Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eingebildete Selbstgefühl des regierenden Standes, d. h. der höchsten Beamten¬
kreise in Civil und Militär, zu welchen der dem Hof besonders nahestehende
Landesadel trat; 3) der Ultramontanismus, nicht selten auch die protestantische
Orthodoxie; 4) die Demokratie.

Es ist unschwer zu erkennen, daß Demokratie und Mtramontanismus als
antinationale und antistaatliche Richtungen an den kleinen sogenannten Staaten
nichts liebten, als die in ihnen verbürgte Negation des wirklichen deutschen
Staates. Jede von diesen beiden Richtungen arbeitete darauf hin, daß auf
dem deutschen Boden der Staat nie zu Stande komme. Die Zerreißung des
deutschen Volkes in pseudostaatliche Bildungen ist das glücklich gelungene
Werk des Ultramontanismus im Mittelalter gewesen. Die Demokratie hat
dasselbe Interesse, weil ihre Phantastereien nur gegenüber ohnmächtigen und
unnatürlichen Staatsbildungen einen scheinbaren Boden gewinnen können.

Nun haben wir in Deutschland seit den fünfziger Jahren die ungeheuer¬
liche Erscheinung beobachten können, daß in den Mittel- und Kleinstaaten der
dynastische und büreaukratische Particularismus nicht selten mit Ultramon¬
tanismus und Demokratie sich verband, um nur des gemeinsamen Feindes,
der nationalen Partei sich zu erwehren. Die Fortsetzung dieser Bundesgenossen¬
schaft hätte aber doch nur die Folge haben können -- und zum Theil be¬
gannen die entsprechenden Wirkungen bereits sich zu zeigen -- die staatliche
Autorität in denjenigen Ländern, wo solche Bündnisse gepflegt wurden, bis
auf den letzten Rest zu untergraben. Die moralische Anarchie, welche solchen
Bündnissen auf dem Fuße folgt, hätte die betreffenden Regierungen bei der
leichtesten Erschütterung von außen zusammenbrechen lassen. Es klingt heute
noch paradox, aber in wenigen Jahren wird es klar vor Aller Augen liegen,
daß Fürst Bismarck, indem er einerseits die anarchische Selbständigkeit des
deutschen Kleinstaatenthums heilsam beschränkte, der Retter dieses Staaten-
thmns geworden ist, indem er ihm die Möglichkeit verschaffte, sich zu einem
Organ des deutschen Staatslebens in gedeihlicher Weise umzubilden.

Im Bundesrath kann nicht nur jeder dynastische Einfluß sich geltend
machen, soweit er einen berechtigten Gedanken zu vertreten so glücklich ist, im
Bundesrat!) können sich auch die verschiedenen Einsichten und localen Bedürf¬
nisse der höheren Berwaltungskreise in den deutschen Staaten zur Geltung
bringen und ausgleichen. Der Bundesrath ist der Boden, auf dem sich nach
und nach eine Solidarität der deutschen Regierungselemente, der dynastischen
sowohl wie der höheren ausführenden Kreise gegenüber den staatsfeindlichen,
theils phantastischen, theils auf realem aber undeutschem Boden wurzelnden
Richtungen herausbilden muß. Die Trennung der gesunden und lebens¬
fähigen Elemente des Particularismus von den absolut schädlichen und un¬
berechtigten Bestandtheilen einerseits, die Verschmelzung der lebensfähigen


eingebildete Selbstgefühl des regierenden Standes, d. h. der höchsten Beamten¬
kreise in Civil und Militär, zu welchen der dem Hof besonders nahestehende
Landesadel trat; 3) der Ultramontanismus, nicht selten auch die protestantische
Orthodoxie; 4) die Demokratie.

Es ist unschwer zu erkennen, daß Demokratie und Mtramontanismus als
antinationale und antistaatliche Richtungen an den kleinen sogenannten Staaten
nichts liebten, als die in ihnen verbürgte Negation des wirklichen deutschen
Staates. Jede von diesen beiden Richtungen arbeitete darauf hin, daß auf
dem deutschen Boden der Staat nie zu Stande komme. Die Zerreißung des
deutschen Volkes in pseudostaatliche Bildungen ist das glücklich gelungene
Werk des Ultramontanismus im Mittelalter gewesen. Die Demokratie hat
dasselbe Interesse, weil ihre Phantastereien nur gegenüber ohnmächtigen und
unnatürlichen Staatsbildungen einen scheinbaren Boden gewinnen können.

Nun haben wir in Deutschland seit den fünfziger Jahren die ungeheuer¬
liche Erscheinung beobachten können, daß in den Mittel- und Kleinstaaten der
dynastische und büreaukratische Particularismus nicht selten mit Ultramon¬
tanismus und Demokratie sich verband, um nur des gemeinsamen Feindes,
der nationalen Partei sich zu erwehren. Die Fortsetzung dieser Bundesgenossen¬
schaft hätte aber doch nur die Folge haben können — und zum Theil be¬
gannen die entsprechenden Wirkungen bereits sich zu zeigen — die staatliche
Autorität in denjenigen Ländern, wo solche Bündnisse gepflegt wurden, bis
auf den letzten Rest zu untergraben. Die moralische Anarchie, welche solchen
Bündnissen auf dem Fuße folgt, hätte die betreffenden Regierungen bei der
leichtesten Erschütterung von außen zusammenbrechen lassen. Es klingt heute
noch paradox, aber in wenigen Jahren wird es klar vor Aller Augen liegen,
daß Fürst Bismarck, indem er einerseits die anarchische Selbständigkeit des
deutschen Kleinstaatenthums heilsam beschränkte, der Retter dieses Staaten-
thmns geworden ist, indem er ihm die Möglichkeit verschaffte, sich zu einem
Organ des deutschen Staatslebens in gedeihlicher Weise umzubilden.

Im Bundesrath kann nicht nur jeder dynastische Einfluß sich geltend
machen, soweit er einen berechtigten Gedanken zu vertreten so glücklich ist, im
Bundesrat!) können sich auch die verschiedenen Einsichten und localen Bedürf¬
nisse der höheren Berwaltungskreise in den deutschen Staaten zur Geltung
bringen und ausgleichen. Der Bundesrath ist der Boden, auf dem sich nach
und nach eine Solidarität der deutschen Regierungselemente, der dynastischen
sowohl wie der höheren ausführenden Kreise gegenüber den staatsfeindlichen,
theils phantastischen, theils auf realem aber undeutschem Boden wurzelnden
Richtungen herausbilden muß. Die Trennung der gesunden und lebens¬
fähigen Elemente des Particularismus von den absolut schädlichen und un¬
berechtigten Bestandtheilen einerseits, die Verschmelzung der lebensfähigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125981"/>
          <p xml:id="ID_636" prev="#ID_635"> eingebildete Selbstgefühl des regierenden Standes, d. h. der höchsten Beamten¬<lb/>
kreise in Civil und Militär, zu welchen der dem Hof besonders nahestehende<lb/>
Landesadel trat; 3) der Ultramontanismus, nicht selten auch die protestantische<lb/>
Orthodoxie; 4) die Demokratie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637"> Es ist unschwer zu erkennen, daß Demokratie und Mtramontanismus als<lb/>
antinationale und antistaatliche Richtungen an den kleinen sogenannten Staaten<lb/>
nichts liebten, als die in ihnen verbürgte Negation des wirklichen deutschen<lb/>
Staates. Jede von diesen beiden Richtungen arbeitete darauf hin, daß auf<lb/>
dem deutschen Boden der Staat nie zu Stande komme. Die Zerreißung des<lb/>
deutschen Volkes in pseudostaatliche Bildungen ist das glücklich gelungene<lb/>
Werk des Ultramontanismus im Mittelalter gewesen. Die Demokratie hat<lb/>
dasselbe Interesse, weil ihre Phantastereien nur gegenüber ohnmächtigen und<lb/>
unnatürlichen Staatsbildungen einen scheinbaren Boden gewinnen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Nun haben wir in Deutschland seit den fünfziger Jahren die ungeheuer¬<lb/>
liche Erscheinung beobachten können, daß in den Mittel- und Kleinstaaten der<lb/>
dynastische und büreaukratische Particularismus nicht selten mit Ultramon¬<lb/>
tanismus und Demokratie sich verband, um nur des gemeinsamen Feindes,<lb/>
der nationalen Partei sich zu erwehren. Die Fortsetzung dieser Bundesgenossen¬<lb/>
schaft hätte aber doch nur die Folge haben können &#x2014; und zum Theil be¬<lb/>
gannen die entsprechenden Wirkungen bereits sich zu zeigen &#x2014; die staatliche<lb/>
Autorität in denjenigen Ländern, wo solche Bündnisse gepflegt wurden, bis<lb/>
auf den letzten Rest zu untergraben. Die moralische Anarchie, welche solchen<lb/>
Bündnissen auf dem Fuße folgt, hätte die betreffenden Regierungen bei der<lb/>
leichtesten Erschütterung von außen zusammenbrechen lassen. Es klingt heute<lb/>
noch paradox, aber in wenigen Jahren wird es klar vor Aller Augen liegen,<lb/>
daß Fürst Bismarck, indem er einerseits die anarchische Selbständigkeit des<lb/>
deutschen Kleinstaatenthums heilsam beschränkte, der Retter dieses Staaten-<lb/>
thmns geworden ist, indem er ihm die Möglichkeit verschaffte, sich zu einem<lb/>
Organ des deutschen Staatslebens in gedeihlicher Weise umzubilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Im Bundesrath kann nicht nur jeder dynastische Einfluß sich geltend<lb/>
machen, soweit er einen berechtigten Gedanken zu vertreten so glücklich ist, im<lb/>
Bundesrat!) können sich auch die verschiedenen Einsichten und localen Bedürf¬<lb/>
nisse der höheren Berwaltungskreise in den deutschen Staaten zur Geltung<lb/>
bringen und ausgleichen. Der Bundesrath ist der Boden, auf dem sich nach<lb/>
und nach eine Solidarität der deutschen Regierungselemente, der dynastischen<lb/>
sowohl wie der höheren ausführenden Kreise gegenüber den staatsfeindlichen,<lb/>
theils phantastischen, theils auf realem aber undeutschem Boden wurzelnden<lb/>
Richtungen herausbilden muß. Die Trennung der gesunden und lebens¬<lb/>
fähigen Elemente des Particularismus von den absolut schädlichen und un¬<lb/>
berechtigten Bestandtheilen einerseits, die Verschmelzung der lebensfähigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] eingebildete Selbstgefühl des regierenden Standes, d. h. der höchsten Beamten¬ kreise in Civil und Militär, zu welchen der dem Hof besonders nahestehende Landesadel trat; 3) der Ultramontanismus, nicht selten auch die protestantische Orthodoxie; 4) die Demokratie. Es ist unschwer zu erkennen, daß Demokratie und Mtramontanismus als antinationale und antistaatliche Richtungen an den kleinen sogenannten Staaten nichts liebten, als die in ihnen verbürgte Negation des wirklichen deutschen Staates. Jede von diesen beiden Richtungen arbeitete darauf hin, daß auf dem deutschen Boden der Staat nie zu Stande komme. Die Zerreißung des deutschen Volkes in pseudostaatliche Bildungen ist das glücklich gelungene Werk des Ultramontanismus im Mittelalter gewesen. Die Demokratie hat dasselbe Interesse, weil ihre Phantastereien nur gegenüber ohnmächtigen und unnatürlichen Staatsbildungen einen scheinbaren Boden gewinnen können. Nun haben wir in Deutschland seit den fünfziger Jahren die ungeheuer¬ liche Erscheinung beobachten können, daß in den Mittel- und Kleinstaaten der dynastische und büreaukratische Particularismus nicht selten mit Ultramon¬ tanismus und Demokratie sich verband, um nur des gemeinsamen Feindes, der nationalen Partei sich zu erwehren. Die Fortsetzung dieser Bundesgenossen¬ schaft hätte aber doch nur die Folge haben können — und zum Theil be¬ gannen die entsprechenden Wirkungen bereits sich zu zeigen — die staatliche Autorität in denjenigen Ländern, wo solche Bündnisse gepflegt wurden, bis auf den letzten Rest zu untergraben. Die moralische Anarchie, welche solchen Bündnissen auf dem Fuße folgt, hätte die betreffenden Regierungen bei der leichtesten Erschütterung von außen zusammenbrechen lassen. Es klingt heute noch paradox, aber in wenigen Jahren wird es klar vor Aller Augen liegen, daß Fürst Bismarck, indem er einerseits die anarchische Selbständigkeit des deutschen Kleinstaatenthums heilsam beschränkte, der Retter dieses Staaten- thmns geworden ist, indem er ihm die Möglichkeit verschaffte, sich zu einem Organ des deutschen Staatslebens in gedeihlicher Weise umzubilden. Im Bundesrath kann nicht nur jeder dynastische Einfluß sich geltend machen, soweit er einen berechtigten Gedanken zu vertreten so glücklich ist, im Bundesrat!) können sich auch die verschiedenen Einsichten und localen Bedürf¬ nisse der höheren Berwaltungskreise in den deutschen Staaten zur Geltung bringen und ausgleichen. Der Bundesrath ist der Boden, auf dem sich nach und nach eine Solidarität der deutschen Regierungselemente, der dynastischen sowohl wie der höheren ausführenden Kreise gegenüber den staatsfeindlichen, theils phantastischen, theils auf realem aber undeutschem Boden wurzelnden Richtungen herausbilden muß. Die Trennung der gesunden und lebens¬ fähigen Elemente des Particularismus von den absolut schädlichen und un¬ berechtigten Bestandtheilen einerseits, die Verschmelzung der lebensfähigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/199>, abgerufen am 21.10.2024.