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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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bestrebt ist, wurde von dem scharfen Gefühl des Volkes richtig als jene Halb¬
heit erkannt, die schon so viel Unheil über Baiern gebracht hat. Auch hier,
in ihrer bestvertheidigten Position verloren die Ultramontanen die Schlacht;
auch hier erhielt der liberale Candidat eine Mehrheit von 1000 Stimmen.
Leiten wir aus diesen einzelnen Ergebnissen die großen Principien ab, die auf
dem Grunde der Thatsachen verborgen liegen, so treten drei Folgerungen
unserer Wahrnehmung entgegen.

Vor allem ist die Betheiligung an den Wahlen in unerwartetem
Maße gestiegen; man darf den Zuwachs von Stimmen, der sich binnen 3
Wochen ergeben hat, auf etwa zwölf Procent berechnen.

Es stand indeß zu befürchten, daß dieser Zuwachs an Stimmen aus einer
bisher theilnahmlosen und politisch stumpfen Masse hervorgegangen sei. .Da
diese begriffsmäßig in der Herrschaft des Klerus liegt, und die Mittel der
banalen Agitation dem letzteren geläufiger sind, so lag die Vermuthung nahe,
es möchte eine Vermehrung der Stimmender nur dem Klerus zu gute kom¬
men. Auch diese Vermuthung hat sich nicht gerechtfertigt und der Umstand,
daß nicht blos ein numerischer, sondern auch ein nationaler Zuwachs in
sämmtlichen Nachwahlen zu Tage trat, ist die zweite, höchst charakteristische
Thatsache. Sie liefert den Beweis, daß nicht blos der Beginn des Krieges
und die Gründung des deutschen Reiches einen ungeheuren Umschwung der
Gesinnungen in Baiern zur Folge hatten, sondern daß hierzu als ein neuer
Factor der Ausfall der ersten Reichstagswahl hinzutritt. Zwei Dritttheile
des bairischen Volkes haben hierdurch die Neugestaltung der Dinge feierlich
angenommen, und diese Thatsache ist von tiefem Einfluß auf das letzte Drit¬
tel gewesen, das noch mit dem Herzen zögert, über die Schwelle des Reiches
zu treten.

Die dritte wichtige Erscheinung aber, die aus den Nachwahlen hervor¬
geht und die den eben behaupteten Satz am schärfsten beleuchtet, liegt darin,
daß drei derselben auf einem Gebiete stattfanden, welches bisher zu den dun¬
kelsten Theilen des Landes gezählt ward. Daß gerade hier der deutsche Ge¬
danke sich Durchbruch verschafft hat, ist ein doppelter Sieg desselben.

Von der höchsten Bedeutung für die friedliche innere Entwickelung wird
es sein, welche Stellung das Cultusministerium zu dem Conflict zwischen
Staat und Kirche einnimmt. Die Fälle, die bis jetzt in Baiern auf diesem
Gebiete hervortraten und mit lauter Stimme Entscheidung forderten, sind
keineswegs spärlich; eine principielle Erledigung derselben kann verschoben,
aber nicht umgangen werden. Und in der That hat die bairische Regierung
bei zwei Angelegenheiten einen rühmlichen Anfang gemacht, ihre Rechte gegen
die Ueberhebung der geistlichen Behörden zu vertheidigen. Der erste dieser
Fälle ist der berühmt gewordene Kirchenstreit in Mering. Da der dortige


bestrebt ist, wurde von dem scharfen Gefühl des Volkes richtig als jene Halb¬
heit erkannt, die schon so viel Unheil über Baiern gebracht hat. Auch hier,
in ihrer bestvertheidigten Position verloren die Ultramontanen die Schlacht;
auch hier erhielt der liberale Candidat eine Mehrheit von 1000 Stimmen.
Leiten wir aus diesen einzelnen Ergebnissen die großen Principien ab, die auf
dem Grunde der Thatsachen verborgen liegen, so treten drei Folgerungen
unserer Wahrnehmung entgegen.

Vor allem ist die Betheiligung an den Wahlen in unerwartetem
Maße gestiegen; man darf den Zuwachs von Stimmen, der sich binnen 3
Wochen ergeben hat, auf etwa zwölf Procent berechnen.

Es stand indeß zu befürchten, daß dieser Zuwachs an Stimmen aus einer
bisher theilnahmlosen und politisch stumpfen Masse hervorgegangen sei. .Da
diese begriffsmäßig in der Herrschaft des Klerus liegt, und die Mittel der
banalen Agitation dem letzteren geläufiger sind, so lag die Vermuthung nahe,
es möchte eine Vermehrung der Stimmender nur dem Klerus zu gute kom¬
men. Auch diese Vermuthung hat sich nicht gerechtfertigt und der Umstand,
daß nicht blos ein numerischer, sondern auch ein nationaler Zuwachs in
sämmtlichen Nachwahlen zu Tage trat, ist die zweite, höchst charakteristische
Thatsache. Sie liefert den Beweis, daß nicht blos der Beginn des Krieges
und die Gründung des deutschen Reiches einen ungeheuren Umschwung der
Gesinnungen in Baiern zur Folge hatten, sondern daß hierzu als ein neuer
Factor der Ausfall der ersten Reichstagswahl hinzutritt. Zwei Dritttheile
des bairischen Volkes haben hierdurch die Neugestaltung der Dinge feierlich
angenommen, und diese Thatsache ist von tiefem Einfluß auf das letzte Drit¬
tel gewesen, das noch mit dem Herzen zögert, über die Schwelle des Reiches
zu treten.

Die dritte wichtige Erscheinung aber, die aus den Nachwahlen hervor¬
geht und die den eben behaupteten Satz am schärfsten beleuchtet, liegt darin,
daß drei derselben auf einem Gebiete stattfanden, welches bisher zu den dun¬
kelsten Theilen des Landes gezählt ward. Daß gerade hier der deutsche Ge¬
danke sich Durchbruch verschafft hat, ist ein doppelter Sieg desselben.

Von der höchsten Bedeutung für die friedliche innere Entwickelung wird
es sein, welche Stellung das Cultusministerium zu dem Conflict zwischen
Staat und Kirche einnimmt. Die Fälle, die bis jetzt in Baiern auf diesem
Gebiete hervortraten und mit lauter Stimme Entscheidung forderten, sind
keineswegs spärlich; eine principielle Erledigung derselben kann verschoben,
aber nicht umgangen werden. Und in der That hat die bairische Regierung
bei zwei Angelegenheiten einen rühmlichen Anfang gemacht, ihre Rechte gegen
die Ueberhebung der geistlichen Behörden zu vertheidigen. Der erste dieser
Fälle ist der berühmt gewordene Kirchenstreit in Mering. Da der dortige


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[0158] bestrebt ist, wurde von dem scharfen Gefühl des Volkes richtig als jene Halb¬ heit erkannt, die schon so viel Unheil über Baiern gebracht hat. Auch hier, in ihrer bestvertheidigten Position verloren die Ultramontanen die Schlacht; auch hier erhielt der liberale Candidat eine Mehrheit von 1000 Stimmen. Leiten wir aus diesen einzelnen Ergebnissen die großen Principien ab, die auf dem Grunde der Thatsachen verborgen liegen, so treten drei Folgerungen unserer Wahrnehmung entgegen. Vor allem ist die Betheiligung an den Wahlen in unerwartetem Maße gestiegen; man darf den Zuwachs von Stimmen, der sich binnen 3 Wochen ergeben hat, auf etwa zwölf Procent berechnen. Es stand indeß zu befürchten, daß dieser Zuwachs an Stimmen aus einer bisher theilnahmlosen und politisch stumpfen Masse hervorgegangen sei. .Da diese begriffsmäßig in der Herrschaft des Klerus liegt, und die Mittel der banalen Agitation dem letzteren geläufiger sind, so lag die Vermuthung nahe, es möchte eine Vermehrung der Stimmender nur dem Klerus zu gute kom¬ men. Auch diese Vermuthung hat sich nicht gerechtfertigt und der Umstand, daß nicht blos ein numerischer, sondern auch ein nationaler Zuwachs in sämmtlichen Nachwahlen zu Tage trat, ist die zweite, höchst charakteristische Thatsache. Sie liefert den Beweis, daß nicht blos der Beginn des Krieges und die Gründung des deutschen Reiches einen ungeheuren Umschwung der Gesinnungen in Baiern zur Folge hatten, sondern daß hierzu als ein neuer Factor der Ausfall der ersten Reichstagswahl hinzutritt. Zwei Dritttheile des bairischen Volkes haben hierdurch die Neugestaltung der Dinge feierlich angenommen, und diese Thatsache ist von tiefem Einfluß auf das letzte Drit¬ tel gewesen, das noch mit dem Herzen zögert, über die Schwelle des Reiches zu treten. Die dritte wichtige Erscheinung aber, die aus den Nachwahlen hervor¬ geht und die den eben behaupteten Satz am schärfsten beleuchtet, liegt darin, daß drei derselben auf einem Gebiete stattfanden, welches bisher zu den dun¬ kelsten Theilen des Landes gezählt ward. Daß gerade hier der deutsche Ge¬ danke sich Durchbruch verschafft hat, ist ein doppelter Sieg desselben. Von der höchsten Bedeutung für die friedliche innere Entwickelung wird es sein, welche Stellung das Cultusministerium zu dem Conflict zwischen Staat und Kirche einnimmt. Die Fälle, die bis jetzt in Baiern auf diesem Gebiete hervortraten und mit lauter Stimme Entscheidung forderten, sind keineswegs spärlich; eine principielle Erledigung derselben kann verschoben, aber nicht umgangen werden. Und in der That hat die bairische Regierung bei zwei Angelegenheiten einen rühmlichen Anfang gemacht, ihre Rechte gegen die Ueberhebung der geistlichen Behörden zu vertheidigen. Der erste dieser Fälle ist der berühmt gewordene Kirchenstreit in Mering. Da der dortige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/158>, abgerufen am 29.09.2024.