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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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reich, wie sie ihm denn auch in der Folge noch oftmals nützlich geworden
ist; denn nur eine einheitliche Kraft hat vollen Willen. -- So kam es zum
Frieden von Crespy. Aber auch dieser war eigentlich nur ein Waffenstillstand.
Sobald der Zusammenstoß drohte zwischen dem Kaiser und der schmalkaldi-
schen Union, da hatte auch Frankreich wieder die gleißnerische Hand im Spiel;
-- bereitwillig ergriffen sie die bethörten Fürsten, so zornig sich auch Martin
Luther noch kurz vor seinem Tode darüber ausgelassen und so dringend auch
der Kurfürst von Brandenburg, Joachim II., davon abgerathen hat.*) --
So lange der Kaiser triumphirte war freilich Deutschland geschützt; als sich
aber Moritz von Sachsen gegen ihn wendete, da schlug die Stunde, von der
an sich die französische Krone mit Edelsteinen zu schmücken begann, welche
deutsche Fürsten vom Diademe ihres Kaisers lösten und dem Erbfeinde in
die Hände spielten. Trotz dringender Abmahnung Melanchthons **) und der
sächsischen Stände schlössen Kurfürst Moritz und die Fürsten von Mecklenburg,
Anspach und Hessen-Cassel mit dem Könige Heinrich II. von Frankreich, "der
sich gegen uns Deutsche in dieser Sache mit Hülfe und Beistand nicht nur
als Freund, sondern als liebreicher Vater verhält", ein Schutz- und Trutz-
bündniß gegen ihren "gemeinschaftlichen Feind", den deutschen Kaiser, um
"dessen tyrannisches Joch bestialischer Knechtschaft von den Häuptern zu schüt¬
teln" und zugleich jenen traurigen Vertrag, durch welchen Cambray, Metz,
Toul und Verdun an Frankreich überlassen wurden. -- Während dann
Moritz den Kaiser in Tirol überfiel, brach König Heinrich II. unvermuthet
in Lothringen ein, besetzte die Bisthümer, bemächtigte sich des Herzogthums,
gewann durch einen eben so frechen als treulosen Wortbruch gegen die Bürger¬
schaft von Metz auch diese wichtige Stadt, und nicht viel fehlte, so hätte er
damals schon einen Handstreich auf Straßburg unternommen. Aber was er
auch that mit roher Gewalt oder verrätherischer List: er that es unter der





') Joachim drang schon 1544 in den Kardinal Farnese, dahin zu wirken, daß der Papst den
französischen König für den schlimmsten Feind der Christenheit erkläre, weil er, ohne daß ihm
der Kaiser Anlaß gebe, nur um zu erobern "die Tyrannei des Türken, seines Bruders und
Verbündeten, gegen die Christenheit und den Glauben befestige."
") Melanchthon schrieb dem Kurfürsten: "Er möge doch betrachten, ob ein solcher Krieg
mit ungewissen und gefährlichen Leuten, welcher Zerstörung des ganzen Reiches bringen
möchte, zu erregen sei, und bedenken was es sei, ordentliche Hoheit und ein gefaßtes Reich
mit Kur- und Fürsten in einen Haufen zu werfen und eine Zerrüttung und Confusion zu
machen, deren niemand ein Ende sehen könne."
Heinrich sollte diese Städte, "welche zum Reich gehören, aber doch nicht deutscher
Sprache sind", als "Vicarius" des heiligen Reiches verwalten vorbehaltlich der Rechte des letz¬
teren. Zugleich versprachen die Fürsten, ihm zur Wiedereroberung der ihm angeblich un¬
rechtmäßig entzogenen Erbstücke, der Freunde Conto, Flanderns und Artois' behülflich zu sein.

reich, wie sie ihm denn auch in der Folge noch oftmals nützlich geworden
ist; denn nur eine einheitliche Kraft hat vollen Willen. — So kam es zum
Frieden von Crespy. Aber auch dieser war eigentlich nur ein Waffenstillstand.
Sobald der Zusammenstoß drohte zwischen dem Kaiser und der schmalkaldi-
schen Union, da hatte auch Frankreich wieder die gleißnerische Hand im Spiel;
— bereitwillig ergriffen sie die bethörten Fürsten, so zornig sich auch Martin
Luther noch kurz vor seinem Tode darüber ausgelassen und so dringend auch
der Kurfürst von Brandenburg, Joachim II., davon abgerathen hat.*) —
So lange der Kaiser triumphirte war freilich Deutschland geschützt; als sich
aber Moritz von Sachsen gegen ihn wendete, da schlug die Stunde, von der
an sich die französische Krone mit Edelsteinen zu schmücken begann, welche
deutsche Fürsten vom Diademe ihres Kaisers lösten und dem Erbfeinde in
die Hände spielten. Trotz dringender Abmahnung Melanchthons **) und der
sächsischen Stände schlössen Kurfürst Moritz und die Fürsten von Mecklenburg,
Anspach und Hessen-Cassel mit dem Könige Heinrich II. von Frankreich, „der
sich gegen uns Deutsche in dieser Sache mit Hülfe und Beistand nicht nur
als Freund, sondern als liebreicher Vater verhält", ein Schutz- und Trutz-
bündniß gegen ihren „gemeinschaftlichen Feind", den deutschen Kaiser, um
„dessen tyrannisches Joch bestialischer Knechtschaft von den Häuptern zu schüt¬
teln" und zugleich jenen traurigen Vertrag, durch welchen Cambray, Metz,
Toul und Verdun an Frankreich überlassen wurden. — Während dann
Moritz den Kaiser in Tirol überfiel, brach König Heinrich II. unvermuthet
in Lothringen ein, besetzte die Bisthümer, bemächtigte sich des Herzogthums,
gewann durch einen eben so frechen als treulosen Wortbruch gegen die Bürger¬
schaft von Metz auch diese wichtige Stadt, und nicht viel fehlte, so hätte er
damals schon einen Handstreich auf Straßburg unternommen. Aber was er
auch that mit roher Gewalt oder verrätherischer List: er that es unter der





') Joachim drang schon 1544 in den Kardinal Farnese, dahin zu wirken, daß der Papst den
französischen König für den schlimmsten Feind der Christenheit erkläre, weil er, ohne daß ihm
der Kaiser Anlaß gebe, nur um zu erobern „die Tyrannei des Türken, seines Bruders und
Verbündeten, gegen die Christenheit und den Glauben befestige."
") Melanchthon schrieb dem Kurfürsten: „Er möge doch betrachten, ob ein solcher Krieg
mit ungewissen und gefährlichen Leuten, welcher Zerstörung des ganzen Reiches bringen
möchte, zu erregen sei, und bedenken was es sei, ordentliche Hoheit und ein gefaßtes Reich
mit Kur- und Fürsten in einen Haufen zu werfen und eine Zerrüttung und Confusion zu
machen, deren niemand ein Ende sehen könne."
Heinrich sollte diese Städte, „welche zum Reich gehören, aber doch nicht deutscher
Sprache sind", als „Vicarius" des heiligen Reiches verwalten vorbehaltlich der Rechte des letz¬
teren. Zugleich versprachen die Fürsten, ihm zur Wiedereroberung der ihm angeblich un¬
rechtmäßig entzogenen Erbstücke, der Freunde Conto, Flanderns und Artois' behülflich zu sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/458>, abgerufen am 26.06.2024.