausnahme der Kreuzzeitung, die von ihrem Standpunkte aus vor¬
trefflich redigirt ist, und der Nordd. Allg. Zeitung, die wegen ihrer Beziehungen
zum Reichskanzler und durch die geistvolle Feder ihres Chefredacteurs stets
eines großen Leserkreises sicher ist, fehlt den übrigen Journalen überall der
gewaltige Ruck und Zug, der einem solchen Unternehmen erst lebensvolles
Pulsiren verleiht, und wenn wir Berliner Blätter selbst nur mit den Bres-
lauer Zeitungen, also mit Provinzorganen, vergleichen, so wird jeder Unbe¬
fangene eingestehen, daß in den Letzteren zwanzigmal mehr Leben und Be¬
wegung, geistige Regsamkeit und literarische Mannigfaltigkeit steckt, als in
der gesammten Presse der neuen Reichshauptstadt.

Die Nationalzeitung -- sagt der Berliner -- erstickt gewissermaßen in
ihrem eigenen Fette. Mehr als zwölf Redacteure, meist erbeingesessen in
ihren Redactionsstühlen, arbeiten rüstig mit Scheere und Rothstift, um alles
Originale für den Premier-Berlin übrig zu lassen, der deshalb sehr häufig
von einer Alles umschlingenden Länge und dadurch von wenig Auserwählten
nur gelesen wird. Aehnlich ergeht es der Vossischen Zeitung, die noch dazu
an ihrem Formate krankt, das allein hinreicht, sie jeglichen Einflusses außer¬
halb des Berliner Weichbildes zu berauben. Freilich geht man ernstlich mit
der Absicht um, mit Beginn des Winters hier eine großartige Reform ein¬
treten zu lassen. Die Vossische will zum October ihren kleinen Käsig sprengen
und sich einen eleganteren Behälter anschaffen, der ihr ein würdigeres und
weltbedeutenderes Ansehen geben soll. Aber die Aenderung des Formats,
selbst eine Verbesserung des grauen Löschpapiers mit inbegriffen, thuts nicht
allein. Und doch bleibt eine derartige Umwandlung ein sehr gewagtes Stück;
denn als vor Jahren "Onkel Spener", der jetzt fast schon zu seinen Vätern
versammelte Zwillingsbruder "der Tante", die gleiche kühne Reform an sich


große Zeitung!" Da soll die Kreuzzeitung zu exclusiv sein, die
norddeutsche Allgemeine zu barsch, die Nationalzeitung zu mohn¬
getränkt, die Vossische zu annoncenreich, die Sven ersehe zu abgeblaßt, die
Volkszeitung zu freskenhaft, die Post zu chamäleonsartig, der Staats¬
bürger zu rabulistisch und Börsenzeitmng wie Börseneourier zu sehr
mit jenem Geldparfum behaftet, von dem nur ein römischer Schnup senkranker
sein „ non viel," behaupten und auf die Nachwelt bringen konnte.

Und in der That fehlt es in Berlin an Organen der öffentlichen Mei¬
nung nach großem Schnitt, wie Wien deren mehrere hervorgebracht und wie
der preußische Staat sie nur in Köln, fast einem Grenzorte, sein eigen zu
nennen vermag. Allgemein ist die Klage über die Unzulänglichkeit der Berliner
Presse, der es doch, weiß Gott, nicht an Talenten und geistigen Hülfsmitteln
mangelt, bei deren Besitzern aber ein Geist jener Sparsamkeit noch heute vor¬
zuwalten scheint, die mit Knauserei mindestens Geschwisterkind ist.

Mit Ausnahme der Kreuzzeitung, die von ihrem Standpunkte aus vor¬
trefflich redigirt ist, und der Nordd. Allg. Zeitung, die wegen ihrer Beziehungen
zum Reichskanzler und durch die geistvolle Feder ihres Chefredacteurs stets
eines großen Leserkreises sicher ist, fehlt den übrigen Journalen überall der
gewaltige Ruck und Zug, der einem solchen Unternehmen erst lebensvolles
Pulsiren verleiht, und wenn wir Berliner Blätter selbst nur mit den Bres-
lauer Zeitungen, also mit Provinzorganen, vergleichen, so wird jeder Unbe¬
fangene eingestehen, daß in den Letzteren zwanzigmal mehr Leben und Be¬
wegung, geistige Regsamkeit und literarische Mannigfaltigkeit steckt, als in
der gesammten Presse der neuen Reichshauptstadt.

Die Nationalzeitung — sagt der Berliner — erstickt gewissermaßen in
ihrem eigenen Fette. Mehr als zwölf Redacteure, meist erbeingesessen in
ihren Redactionsstühlen, arbeiten rüstig mit Scheere und Rothstift, um alles
Originale für den Premier-Berlin übrig zu lassen, der deshalb sehr häufig
von einer Alles umschlingenden Länge und dadurch von wenig Auserwählten
nur gelesen wird. Aehnlich ergeht es der Vossischen Zeitung, die noch dazu
an ihrem Formate krankt, das allein hinreicht, sie jeglichen Einflusses außer¬
halb des Berliner Weichbildes zu berauben. Freilich geht man ernstlich mit
der Absicht um, mit Beginn des Winters hier eine großartige Reform ein¬
treten zu lassen. Die Vossische will zum October ihren kleinen Käsig sprengen
und sich einen eleganteren Behälter anschaffen, der ihr ein würdigeres und
weltbedeutenderes Ansehen geben soll. Aber die Aenderung des Formats,
selbst eine Verbesserung des grauen Löschpapiers mit inbegriffen, thuts nicht
allein. Und doch bleibt eine derartige Umwandlung ein sehr gewagtes Stück;
denn als vor Jahren „Onkel Spener", der jetzt fast schon zu seinen Vätern
versammelte Zwillingsbruder „der Tante", die gleiche kühne Reform an sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/270>, abgerufen am 28.09.2024.