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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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vom Staatsoberhaupt oder vielmehr vom Minister nach Belieben abgesetzt
werden kann, vielleicht daß er sich nur die persönliche Ungnade zugezogen hat
und dann wieder ganz ohne Einkommen dasteht, so ist eine sorgsame, für die
Dauer berechnete und überzeugungstreue Verwaltung gar nicht möglich.
So hat man denn auch in Frankreich in den Unter-Präfekten und Präfekten
sich ein Geschlecht von charakterlosen Bedientenseelen, ohne Kenntnisse und
großentheils ohne Gewissen, herangezogen, einzig gut dazu, maschinenmäßig
die von oben ertheilten Befehle zur Ausführung zu bringen, und auch ihre
Untergebenen zu solchen Maschinen heranzubilden. Eine entschiedene Ver¬
besserung wird sein, wenn die höheren Regierungsämter, wie in Deutschland,
allgemein von Collegien geprüfter und allmälig aufgerückter Berufsbeamten
besetzt werden, welche nicht jeden Tag für ihr Dasein fürchten müssen, wenn
sie ihre Pflicht erfüllen. Mit Recht sagt aber Felix Dahn, daß bei der Aus¬
wahl der aus Deutschland hierher berufenen Beamten nicht nur auf guten
Willen, Intelligenz und Pflichttreue etwas ankomme: "auch die Form des
Auftretens, der Ton des Verkehrs mit den Leuten, ist bei einer erst zu ge¬
winnenden, theils verschüchterten, theils verbissenen Einwohnerschaft von großer
Bedeutung. Die französischen Beamten nun haben den Ruhm, mit dem
Publikum in einem sehr artigen, theilnehmenden und durchaus nicht "strammen"
Begegnen zu verkehren, während dermalen nicht alle unserer Proconsuln die
goldnen Früchte ihrer Weisheit auch in silbernen Schalen darbieten sollen.
Keineswegs soll hiermit etwa überwiegende Berufung von süddeutschen und
Fernhaltung von preußischen Beamten gewünscht sein; die rheinpreußischen
Beamten sind sehr beliebt, und unverkennbar wirkt das stammverwandte alle¬
manisch-rheinische Wesen auf den Elsasser günstig, während er sich durch den
"strammen" -- das Wort ist unentbehrlich -- zugeknöpften und befehlerischen
Ton des. altpreußischen Beamten fortwährend mit Unrecht an seine Lage als
Besiegter erinnert fühlt. Man weiß eben im Elsaß nicht, daß der Beamte
in Ostpreußen und der Mark auch mit den Männern der Landwehr nicht
anders umspringt: ebenso scharf, rasch, knapp und wortkarg, ohne das die Hel¬
den von Woippy sich dadurch verletzt fühlen: denn sie sind das gewöhnt, und
sind in ihren Geschäften von ähnlichem Auftreten. Auch die Elsässer werden
sich daran gewöhnen, aber der Beginn dieser Zucht eilt nicht so." Seitdem
Herr Dahn diese Zeilen in der "Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte, ist man
schon tüchtig vorgeschritten in der Berufung deutscher Beamten. Ob man die
Mahnung des Patrioten beherzigt, ist fraglich; doch scheint die Mehrzahl
derselben aus dem Rheinland herbeigezogen zu sein.

Es versteht sich von selbst, daß wir die Ersetzung der französischen
Beamten durch deutsche durchaus billigen. Schon im Jahre 1815 rieth
Ernst Moritz Arndt in seinem Schriftchen über den Geist der damaligen


vom Staatsoberhaupt oder vielmehr vom Minister nach Belieben abgesetzt
werden kann, vielleicht daß er sich nur die persönliche Ungnade zugezogen hat
und dann wieder ganz ohne Einkommen dasteht, so ist eine sorgsame, für die
Dauer berechnete und überzeugungstreue Verwaltung gar nicht möglich.
So hat man denn auch in Frankreich in den Unter-Präfekten und Präfekten
sich ein Geschlecht von charakterlosen Bedientenseelen, ohne Kenntnisse und
großentheils ohne Gewissen, herangezogen, einzig gut dazu, maschinenmäßig
die von oben ertheilten Befehle zur Ausführung zu bringen, und auch ihre
Untergebenen zu solchen Maschinen heranzubilden. Eine entschiedene Ver¬
besserung wird sein, wenn die höheren Regierungsämter, wie in Deutschland,
allgemein von Collegien geprüfter und allmälig aufgerückter Berufsbeamten
besetzt werden, welche nicht jeden Tag für ihr Dasein fürchten müssen, wenn
sie ihre Pflicht erfüllen. Mit Recht sagt aber Felix Dahn, daß bei der Aus¬
wahl der aus Deutschland hierher berufenen Beamten nicht nur auf guten
Willen, Intelligenz und Pflichttreue etwas ankomme: „auch die Form des
Auftretens, der Ton des Verkehrs mit den Leuten, ist bei einer erst zu ge¬
winnenden, theils verschüchterten, theils verbissenen Einwohnerschaft von großer
Bedeutung. Die französischen Beamten nun haben den Ruhm, mit dem
Publikum in einem sehr artigen, theilnehmenden und durchaus nicht „strammen"
Begegnen zu verkehren, während dermalen nicht alle unserer Proconsuln die
goldnen Früchte ihrer Weisheit auch in silbernen Schalen darbieten sollen.
Keineswegs soll hiermit etwa überwiegende Berufung von süddeutschen und
Fernhaltung von preußischen Beamten gewünscht sein; die rheinpreußischen
Beamten sind sehr beliebt, und unverkennbar wirkt das stammverwandte alle¬
manisch-rheinische Wesen auf den Elsasser günstig, während er sich durch den
„strammen" — das Wort ist unentbehrlich — zugeknöpften und befehlerischen
Ton des. altpreußischen Beamten fortwährend mit Unrecht an seine Lage als
Besiegter erinnert fühlt. Man weiß eben im Elsaß nicht, daß der Beamte
in Ostpreußen und der Mark auch mit den Männern der Landwehr nicht
anders umspringt: ebenso scharf, rasch, knapp und wortkarg, ohne das die Hel¬
den von Woippy sich dadurch verletzt fühlen: denn sie sind das gewöhnt, und
sind in ihren Geschäften von ähnlichem Auftreten. Auch die Elsässer werden
sich daran gewöhnen, aber der Beginn dieser Zucht eilt nicht so." Seitdem
Herr Dahn diese Zeilen in der „Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte, ist man
schon tüchtig vorgeschritten in der Berufung deutscher Beamten. Ob man die
Mahnung des Patrioten beherzigt, ist fraglich; doch scheint die Mehrzahl
derselben aus dem Rheinland herbeigezogen zu sein.

Es versteht sich von selbst, daß wir die Ersetzung der französischen
Beamten durch deutsche durchaus billigen. Schon im Jahre 1815 rieth
Ernst Moritz Arndt in seinem Schriftchen über den Geist der damaligen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/151>, abgerufen am 27.12.2024.