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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Schuster, Pferdeknechte oder Schmiede, ja sogar Wirthe; so daß oft in dem¬
selben Raume Branntwein geschenkt, die Familie versorgt und Schule gehalten
wird." -- Man wende nicht ein, daß diese Nachrichten schon alt sind -- die
Lage hat sich seitdem nicht gebessert. Im Jahre 1861 fertigte Charles Robert,
damaliger Generalfecretär im Unterrichtsministerium, eine ähnliche Zusammen¬
stellung, nur mit dem Unterschiede, daß die Lehrer selbst den Stoff lieferten.
Danach ist der Lehrer in Frankreich auf vielen Stellen noch jetzt dem Bedien¬
ten, selbst dem Bettler gleich, und wird vom gewöhnlichsten Arbeiter verachtet
oder bemitleidet. Jeder Tagelöhner verdient mehr als er, ja er steht weit
unter dem Gemeindehirten; das Elend, in dem er schmachtet, ist furchtbar.
Aus diesen wenigen thatsächlichen Angaben, denen noch viele weitere hinzuge¬
fügt werden könnten, ist hinreichend zu ersehen, daß wir guten Grund haben,
den erheblich besseren Zustand des Schulwesens im Elsaß dem dortigen deut¬
schen Volksstamm und dem Einfluß des Protestantismus zum Verdienst an¬
zurechnen. Daß auch der letztere erheblich mitwirkt, beweist folgende statistische
Ermittlung: Im Jahre 1867 konnten in vielen Gegenden Frankreichs 67°/,,
der Bräutigame und 98°/<> der Bräute ihren Namen nicht unterschreiben, im
Deo. des Niederrheins, wo ^/z der Bewohner Protestanten sind, unterschrieben
alle bis auf 2,23°/<>, im benachbarten Dey. des Oberrheins, wo nicht der
zehnte Theil der Bewohner protestantisch ist, konnten dagegen 6,22^, also
fast drei mal mehr, ihren Namen nicht schreiben.

Bei alledem muß und wird die deutsche Herrschaft, wie in der ganzen
Provinz, so auch im Unterelsaß, noch viele und wichtige Verbesserungen ein¬
führen. Vor allem ist der Schulzwang einzuführen, ein Zwang, dessen
Endziel die Freiheit, die Freiheit des Geistes ist. Zugleich ist für alle Volks¬
schulen das Verbot nicht nur des Unterrichts vermittelst, sondern auch in
der französischen Sprache zu erlassen. An dieser Stelle, wo es sich um
die Erlangung der einfachsten Kenntnisse und Fertigkeiten handelt, welche erst
weiter zur Erwerbung von bescheidenem Wissen, das in dem deutschen Schrift-
thum hinreichend niedergelegt ist, dienen sollen, kann das Erlernen einer zwei¬
ten Sprache, und sei es auch die allergeistvollste, nur störend und verwirrend
wirken. Ausnahmen von dieser Maßregel dürfen nur in den wirklich reinsranzvsi-
schen Gemeinden gemacht werden, also in Metz und dessen nächster Umgebung, so¬
wie im größten Theil des westlichen Grenzstrichs von Deutschlothringen,
nicht aber in den welschen Dörfern im Wasgenwalde; denn dort wird
nicht französisch, sondern nur ein Patois gesprochen, den Franzosen
ebenso unverständlich wie dem Deutschen. Unter ihnen befinden sich
auch protestantische Gemeinden, welche sich nicht als Franzosen fühlen,
die sie alle für Katholiken halten, sondern weit mehr zu den Deutschen hin-


Grenzvoten i. 1871. 95

Schuster, Pferdeknechte oder Schmiede, ja sogar Wirthe; so daß oft in dem¬
selben Raume Branntwein geschenkt, die Familie versorgt und Schule gehalten
wird." — Man wende nicht ein, daß diese Nachrichten schon alt sind — die
Lage hat sich seitdem nicht gebessert. Im Jahre 1861 fertigte Charles Robert,
damaliger Generalfecretär im Unterrichtsministerium, eine ähnliche Zusammen¬
stellung, nur mit dem Unterschiede, daß die Lehrer selbst den Stoff lieferten.
Danach ist der Lehrer in Frankreich auf vielen Stellen noch jetzt dem Bedien¬
ten, selbst dem Bettler gleich, und wird vom gewöhnlichsten Arbeiter verachtet
oder bemitleidet. Jeder Tagelöhner verdient mehr als er, ja er steht weit
unter dem Gemeindehirten; das Elend, in dem er schmachtet, ist furchtbar.
Aus diesen wenigen thatsächlichen Angaben, denen noch viele weitere hinzuge¬
fügt werden könnten, ist hinreichend zu ersehen, daß wir guten Grund haben,
den erheblich besseren Zustand des Schulwesens im Elsaß dem dortigen deut¬
schen Volksstamm und dem Einfluß des Protestantismus zum Verdienst an¬
zurechnen. Daß auch der letztere erheblich mitwirkt, beweist folgende statistische
Ermittlung: Im Jahre 1867 konnten in vielen Gegenden Frankreichs 67°/,,
der Bräutigame und 98°/<> der Bräute ihren Namen nicht unterschreiben, im
Deo. des Niederrheins, wo ^/z der Bewohner Protestanten sind, unterschrieben
alle bis auf 2,23°/<>, im benachbarten Dey. des Oberrheins, wo nicht der
zehnte Theil der Bewohner protestantisch ist, konnten dagegen 6,22^, also
fast drei mal mehr, ihren Namen nicht schreiben.

Bei alledem muß und wird die deutsche Herrschaft, wie in der ganzen
Provinz, so auch im Unterelsaß, noch viele und wichtige Verbesserungen ein¬
führen. Vor allem ist der Schulzwang einzuführen, ein Zwang, dessen
Endziel die Freiheit, die Freiheit des Geistes ist. Zugleich ist für alle Volks¬
schulen das Verbot nicht nur des Unterrichts vermittelst, sondern auch in
der französischen Sprache zu erlassen. An dieser Stelle, wo es sich um
die Erlangung der einfachsten Kenntnisse und Fertigkeiten handelt, welche erst
weiter zur Erwerbung von bescheidenem Wissen, das in dem deutschen Schrift-
thum hinreichend niedergelegt ist, dienen sollen, kann das Erlernen einer zwei¬
ten Sprache, und sei es auch die allergeistvollste, nur störend und verwirrend
wirken. Ausnahmen von dieser Maßregel dürfen nur in den wirklich reinsranzvsi-
schen Gemeinden gemacht werden, also in Metz und dessen nächster Umgebung, so¬
wie im größten Theil des westlichen Grenzstrichs von Deutschlothringen,
nicht aber in den welschen Dörfern im Wasgenwalde; denn dort wird
nicht französisch, sondern nur ein Patois gesprochen, den Franzosen
ebenso unverständlich wie dem Deutschen. Unter ihnen befinden sich
auch protestantische Gemeinden, welche sich nicht als Franzosen fühlen,
die sie alle für Katholiken halten, sondern weit mehr zu den Deutschen hin-


Grenzvoten i. 1871. 95
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[0233] Schuster, Pferdeknechte oder Schmiede, ja sogar Wirthe; so daß oft in dem¬ selben Raume Branntwein geschenkt, die Familie versorgt und Schule gehalten wird." — Man wende nicht ein, daß diese Nachrichten schon alt sind — die Lage hat sich seitdem nicht gebessert. Im Jahre 1861 fertigte Charles Robert, damaliger Generalfecretär im Unterrichtsministerium, eine ähnliche Zusammen¬ stellung, nur mit dem Unterschiede, daß die Lehrer selbst den Stoff lieferten. Danach ist der Lehrer in Frankreich auf vielen Stellen noch jetzt dem Bedien¬ ten, selbst dem Bettler gleich, und wird vom gewöhnlichsten Arbeiter verachtet oder bemitleidet. Jeder Tagelöhner verdient mehr als er, ja er steht weit unter dem Gemeindehirten; das Elend, in dem er schmachtet, ist furchtbar. Aus diesen wenigen thatsächlichen Angaben, denen noch viele weitere hinzuge¬ fügt werden könnten, ist hinreichend zu ersehen, daß wir guten Grund haben, den erheblich besseren Zustand des Schulwesens im Elsaß dem dortigen deut¬ schen Volksstamm und dem Einfluß des Protestantismus zum Verdienst an¬ zurechnen. Daß auch der letztere erheblich mitwirkt, beweist folgende statistische Ermittlung: Im Jahre 1867 konnten in vielen Gegenden Frankreichs 67°/,, der Bräutigame und 98°/<> der Bräute ihren Namen nicht unterschreiben, im Deo. des Niederrheins, wo ^/z der Bewohner Protestanten sind, unterschrieben alle bis auf 2,23°/<>, im benachbarten Dey. des Oberrheins, wo nicht der zehnte Theil der Bewohner protestantisch ist, konnten dagegen 6,22^, also fast drei mal mehr, ihren Namen nicht schreiben. Bei alledem muß und wird die deutsche Herrschaft, wie in der ganzen Provinz, so auch im Unterelsaß, noch viele und wichtige Verbesserungen ein¬ führen. Vor allem ist der Schulzwang einzuführen, ein Zwang, dessen Endziel die Freiheit, die Freiheit des Geistes ist. Zugleich ist für alle Volks¬ schulen das Verbot nicht nur des Unterrichts vermittelst, sondern auch in der französischen Sprache zu erlassen. An dieser Stelle, wo es sich um die Erlangung der einfachsten Kenntnisse und Fertigkeiten handelt, welche erst weiter zur Erwerbung von bescheidenem Wissen, das in dem deutschen Schrift- thum hinreichend niedergelegt ist, dienen sollen, kann das Erlernen einer zwei¬ ten Sprache, und sei es auch die allergeistvollste, nur störend und verwirrend wirken. Ausnahmen von dieser Maßregel dürfen nur in den wirklich reinsranzvsi- schen Gemeinden gemacht werden, also in Metz und dessen nächster Umgebung, so¬ wie im größten Theil des westlichen Grenzstrichs von Deutschlothringen, nicht aber in den welschen Dörfern im Wasgenwalde; denn dort wird nicht französisch, sondern nur ein Patois gesprochen, den Franzosen ebenso unverständlich wie dem Deutschen. Unter ihnen befinden sich auch protestantische Gemeinden, welche sich nicht als Franzosen fühlen, die sie alle für Katholiken halten, sondern weit mehr zu den Deutschen hin- Grenzvoten i. 1871. 95

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/233>, abgerufen am 29.09.2024.