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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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(wie v. Küstner in "34 Jahre meiner Theaterleitung," Leipzig, Brockhaus
p. 22 mittheilt), habe ich nicht in Erfahrung bringen können.

In Berlin den Oberon persönlich aufzuführen, war W. vom Intendanten
Grafen B ruht dringend eingeladen worden. Der schon todesmatte Meister konnte,
in Rücksicht darauf, der Gattin gegenüber noch scherzen, indem er ihr von London
den 24. April schrieb: "-- Man erwartet mich im Sommer in Berlin, den
Oberon selbst wieder aufzuführen. Doch nein! Ich wüßte nicht, was mich
dazu bewegen könnte. Ruhe, Ruhe ist jetzt mein einziges Feldgeschrei und
soll es wohl für lange bleiben. Ich habe alle das Kunstgetreibe so satt,
daß ich keine größere Herrlichkeit kenne, als wenn ich ein Jahr ganz ^unbe¬
merkt als ein Schneider leben könnte, meinen Sonntag hätte, einen guten
Magen und heitren, ruhigen Sinn." -- Doch wenn es auch nicht so ernst
mit seiner Weigerung, nach Berlin zu kommen, gemeint gewesen wäre -- sein
unerbittliches Geschick trat dazwischen. Er sah die deutsche Heimath niemals
wieder und schied von dieser Erde am 8. Juni in London, still und
sanft im Schlafe. Die Trauer über seinen Verlust war tief und allgemein;
in Deutschland empfand man ihn am schmerzlichsten. -- So war denn auch
in Berlin das Verlangen nach dem Genuß seines letzten Werkes ein über¬
großes. Hielt man den Meister doch grade hier besonders hoch; ehe er noch
hier den Grundstein zu seinem Weltruhme mit dem Freischützen gelegt, kannte
und liebte man ihn schon in dieser Stadt; geistig war er mit ihr vorzugs¬
weise verbunden gewesen, und sie hatte sein Wachsen und Werden mit inniger
Theilnahme verfolgt. So wurde denn auch die Verzögerung der Auf¬
führung feines Oberon hier doppelt empfunden; denn wie man nach dem
Freischütz neun Vierteljahre auf die Euryanthe geharrt hatte, so verging ge¬
nau dieselbe Zeit, bis Oberon zu Berlin in Scene ging. Wie damals so
auch jetzt kannte die Berliner Musikwelt aus dem Clavier-Auszug die Oper schon
genau. Eine treffliche Aufführung durch Heinr. Dorn, den spätern Ber¬
liner Hofkapellmeister, im Hause des deutschen Original-Verlegers A.M. Schle-
singer, dann wieder öffentliche Aufführungen der vollständigen Musik
des Oberon durch das Militärmufikchor von Fr. Weller, hatten diese Kennt¬
niß noch besonders vermittelt. So mehrte sich schon die Ungeduld, das Werk
in seiner Urgestalt kennen zu lernen. Die Gründe der Verzögerung waren
größtenteils andre, als die bei Euryanthe wirkenden. Der treu sorgende
Gras Brühl hatte die Aufführung der Oper gleich anfangs als für die
Berliner Hofbühne selbstverständlich angesehen und die Erwerbung der Parti¬
tur von W.'s Erben angerathen. Auf das von diesen geforderte Honorar
von 800 Thalern (welches schließlich das königl. Theater auch zahlte) wurde
anfänglich nicht eingegangen, und so geschah es, daß die Direction des könig¬
städtischen Theaters zu Berlin schnell das Eigenthumsrecht erwarb. Darauf


(wie v. Küstner in „34 Jahre meiner Theaterleitung," Leipzig, Brockhaus
p. 22 mittheilt), habe ich nicht in Erfahrung bringen können.

In Berlin den Oberon persönlich aufzuführen, war W. vom Intendanten
Grafen B ruht dringend eingeladen worden. Der schon todesmatte Meister konnte,
in Rücksicht darauf, der Gattin gegenüber noch scherzen, indem er ihr von London
den 24. April schrieb: „— Man erwartet mich im Sommer in Berlin, den
Oberon selbst wieder aufzuführen. Doch nein! Ich wüßte nicht, was mich
dazu bewegen könnte. Ruhe, Ruhe ist jetzt mein einziges Feldgeschrei und
soll es wohl für lange bleiben. Ich habe alle das Kunstgetreibe so satt,
daß ich keine größere Herrlichkeit kenne, als wenn ich ein Jahr ganz ^unbe¬
merkt als ein Schneider leben könnte, meinen Sonntag hätte, einen guten
Magen und heitren, ruhigen Sinn." — Doch wenn es auch nicht so ernst
mit seiner Weigerung, nach Berlin zu kommen, gemeint gewesen wäre — sein
unerbittliches Geschick trat dazwischen. Er sah die deutsche Heimath niemals
wieder und schied von dieser Erde am 8. Juni in London, still und
sanft im Schlafe. Die Trauer über seinen Verlust war tief und allgemein;
in Deutschland empfand man ihn am schmerzlichsten. — So war denn auch
in Berlin das Verlangen nach dem Genuß seines letzten Werkes ein über¬
großes. Hielt man den Meister doch grade hier besonders hoch; ehe er noch
hier den Grundstein zu seinem Weltruhme mit dem Freischützen gelegt, kannte
und liebte man ihn schon in dieser Stadt; geistig war er mit ihr vorzugs¬
weise verbunden gewesen, und sie hatte sein Wachsen und Werden mit inniger
Theilnahme verfolgt. So wurde denn auch die Verzögerung der Auf¬
führung feines Oberon hier doppelt empfunden; denn wie man nach dem
Freischütz neun Vierteljahre auf die Euryanthe geharrt hatte, so verging ge¬
nau dieselbe Zeit, bis Oberon zu Berlin in Scene ging. Wie damals so
auch jetzt kannte die Berliner Musikwelt aus dem Clavier-Auszug die Oper schon
genau. Eine treffliche Aufführung durch Heinr. Dorn, den spätern Ber¬
liner Hofkapellmeister, im Hause des deutschen Original-Verlegers A.M. Schle-
singer, dann wieder öffentliche Aufführungen der vollständigen Musik
des Oberon durch das Militärmufikchor von Fr. Weller, hatten diese Kennt¬
niß noch besonders vermittelt. So mehrte sich schon die Ungeduld, das Werk
in seiner Urgestalt kennen zu lernen. Die Gründe der Verzögerung waren
größtenteils andre, als die bei Euryanthe wirkenden. Der treu sorgende
Gras Brühl hatte die Aufführung der Oper gleich anfangs als für die
Berliner Hofbühne selbstverständlich angesehen und die Erwerbung der Parti¬
tur von W.'s Erben angerathen. Auf das von diesen geforderte Honorar
von 800 Thalern (welches schließlich das königl. Theater auch zahlte) wurde
anfänglich nicht eingegangen, und so geschah es, daß die Direction des könig¬
städtischen Theaters zu Berlin schnell das Eigenthumsrecht erwarb. Darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/511>, abgerufen am 23.07.2024.