Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.wie als Künstler, Hamlet's schönes Wort: "Er war ein Mann: nehmt Die Wiederaufrichtung des deutschen Reichs ging in Schwaben stiller wie als Künstler, Hamlet's schönes Wort: „Er war ein Mann: nehmt Die Wiederaufrichtung des deutschen Reichs ging in Schwaben stiller <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125760"/> <p xml:id="ID_1682" prev="#ID_1681"> wie als Künstler, Hamlet's schönes Wort: „Er war ein Mann: nehmt<lb/> Alles nur in Allem; wir werden nimmer seines Gleichen sehn!"</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> </head><lb/> <p xml:id="ID_1683" next="#ID_1684"> Die Wiederaufrichtung des deutschen Reichs ging in Schwaben stiller<lb/> vorüber, als man nach dem allgemeinen Aufschwung der nationalen Bestre¬<lb/> bungen und dem glänzenden Ergebniß der Landtagswahlen im Dezember v. I.<lb/> hätte erwarten sollen. Die Masse der Bevölkerung war durch die in die<lb/> Augen fallenden Erfolge der deutschen Waffen und die aufeinander folgenden<lb/> Siegesfeste allmählig so gesättigt und abgestumpft geworden, daß die ohne<lb/> äußere Effekte im Weg der Gesetzgebung eingetretene Verwirklichung der Kaiser¬<lb/> idee, so lebhaft der Süden früher für dieselbe geschwärmt hatte, kaum mehr<lb/> eine lebhafte Bewegung der Geister hervorzurufen vermochte. Man hatte sich<lb/> seit Sedan in Gedanken bereits über alle Schwierigkeiten der Kabinette hin¬<lb/> weggesetzt und glaubte in den bisherigen Siegesseiern schon dem wieder erstan¬<lb/> denen Reich gehuldigt zu haben, so daß man die Versailler Verträge nur noch<lb/> als etwas, was sich ganz von selbst verstand, betrachtete. Dabei hatten die<lb/> Wenigsten auch nur eine Ahnung von den Consequenzen, welche die Aufnahme<lb/> in das neue Reich für den ganzen Rechtszustand des Landes hatte. Letzterer<lb/> wurde man, da auch in der Ständekammer keine speciellen Erörterungen hier¬<lb/> über vorher stattgefunden hatten, erst gewahr, als am 1. Januar d. I. die<lb/> erste Nummer des Regierungsblattes in einem Quartband erschien, enthaltend<lb/> außer den Verträgen von Versailles und Berlin und der Reichsverfassung nicht<lb/> weniger denn 32 Gesetze nebst dazu gehörigen Ausführungsverordnungen,<lb/> welche ihrer Mehrzahl nach gleichsam über Nacht in Wirkung treten sollten.<lb/> Unter diesen Gesetzen befand sich übrigens eines, welches von der Fama mit<lb/> Blitzesschnelle in die entferntesten Winkel des Landes getragen wurde, und<lb/> gerade in den Hütten der Armen, wo die Empfänglichkeit für ideale Inter¬<lb/> essen bisher am geringsten war, für das neue deutsche Reich wirksamere Pro¬<lb/> paganda machte, als es alle Bemühungen der nationalen Presse vermochten;<lb/> nämlich das Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der<lb/> Eheschließung. Wer von seiner Hände Arbeit lebte, der hing bisher in<lb/> Württemberg, dem demokratischen Musterstaat, sofern er einen eigenen Haus¬<lb/> stand gründen wollte, thatsächlich ganz von der Willkür der, namentlich in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
wie als Künstler, Hamlet's schönes Wort: „Er war ein Mann: nehmt
Alles nur in Allem; wir werden nimmer seines Gleichen sehn!"
Die Wiederaufrichtung des deutschen Reichs ging in Schwaben stiller
vorüber, als man nach dem allgemeinen Aufschwung der nationalen Bestre¬
bungen und dem glänzenden Ergebniß der Landtagswahlen im Dezember v. I.
hätte erwarten sollen. Die Masse der Bevölkerung war durch die in die
Augen fallenden Erfolge der deutschen Waffen und die aufeinander folgenden
Siegesfeste allmählig so gesättigt und abgestumpft geworden, daß die ohne
äußere Effekte im Weg der Gesetzgebung eingetretene Verwirklichung der Kaiser¬
idee, so lebhaft der Süden früher für dieselbe geschwärmt hatte, kaum mehr
eine lebhafte Bewegung der Geister hervorzurufen vermochte. Man hatte sich
seit Sedan in Gedanken bereits über alle Schwierigkeiten der Kabinette hin¬
weggesetzt und glaubte in den bisherigen Siegesseiern schon dem wieder erstan¬
denen Reich gehuldigt zu haben, so daß man die Versailler Verträge nur noch
als etwas, was sich ganz von selbst verstand, betrachtete. Dabei hatten die
Wenigsten auch nur eine Ahnung von den Consequenzen, welche die Aufnahme
in das neue Reich für den ganzen Rechtszustand des Landes hatte. Letzterer
wurde man, da auch in der Ständekammer keine speciellen Erörterungen hier¬
über vorher stattgefunden hatten, erst gewahr, als am 1. Januar d. I. die
erste Nummer des Regierungsblattes in einem Quartband erschien, enthaltend
außer den Verträgen von Versailles und Berlin und der Reichsverfassung nicht
weniger denn 32 Gesetze nebst dazu gehörigen Ausführungsverordnungen,
welche ihrer Mehrzahl nach gleichsam über Nacht in Wirkung treten sollten.
Unter diesen Gesetzen befand sich übrigens eines, welches von der Fama mit
Blitzesschnelle in die entferntesten Winkel des Landes getragen wurde, und
gerade in den Hütten der Armen, wo die Empfänglichkeit für ideale Inter¬
essen bisher am geringsten war, für das neue deutsche Reich wirksamere Pro¬
paganda machte, als es alle Bemühungen der nationalen Presse vermochten;
nämlich das Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der
Eheschließung. Wer von seiner Hände Arbeit lebte, der hing bisher in
Württemberg, dem demokratischen Musterstaat, sofern er einen eigenen Haus¬
stand gründen wollte, thatsächlich ganz von der Willkür der, namentlich in
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |