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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Süden über Basel giebt, zu vermehren. Besonders zwei dieser Bahnen er¬
scheinen nöthig: eine für den Handelsverkehr von Mülhausen, die andere
für den von Straßburg. Die erstere würde von Mülhausen unmittelbar
über den Rhein und dann mit Umgehung des schweizer Gebietes über Lörrach
und Sigmaringen nach Ulm führen, von wo man die uralte Handelsstraße
über den Brenner nach dem adriatischen Meer von selbst finden würde.
Nach Ausführung der Tunnelbahn über den Se. Gotthard wird diese Straße
wol als die nähere den Vorzug verdienen. Wenn wir von einer Eisen¬
bahnüberschreitung des Schwarzwaldes zwischen Wildbad und Gernsbach zur
Verbindung Lothringens über Hagenau, Selz und Rastadt mit Würtemberg
absehen, da dieselbe nicht so dringend ist, so bleibt doch die Fortsetzung der
Kinzigbahn über den Schwarzwald nach Würtemberg für Straßburg von
Dringlichkeit und äußerster Wichtigkeit. Durch diese Bahn wird diese Stadt
zum Kreuzpunkt des großen europäischen Handelsverkehrs zwischen Paris und
Wien oder Trieft einerseits, zwischen Holland und der Schweiz und Italien
anderseits. Wenn dann die von allen Billigdenkenden als eine Sühne
der schweren Verluste der letzten Belagerung geforderte Entfestigung von
Straßburg vorgenommen wird, fo kann nicht fehlen, daß die Wunden der
theuren Stadt rasch verharschen, und daß sie sich in einem Jahrzehnt schon zu
früher nicht geahnter Blüthe emporhebt. Ein ferneres Grollen mit dem
Schicksal kann dann dort um so weniger Platz finden, als der zu erwartende
starke Zuzug nur über den Rhein kommen kann und durch seinen Einfluß
die Deutsch-Gesinnten, welche ja niemals ganz ausgestorben sind, eine mäch¬
tige Verstärkung erhalten werden. Die materielle Wohlfahrt oder doch die
Hoffnung darauf giebt für den großen Haufen der Ausschlag für seine staat¬
liche Anhänglichkeit, und was die edleren geistigen und sittlichen Bedürfnisse
der Gebildeten betrifft, so müßte es wunderlich zugehen, wenn wir Deutsche
den Straßburgern und überhaupt den Elsassern nicht Besseres bieten sollten,
als die Franzosen. Doch davon sprechen wir weiterhin. Zunächst haben wir
noch einiges nachzuholen, was die Negierung für die materielle Wohlfahrt
der neuen Provinz thun kann.

Wie sollten wir da die Steuern vergessen? Richtet sich doch auf sie
fast die erste Frage, wenn es sich darum handelt, ob man sich in einem Staate
wohl befindet oder nicht, und hat doch z. B. deren Geringfügigkeit vor dem
großen Bürgerkriege in Nordamerika am meisten die Auswanderer dahin
gelockt. Wir haben bereits ein paar Vorschläge für Herabsetzungen von
französischen Steuern in Elsaß-Lothringen gemacht; sie betrafen die Stempel¬
steuer und das Tabaksmonopol, welches wir aufzuheben empfohlen haben.
Ebenso kann nicht entschieden genug auf Aufhebung der verhaßten und ent¬
sittlichenden Getränkesteuer gedrungen werden. Höher als in Preußen ist


Süden über Basel giebt, zu vermehren. Besonders zwei dieser Bahnen er¬
scheinen nöthig: eine für den Handelsverkehr von Mülhausen, die andere
für den von Straßburg. Die erstere würde von Mülhausen unmittelbar
über den Rhein und dann mit Umgehung des schweizer Gebietes über Lörrach
und Sigmaringen nach Ulm führen, von wo man die uralte Handelsstraße
über den Brenner nach dem adriatischen Meer von selbst finden würde.
Nach Ausführung der Tunnelbahn über den Se. Gotthard wird diese Straße
wol als die nähere den Vorzug verdienen. Wenn wir von einer Eisen¬
bahnüberschreitung des Schwarzwaldes zwischen Wildbad und Gernsbach zur
Verbindung Lothringens über Hagenau, Selz und Rastadt mit Würtemberg
absehen, da dieselbe nicht so dringend ist, so bleibt doch die Fortsetzung der
Kinzigbahn über den Schwarzwald nach Würtemberg für Straßburg von
Dringlichkeit und äußerster Wichtigkeit. Durch diese Bahn wird diese Stadt
zum Kreuzpunkt des großen europäischen Handelsverkehrs zwischen Paris und
Wien oder Trieft einerseits, zwischen Holland und der Schweiz und Italien
anderseits. Wenn dann die von allen Billigdenkenden als eine Sühne
der schweren Verluste der letzten Belagerung geforderte Entfestigung von
Straßburg vorgenommen wird, fo kann nicht fehlen, daß die Wunden der
theuren Stadt rasch verharschen, und daß sie sich in einem Jahrzehnt schon zu
früher nicht geahnter Blüthe emporhebt. Ein ferneres Grollen mit dem
Schicksal kann dann dort um so weniger Platz finden, als der zu erwartende
starke Zuzug nur über den Rhein kommen kann und durch seinen Einfluß
die Deutsch-Gesinnten, welche ja niemals ganz ausgestorben sind, eine mäch¬
tige Verstärkung erhalten werden. Die materielle Wohlfahrt oder doch die
Hoffnung darauf giebt für den großen Haufen der Ausschlag für seine staat¬
liche Anhänglichkeit, und was die edleren geistigen und sittlichen Bedürfnisse
der Gebildeten betrifft, so müßte es wunderlich zugehen, wenn wir Deutsche
den Straßburgern und überhaupt den Elsassern nicht Besseres bieten sollten,
als die Franzosen. Doch davon sprechen wir weiterhin. Zunächst haben wir
noch einiges nachzuholen, was die Negierung für die materielle Wohlfahrt
der neuen Provinz thun kann.

Wie sollten wir da die Steuern vergessen? Richtet sich doch auf sie
fast die erste Frage, wenn es sich darum handelt, ob man sich in einem Staate
wohl befindet oder nicht, und hat doch z. B. deren Geringfügigkeit vor dem
großen Bürgerkriege in Nordamerika am meisten die Auswanderer dahin
gelockt. Wir haben bereits ein paar Vorschläge für Herabsetzungen von
französischen Steuern in Elsaß-Lothringen gemacht; sie betrafen die Stempel¬
steuer und das Tabaksmonopol, welches wir aufzuheben empfohlen haben.
Ebenso kann nicht entschieden genug auf Aufhebung der verhaßten und ent¬
sittlichenden Getränkesteuer gedrungen werden. Höher als in Preußen ist


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[0146] Süden über Basel giebt, zu vermehren. Besonders zwei dieser Bahnen er¬ scheinen nöthig: eine für den Handelsverkehr von Mülhausen, die andere für den von Straßburg. Die erstere würde von Mülhausen unmittelbar über den Rhein und dann mit Umgehung des schweizer Gebietes über Lörrach und Sigmaringen nach Ulm führen, von wo man die uralte Handelsstraße über den Brenner nach dem adriatischen Meer von selbst finden würde. Nach Ausführung der Tunnelbahn über den Se. Gotthard wird diese Straße wol als die nähere den Vorzug verdienen. Wenn wir von einer Eisen¬ bahnüberschreitung des Schwarzwaldes zwischen Wildbad und Gernsbach zur Verbindung Lothringens über Hagenau, Selz und Rastadt mit Würtemberg absehen, da dieselbe nicht so dringend ist, so bleibt doch die Fortsetzung der Kinzigbahn über den Schwarzwald nach Würtemberg für Straßburg von Dringlichkeit und äußerster Wichtigkeit. Durch diese Bahn wird diese Stadt zum Kreuzpunkt des großen europäischen Handelsverkehrs zwischen Paris und Wien oder Trieft einerseits, zwischen Holland und der Schweiz und Italien anderseits. Wenn dann die von allen Billigdenkenden als eine Sühne der schweren Verluste der letzten Belagerung geforderte Entfestigung von Straßburg vorgenommen wird, fo kann nicht fehlen, daß die Wunden der theuren Stadt rasch verharschen, und daß sie sich in einem Jahrzehnt schon zu früher nicht geahnter Blüthe emporhebt. Ein ferneres Grollen mit dem Schicksal kann dann dort um so weniger Platz finden, als der zu erwartende starke Zuzug nur über den Rhein kommen kann und durch seinen Einfluß die Deutsch-Gesinnten, welche ja niemals ganz ausgestorben sind, eine mäch¬ tige Verstärkung erhalten werden. Die materielle Wohlfahrt oder doch die Hoffnung darauf giebt für den großen Haufen der Ausschlag für seine staat¬ liche Anhänglichkeit, und was die edleren geistigen und sittlichen Bedürfnisse der Gebildeten betrifft, so müßte es wunderlich zugehen, wenn wir Deutsche den Straßburgern und überhaupt den Elsassern nicht Besseres bieten sollten, als die Franzosen. Doch davon sprechen wir weiterhin. Zunächst haben wir noch einiges nachzuholen, was die Negierung für die materielle Wohlfahrt der neuen Provinz thun kann. Wie sollten wir da die Steuern vergessen? Richtet sich doch auf sie fast die erste Frage, wenn es sich darum handelt, ob man sich in einem Staate wohl befindet oder nicht, und hat doch z. B. deren Geringfügigkeit vor dem großen Bürgerkriege in Nordamerika am meisten die Auswanderer dahin gelockt. Wir haben bereits ein paar Vorschläge für Herabsetzungen von französischen Steuern in Elsaß-Lothringen gemacht; sie betrafen die Stempel¬ steuer und das Tabaksmonopol, welches wir aufzuheben empfohlen haben. Ebenso kann nicht entschieden genug auf Aufhebung der verhaßten und ent¬ sittlichenden Getränkesteuer gedrungen werden. Höher als in Preußen ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/146>, abgerufen am 29.09.2024.