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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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mehrerer Römerstraßen. Innerhalb des römischen ^.rMutoratus, das seit
dem 4. Jahrhundert auch ^rgentina heißt, entsteht das alamannische Ltrs-W-
burg'um und wird mit Recht auch vom Dichter gedeutet als "die starke Burg
am Rhein, die Burg, die an der Straßen des falschen Frankreichs liegt."
Die Merowinger bringen sie unter fränkische Hoheit. Unter den Karolingern
lag sie inmitten des großen Reiches, dessen Theilungen sie dem deutschen
Kaiserreiche einverleibten. Bis in das 7. Jahrhundert hinauf läßt sich das
Bisthum verfolgen. Wie Basel für den Sundgau, so wurde Straßburg der
Mittelpunkt für den Nordgau und seine Bischöfe standen fest zu den Kaisern,
für die sie gern das Schwert um den Chorrock gürteten und ihre Treue
durch Erweiterung ihrer weltlichen Macht belohnt sahen. Die Ottonen ver¬
liehen ihnen die Herrschaft über die Stadt; seitdem besetzten die Bischöfe die öffent¬
lichen Aemter durch ihre Ministerialen und betrachteten die gesammte Bürger¬
schaft als dienstpflichtig. Die günstige Lage an einer Hauptverkehrsstraße
mehrte rasch die Bevökerung und der Handel machte dieselbe reich, da der
Rhein die Stadt näher berührte als jetzt und die Ill ein vorzügliches Ver¬
kehrsmittel bot. Den Verhältnissen der wachsenden Stadt war die Verwal¬
tung der geistlichen Herren nicht mehr angemessen; es begann die innere Ent¬
wickelung des reichsstädtischen Gemeinwesens, ohne daß es der Herrlichkeit der
deutschen Kaisermacht je beigekommen wäre, fördernd oder hemmend dabei einzu¬
greifen. Im Anfange des 13. Jahrhunderts entstand unabhängig vom Bischof
ein besonderer Stadtrath (consilium) von 12 Mitgliedern, von denen 2 als
Städtemeister (wagistri burMnsiuw) fungirten; ihre Zahl wuchs erst auf
20, dann auf 42, am Ende des Mittelalters waren es 32, zu denen 4 Städte¬
meister hinzukamen. Jurisdiction und Verwaltung lag in den Händen
dieses Rathes; die neben ihm stehenden Schöffen sind mehr Repräsentanten
der Bürgergemeinde. Aber nur der in der Stadt verburgrechtete und ansäßige
Adel trat in die Aemter, obschon sich neben ihm ein ansehnlicher Bürger¬
stand in den Kaufleuten und eine nicht zu verachtende Macht in den Hand¬
werkerverbrüderungen, deren Straßburg 26 zählte, gebildet hatte. Aus dieser
Stellung der Parteien gingen die inneren Kämpfe hervor, die um so leiden¬
schaftlicher wurden, je mehr der Geschlechter selbst unter sich uneins waren
und damit auch die übrigen Stände spalteten. Der Bürgerkrieg blieb ihnen
in wiederholten schweren Kämpfen nicht erspart. Die Zünfte gingen siegreich
daraus hervor. Das Haupt der Handwerker trat als Ammanmeister aus
Lebenszeit neben die Städtemeister, die Wahl der Rathmänner aus allen ehr¬
baren Bürgern wurde erlangt und damit der Anmaßung der Geschlechter für
immer ein Ziel gesetzt: Die neu erworbenen Rechte wurden mit dem sogenannten
Schwörbrief verbrieft und alljährlich von der Bürgerschaft unter freiem
Himmel vor dem Münster feierlich beschworen. Denn auch dieses war bis


mehrerer Römerstraßen. Innerhalb des römischen ^.rMutoratus, das seit
dem 4. Jahrhundert auch ^rgentina heißt, entsteht das alamannische Ltrs-W-
burg'um und wird mit Recht auch vom Dichter gedeutet als „die starke Burg
am Rhein, die Burg, die an der Straßen des falschen Frankreichs liegt."
Die Merowinger bringen sie unter fränkische Hoheit. Unter den Karolingern
lag sie inmitten des großen Reiches, dessen Theilungen sie dem deutschen
Kaiserreiche einverleibten. Bis in das 7. Jahrhundert hinauf läßt sich das
Bisthum verfolgen. Wie Basel für den Sundgau, so wurde Straßburg der
Mittelpunkt für den Nordgau und seine Bischöfe standen fest zu den Kaisern,
für die sie gern das Schwert um den Chorrock gürteten und ihre Treue
durch Erweiterung ihrer weltlichen Macht belohnt sahen. Die Ottonen ver¬
liehen ihnen die Herrschaft über die Stadt; seitdem besetzten die Bischöfe die öffent¬
lichen Aemter durch ihre Ministerialen und betrachteten die gesammte Bürger¬
schaft als dienstpflichtig. Die günstige Lage an einer Hauptverkehrsstraße
mehrte rasch die Bevökerung und der Handel machte dieselbe reich, da der
Rhein die Stadt näher berührte als jetzt und die Ill ein vorzügliches Ver¬
kehrsmittel bot. Den Verhältnissen der wachsenden Stadt war die Verwal¬
tung der geistlichen Herren nicht mehr angemessen; es begann die innere Ent¬
wickelung des reichsstädtischen Gemeinwesens, ohne daß es der Herrlichkeit der
deutschen Kaisermacht je beigekommen wäre, fördernd oder hemmend dabei einzu¬
greifen. Im Anfange des 13. Jahrhunderts entstand unabhängig vom Bischof
ein besonderer Stadtrath (consilium) von 12 Mitgliedern, von denen 2 als
Städtemeister (wagistri burMnsiuw) fungirten; ihre Zahl wuchs erst auf
20, dann auf 42, am Ende des Mittelalters waren es 32, zu denen 4 Städte¬
meister hinzukamen. Jurisdiction und Verwaltung lag in den Händen
dieses Rathes; die neben ihm stehenden Schöffen sind mehr Repräsentanten
der Bürgergemeinde. Aber nur der in der Stadt verburgrechtete und ansäßige
Adel trat in die Aemter, obschon sich neben ihm ein ansehnlicher Bürger¬
stand in den Kaufleuten und eine nicht zu verachtende Macht in den Hand¬
werkerverbrüderungen, deren Straßburg 26 zählte, gebildet hatte. Aus dieser
Stellung der Parteien gingen die inneren Kämpfe hervor, die um so leiden¬
schaftlicher wurden, je mehr der Geschlechter selbst unter sich uneins waren
und damit auch die übrigen Stände spalteten. Der Bürgerkrieg blieb ihnen
in wiederholten schweren Kämpfen nicht erspart. Die Zünfte gingen siegreich
daraus hervor. Das Haupt der Handwerker trat als Ammanmeister aus
Lebenszeit neben die Städtemeister, die Wahl der Rathmänner aus allen ehr¬
baren Bürgern wurde erlangt und damit der Anmaßung der Geschlechter für
immer ein Ziel gesetzt: Die neu erworbenen Rechte wurden mit dem sogenannten
Schwörbrief verbrieft und alljährlich von der Bürgerschaft unter freiem
Himmel vor dem Münster feierlich beschworen. Denn auch dieses war bis


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[0210] mehrerer Römerstraßen. Innerhalb des römischen ^.rMutoratus, das seit dem 4. Jahrhundert auch ^rgentina heißt, entsteht das alamannische Ltrs-W- burg'um und wird mit Recht auch vom Dichter gedeutet als „die starke Burg am Rhein, die Burg, die an der Straßen des falschen Frankreichs liegt." Die Merowinger bringen sie unter fränkische Hoheit. Unter den Karolingern lag sie inmitten des großen Reiches, dessen Theilungen sie dem deutschen Kaiserreiche einverleibten. Bis in das 7. Jahrhundert hinauf läßt sich das Bisthum verfolgen. Wie Basel für den Sundgau, so wurde Straßburg der Mittelpunkt für den Nordgau und seine Bischöfe standen fest zu den Kaisern, für die sie gern das Schwert um den Chorrock gürteten und ihre Treue durch Erweiterung ihrer weltlichen Macht belohnt sahen. Die Ottonen ver¬ liehen ihnen die Herrschaft über die Stadt; seitdem besetzten die Bischöfe die öffent¬ lichen Aemter durch ihre Ministerialen und betrachteten die gesammte Bürger¬ schaft als dienstpflichtig. Die günstige Lage an einer Hauptverkehrsstraße mehrte rasch die Bevökerung und der Handel machte dieselbe reich, da der Rhein die Stadt näher berührte als jetzt und die Ill ein vorzügliches Ver¬ kehrsmittel bot. Den Verhältnissen der wachsenden Stadt war die Verwal¬ tung der geistlichen Herren nicht mehr angemessen; es begann die innere Ent¬ wickelung des reichsstädtischen Gemeinwesens, ohne daß es der Herrlichkeit der deutschen Kaisermacht je beigekommen wäre, fördernd oder hemmend dabei einzu¬ greifen. Im Anfange des 13. Jahrhunderts entstand unabhängig vom Bischof ein besonderer Stadtrath (consilium) von 12 Mitgliedern, von denen 2 als Städtemeister (wagistri burMnsiuw) fungirten; ihre Zahl wuchs erst auf 20, dann auf 42, am Ende des Mittelalters waren es 32, zu denen 4 Städte¬ meister hinzukamen. Jurisdiction und Verwaltung lag in den Händen dieses Rathes; die neben ihm stehenden Schöffen sind mehr Repräsentanten der Bürgergemeinde. Aber nur der in der Stadt verburgrechtete und ansäßige Adel trat in die Aemter, obschon sich neben ihm ein ansehnlicher Bürger¬ stand in den Kaufleuten und eine nicht zu verachtende Macht in den Hand¬ werkerverbrüderungen, deren Straßburg 26 zählte, gebildet hatte. Aus dieser Stellung der Parteien gingen die inneren Kämpfe hervor, die um so leiden¬ schaftlicher wurden, je mehr der Geschlechter selbst unter sich uneins waren und damit auch die übrigen Stände spalteten. Der Bürgerkrieg blieb ihnen in wiederholten schweren Kämpfen nicht erspart. Die Zünfte gingen siegreich daraus hervor. Das Haupt der Handwerker trat als Ammanmeister aus Lebenszeit neben die Städtemeister, die Wahl der Rathmänner aus allen ehr¬ baren Bürgern wurde erlangt und damit der Anmaßung der Geschlechter für immer ein Ziel gesetzt: Die neu erworbenen Rechte wurden mit dem sogenannten Schwörbrief verbrieft und alljährlich von der Bürgerschaft unter freiem Himmel vor dem Münster feierlich beschworen. Denn auch dieses war bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/210>, abgerufen am 21.10.2024.